Kammerspiele Böse Buben / Fiese Männer von Ulrich Seidl
Im Abgrund nichts Neues
Ein Keller als Refugium des Mannes, in dem sich, so die Ankündigung, heimwerken, Sport treiben oder geselliger Gemeinschaft nachgehen lässt, nahm die Bühne der Kammerspiele ein. Weiß lackierte Metallspinde, einfache Stühle, ein elektrischer Schaltkasten sowie Leitungen und Rohre, ein abgetrennter Waschraum und ein, durch ein Sicherheitssystem gesicherter Kontrollraum schufen eine sogenannte männliche Atmosphäre. Es war ein gesichtsloser universell mechanisierter Ort an dem das Unbewusste ans Licht drängen durfte. Hier waren Männer unter sich.
Nacheinander betraten sie die Bühne. Sechs Männer von unterschiedlichem Charakter stellten sich mit unspektakulären geradezu normalen Lebensläufen vor, nahmen auf den bereit stehenden Stühlen Platz. Der Siebente, konfrontierte die Zuschauer sofort mit seinem Problem, unternahm einen Exkurs in die Geschichte und erzählte von den Königen, denen es vor Jahrhunderten ähnlich ergangen war. Sein Problem: natürlich ein potenzielles. Und er wiederholte und breitete aus und wiederholte und breitete aus, was auch in zwei Sätzen hätte ausgedrückt werden können. Doch an der Wiederholung ließ sich die Größe und Bedeutung des Problems ermessen, welches dieses für Mann darstellte. Und wäre nicht durch einen schrillen Pfiff der Aufruf zu körperlicher Ertüchtigung erklungen, stünde er vermutlich immer noch an der Bühnenrampe. Die Männer legten ihre Straßenkleidung ab, tauschten diese gegen Sporthosen und ebensolche Schuhe. Auf Pfiff bildeten sie eine Reihe, exakt, fast militärisch geschult. Und auf Pfiff begannen sie einige Runden im Kreis zu laufen. Da kamen doch Assoziationen von Rudelverhalten und dem daraus entstandenen Militarismus auf. Mann war ungeniert unter seinesgleichen, sang deutsche Volkslieder, trank Bier, gab grobe Sprüche in volkstümlichstem Wienerisch von sich und gefiel sich in gemeinschaftlicher Improvisation. Mann befand sich im Untergeschoß und wäre dies alles nicht auf einer Bühne geschehen, so hätte man es auch als bloße Versuchsanordnung deuten können. Den Kern jedoch bildeten die Berichte in denen jeder seine Stärken, Tricks und spezifischen Schwierigkeiten artikulierte. Es ist erstaunlich wie viele Probleme ein naturgegebener, daher unperfekter, Sachverhalt hervorrufen kann und welch enorme Bedeutung dem potenziellen Tatbestand zukommt.
Wann ist ein Mann ein Mann? Zur Beantwortung dieser Frage wurden Texte von David Foster Wallace, einem zur Zeit hochgelobten Autor, welcher aus der männlichen Seele und Denkwelt artikulierte, ausgewählt. David Foster Wallace scheiterte an sich selbst, und nun soll er mit seinen Texten als Inbegriff für männliche Befindlichkeit stehen? Eine Ironie, oder? ... Die Figuren sind erschrieben, nur wie Gegenstände, mit denen künstlerische Experimente angestellt wurden.
Das Projekt von Ulrich Seidl bot einen Einblick in Verhaltensweisen, die der „dunklen“ Seite des Mannes zugeordnet werden. Naivität, Hierarchie- und Formalismenhörigkeit, Ängste, Tricks, Macht- und Potenzfantasien befördern aber auch Potenz per se, und damit die andere Seite, in der Mann menschlich zu „leuchten“ sucht. Und, einem solchen Dilemma Herr zu werden, ist wohl eine Lebensaufgabe. Da hilft bisweilen den Mann, als Ding, als Objekt zu betrachten, „die Hosen runterzulassen“ und genau hinzusehen, es zu studieren, das gepeinigte Objekt Mann. Diese Möglichkeit der Betrachtung bot das Projekt in dem die Darsteller, sachlich weitgehend emotionslos Handlungsweisen und Charaktertypen vorstellten. Es entstand eine auf den Trieb fixierte Nabelschau, die unter diesem Aspekt als gelungen betrachtet werden konnte.
© Peter Rigaud |
Im Grunde hat sich fast nichts geändert. Es läuft nach wie vor so einfach wie bei den Hominidae, z.B. den Bonobos: Das Männchen bringt dem Weibchen eine Orange, das Weibchen begutachtet mit einem Auge die Orange und mit dem anderen das Männchen, gefällt ihr was sie sieht, so wechselt die Orange den Besitzer und ...1...2...3.... verspeist das Weibchen die Orange und das Männchen springt aufrechter und mit sattem Grinsen von dannen. Hat ein Männchen erfahren, dass sein Auftritt allein zu wenig überzeugend wirkt, so sucht es eine größere Orange oder schlägt einen Purzelbaum und schon … Nicht umsonst gibt es bis heute ein wohlflorierendes Gewerbe, das als das älteste der Welt bezeichnet wird. Die anderen Weibchen sind heute nicht mehr mit einer Orange zufrieden, sondern wollen in schicken schnellen Sportwagen spazieren gefahren, mit glänzenden Schmuckstücken überhäuft, oder mit interessanten Geschichten unterhalten werden. Denn die Menschen haben durch die Entwicklung von Religion, Kultur und Zivilisation eine Vielfalt von neuen Spielvariationen erfunden, die Mann geordnet und geregelt hat, wohl um sich gegenseitig die Zeit und vielfach auch die Lust zu vertreiben. Je konsequenter der Versuch die Stimme der Natur zu unterdrücken, umso größer wurden die geistigen Entwicklungsschritte, allerdings auch die Ausmaße tierischer Hintertreibungen bis zu deren Pervertierung. Die Zunahme von Gewalt in Kriegen, die mit immer perfideren Mitteln, man denke an die Atombombe, vorangetrieben wird und die mittlerweile eine vielfache Potenz des einfachen Überlebenstriebes erreicht hat, kann als Beispiel dafür dienen, wie die geistige Entwicklung und die tierischen Veranlagungen einander verstärken. Was nützen also die Kultur und die Technik, wenn der Mensch seinen kleinen Triebe nicht beherrscht, sondern von diesen beherrscht wird? Doch wer will das schon wissen.
Böse Buben / Fiese Männer
Ein Projekt von Ulrich Seidl
Georg Friedrich, Michael Thomas, Wolfgang Pregler, Lars Rudolph, René Rupnik, Nabil Salch, Michael Tregor Regie: Ulrich Seidl |