Kammerspiele Eure ganz großen Themen sind weg! von René Pollesch
„Eure ganz großen Themen sind weg!“ Per se, worüber sprechen wir noch, wenn bereits alles abgehandelt abgearbeitet abgesehen ist. Doch sind die ganz großen Themen wie Leben, Liebe und Tod wirklich beantwortet? Blickt man auf die Gesellschaft, so bleibt nur die Feststellung: Nein. Die Diskrepanz zwischen Wissen und gelebtem Geschehen ist größer denn je, wächst mit jedem Tag. Auf wissenschaftlicher Ebene nehmen die Erkenntnisse täglich zu. Der Alltag wird nach wie vor, oder mehr denn je, von naiven natürlichen nachvollziehenden Impulsen gesteuert. Eine sinnvolle Verbindung von beidem findet sich in dem einen oder anderen, die täglichen Handreichungen erleichternden Gerät. Die Verbindung von Wissen im Menschen findet auch statt, tritt in Einzelnen hervor.
René Pollesch, Jahrgang 1962, gilt als Bühnentheoretiker, als einer der gelebte Philosophie in eine Darstellungsform fasst. Seine Texte und Konzepte sollen dem besseren Verständnis von Mensch und menschlichem Miteinander dienen. Die Liebe und der Tod. Der Tod und die Liebe. Diese großen Themen sind unmittelbar mit dem Leben verbunden, wie kaum andere bestimmen sie die menschliche Gemeinschaft. Immer wieder sieht sich Mensch gezwungen mit ihnen auseinanderzusetzen - jeder auf seine Art. René Pollesch fasste Heute zusammen. Da gingen - ganz wie im wirklichen Leben - in einem Textbrei manche intelligente interessante innovative Gedanken unter. Und was übrig bleibt, ist die Bestätigung und Betonung bereits integrierter sogenannter Erkenntnisse, welche sich in Wiederholung gefallen und bekräftigen. „ ... ich denke die Welt teilt sich in zwei Lager, die, die sich nehmen was sie wollen, und die ...“, welche Zustimmung und im Publikum breites Echo fanden. Die Wiederholung und Wiederholung der bekannten und akzeptierten Erfahrung führte immer wieder zu Zustimmung, Selbstbestätigung also. Doch ist es der einfache Satz, „Ich will auf das unerreicht Beispielhafte hinaus.“, welcher allem zu Grunde liegt. Er bildete das Innerste des Kerns, den Antrieb. Die Sprache, die Wohnzimmersprache nach Berliner Volksbühnenart, vermischt Erfahrung und Befinden, lässt die Grenzen zwischen Verstand und Gefühl verschwimmen, hebt sie in eine Ebene auf. Doch was wird erreicht dadurch? Die Langeweile die entsteht, gleicht eben jener Langeweile, welche ein Leben in diesem spannungslosen Raum kennzeichnet, in dem eins ins andere übergeht.
Den wundervollen Gegensatz dazu bildeten die verschiedenen farbenfrohen und ausdrucksstarken Bühnenbilder (Bert Neumann), deren Mittelpunkt der übergroße bewohnbare Totenkopf innehatte. Aus seinen Augen glänzte gelb leuchtend die Ewigkeit. Wurde er gewendet, so erhielt der Zuschauer Einblick durch die weitestgehend offene Rückseite, das Innere, welches die Akteure über eine Türe an der Ohröffnung betraten. Der Kopf von Katja Bürkle. Er wurde von allen in Besitz genommen und unverzüglich begann Rauch aus dem Schädel aufzusteigen. „Wir sind in Katja Bürkle drin. Wir sehen aus ihren Augen wenn sie Theater spielt ...“ In der Folge erschien Katja Bürkle an der Rampe, über die Live-Video-Projektion auf den Vorhang erkannte sich das Publikum, blickte also ebenfalls aus Katja Bürkles Augen. Und nach einer Viertelstunde fiel man heraus, landete in einem Graben an der Schnellstraße nach Feldkirchen. Eine Vielzahl konsequent künstlerisch konzipierter Szenen folgte aufeinander, veranschautlichte Text und Wirklichkeit. Pollesch‘s Figuren wechselten wiederholt die Kostüme (Tabea Braun), erschienen äußerlich gewandelt, korrespondierend zu Text und Bild. Bühne und Kostüme boten durchaus poetische Bilder. Die Schauspieler Franz Beil, Katja Bürkle, Benny Claessens, Cigdem Teke bewältigten gleichermaßen die Fülle des angefüllten Textes mit großer Souveränität. Es gab einen Souffleur (Joachim Wörmsdorf), welcher weiß gekleidet, gleich einem unbeschriebenden Blatt, zwischen den Darstellern mitspielte, durchaus als Unterstützung gedacht und genutzt. Wenige Unterbrechungen des Textes trugen zu Erleichterung, Erheiterung bei den Akteuren und im Publikum bei. Das Ende gipfelte in viel Nebel, Dunst und Rederei – ganz wie im wirklichen Leben – dem der Tod die Zunge heraus streckte.
Katja Bürkle, Franz Beil © LSD/Lenore Blievernicht |
Die existentielle Botschaft ::: Indem man sich das Wissen anderer Menschen aneignet, „wohnt“ man in ihren Köpfen, blickt durch ihre Augen in die Welt. Man vollzieht ihre Muster nach – Being Katja Bürkle, oder Ghost Samurai, Marx Brother oder Elefantenmensch – mit den Gedanken von Katja Bürkle, Hagakure, Karl Marx oder und oder Adam Smith.
Ein eigenes Weltbild entwickeln, statt vorgedachten vorgesetzten vorführenden Ideologien zu folgen – so kann die Antwort auf die Inszenierung lauten, blickte man gespannt zwischen Verstand und Gefühl durch seine eigenen Augen auf die Bühne und die dargestellte Welt. Und letzterer Vorgang brächte die Menschen wieder an ihre neuen ganz großen Themen. Denn der Satz „Liebe zum Beispiel, das sagt mir gar nichts.“, den René Pollesch Katja Bürkle in den Mund legte, und, der in eine Fülle von allgemeinen abgenutzten abartigen Vorstellungen mündete, zeugte davon, dass Mensch offensichtlich erst am Anfang steht. Die Leere des Jenseits der Liebe, ein funktioneller grenzenloser Raum wurde vorgeführt - der Blick ins Unbewusste zelebriert. Das Stück ist fraglos .... einfach angesagt !!!
Eure ganz großen Themen sind weg!
von René Pollesch
Franz Beil, Katja Bürkle, Benny Claessens, Cigdem Teke Regie: René Pollesch |