Marstall  Der Untergang des Hauses Usher nach Edgar Allan Poe


 


Der Tod ist nicht das Ende

Die Inszenierung von E.A. Poes Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ war mehr als die theatralische Darstellung einer Geschichte. Es war gleichsam ein Ausflug in die Biografie des Dichters, die ebenso bizarr war wie seine Geschichten, in seine lyrischen und epischen Werke, die marginal kommentiert wurden von Siegmund Freud, Elfriede Jellinek, Charles Baudelaire, Roger Corman oder auch Marcel Proust. Musiker wie Claude Debussy, der sich an diesem Sujet versucht und ein unvollendetes Werk hinunterlassen hatte, Bob Dylan, John Lennon, die Rolling Stones und Michael Jackson fanden mehr oder weniger erhellend, im Zweifelsfall aber immerhin unterhaltend, Eingang in die Welt des Grauens.

Die Bühne für diese Horror-Burleske stammte von Martin Miotk und war, wie die Figur des Erzählers auch, inspiriert von der Erzählung „Die Maske des Roten Todes“: „Da sah man (...)Figuren mit seltsam bewegten Gliedern, phantastische Traumgebilde, wie von Wahnsinnigen erdacht, viel Schönes, viel Mutwilliges, viel Bizarres, einiges Furcherregende und nicht wenig, das abstoßend wirkte. Auf und ab stolzierten sie durch die (...) Räume, in der Tat eine Vielfalt von Traumbildern.“ Suse Wächter führte den Erzähler von „Untergang des ...“ als Puppe ein, und auch diese war in ihrer äußeren Form der o.g. Erzählung entsprungen: „Seine Gestalt war hoch und hager und vom Kopf bis zu den Füßen in Leichengewänder gehüllt. Die Maske, unter der sich das Gesicht verbarg, war so dem starren Antlitz eines Leichnams nachgebildet, dass es der genauesten Untersuchung kaum gelang, die Täuschung zu entdecken. (...) Seine Gewänder waren mit Blut befleckt – und seine breite Stirn wie auch sein Antlitz trugen die scharlachroten Zeichen des Entsetzens."

Gleichwohl verkörperte diese Figur in „Die Maske des Roten Todes“ den Roten Tod, bei Suse Wächter hingegen war es der Dichter E.A. Poe höchstselbst. Er war von Roderick Usher gerufen worden, da dessen Seele am Abgrund wandelte und er den Freund aus frühen Tagen um Hilfe bat. Po oder auch der Rote Tod, schlug sein Buch auf und las rücklings auf einem Sarg reitend aus seiner Erzählung die Einleitung bis zur Ankunft im Haus Usher. Für einige Originalpassagen hielt sich die Dramaturgie an die Vorlage, und Thomas Gräßle offerierte dem Publikum einen von Inzucht gezeichneten Roderick Usher, dessen Leben sich zu einer einzigen üblen und bedrohlichen Kaprice entwickelt hatte. Von Dämonen gejagt, lebte er in einer morbiden Welt zusammen mit den Vorfahren, deren letzte Wohnstatt sich im Keller des Hauses befand. Lichtscheu geworden, ertrug er nur bestimmte Klänge, Musiken und Laute (Musik: Jan Faszbender). Alle anderen Geräusche reizten seine Nerven bis zum zerreißen. Roderick lebte gemeinsam mit seiner Schwester Madeline in diesem düsteren Gemäuer, auf dessen Untergang die Zuschauer warteten, denn das versprach schließlich der Titel. Zuvor jedoch musste Friederike Ott sich einer Lebendbestattung unterziehen. Hier nun stieg die Inszenierung aus der Geschichte aus und der Untergang blieb Behauptung, Andeutung und Havy Metall Getöse. Der Untergang des Geschwisterpaares hingegen vollzog sich sehr lasziv. Während Gräßles Roderick unter der großen Tafel seine letzten Seufzer herauspresste, tanzte Friederike Otts Madeline eine Etage höher auf dem Tisch leichtgeschürzt an der Stange. Am Ende, Das Geschwisterpaar war hinüber und das Haus Usher im Moor versunken, einigten sich sämtliche Darsteller gesanglich darauf, dass der Tod nicht das Ende sei.

 
  Usher  
 

Tine Hagemann, Baby Poe, Friederike Ott, E.A. Poe, Suse Wächter und Thomas Gräßle

© Thomas Dashuber

 

 

Es wurde schon nach wenigen Minuten für jedermann deutlich, dass man das Ganze keinesfalls ernst nehmen dürfte. So wurden Textpassagen aus anderen Werken so eingebaut, dass ein Schmunzeln oder Lachen nicht mehr zu unterdrücken war. Die Wanduhr krächzte, nachdem ein Rabenkopf erschien: „Nevermore!“ und der Vogel wurde von Roderick enerviert wieder in den Kasten zurückgestopft. Der Doppelmord in der Rue Morgue wurde nicht von einem Mörder, sondern, Hört! Hört! von einem Orang Untan verübt. Neben dem „Disput mit einer Mumie“ von Poe kam auch der König des B-Movies, Roger Corman, kompetent zu Wort. Und um einen Rückhalt in der Neuzeit zu schaffen, wies die Bibliothek des Hauses Ushers das Gesamtwerk von Stephen King auf. Ja, „Der Untergang des Hauses Usher“ fand auch statt, allerdings war diese Geschichte häufig nur Stichwortgeber für essayistische Erklärungen aus dem Mund von Baudelaire, Siegmund Freud oder Elfriede Jellinek. Letztere bot kaum Essentielles, dafür aber eine zauberhaft komische Figur.

Um Spielpuppen ging es und um die Suggestion, die sie auszulösen vermögen. Nach „Der Geldkomplex“, in dem Suse Wächter Siegmund Freud Leben eingehaucht hatte und ihn wahrhaftig auferstehen ließ, waren die Erwartungshaltungen groß. Ohne Frage wurden sie bezüglich ihres Puppenspiels, Tine Hagemann stand ihr kompetent zur Seite, befriedigt. Mit kratziger Stimme und suggestiven Bewegungen ließ sie schnell vergessen, dass hinter der Puppe ein Mensch stand. So wurde der Abend zu einem visuellen Erlebnis. Das angekündigte Drama hingegen fand nicht wirklich statt, und das lag gewiss nicht daran, dass die vermeintliche Schaurigkeit, das vermeintliche Grauen immer wieder ins Komische kippte. Dem Abend mangelte es einfach an einer in sich schlüssigen und zwingenden Dramaturgie. Er glich vielmehr einem gedanklich Flattern, bei dem mache sinnlose und wohl auch überflüssige Runde gedreht und sich verflogen wurde. Dann musste der Fortgang schlicht erzwungen werden und das führte zu Brüchen. Es holperte immer wieder mal und das löste mangelhafte Dichte in der Geschichte aus. Schade, denn wenn eine Schlüssigkeit erreicht worden wäre, hätten die Zuschauer einen unvergesslichen Abend erlebt. So wurde es ein netter und kurzweiliger Abend, auf den man gern ein gutes Glas blutroten Weins trank.

 

Wolf Banitzki


 


Der Untergang des Hauses Usher

nach Edgar Allan Poe

Thomas Gräßle, Jürgen Stössinger, Friederike Ott, Suse Wächte


Regie: Suse Wächter