Marstall  räuber.schuldengenital von Ewald Palmetshofer


 

 

Endzeit

Die Diktatur der Alten ist die letzte aller Diktaturen. Dabei sind sie vorsätzlich gar keine Diktatoren oder Tyrannen. Es gibt schlichtweg keinen Operandis mundi. Sie sind einfach nur da: fett, feist und potent. Sie besetzen das Leben und genießen es. Die junge Generation ist außen vor. Sie hat keine Chance zu „unternehmen“, denn alles ist ausgepreist und aufgeteilt und in Besitz genommen. Von den Alten, wohlgemerkt, und die geben nichts her. So bleibt nur, den Alten zu dienen, ihnen Hände, Beine oder Kopf zu sein, damit sie weiter existieren bis in alle Ewigkeit. Und das ist bei Ewald Palmetshofer kein lockerer Spruch, sondern die Quintessenz in „räuber.schuldengenital“. Anders als in Schillers „Räuber“, wo der zweitgeborene Franz den erstgeborenen Karl durch eine Intrige um sein Erbe zu bringen versucht und dabei den vorzeitigen Tod des Vaters anstrebt, treten bei Palmetshofer die beiden Brüder gemeinsam gegen die Elterngeneration an, um ihr Erbe einzufordern. Dabei geht es nicht nur um Geld, sondern vielmehr um eine Zukunft, die es durch die Unsterblichkeit der Eltern für sie nicht geben kann.

Bei Palmetshofer verkehrt sich die Konstellation. Die Frage, wer die Räuber sind, wird zu Ungunsten der Alten beantwortet. Eine Zukunft für die Jungen ist nicht mehr möglich. Palmetshofer greift dabei auf ein fantastisches Mittel zurück. Nachdem die Jungen, Karl und Franz, gemeinsam mit der Tochter der Nachbarin, Petra, die Alten getötet haben, findet eine Auferstehung statt. Die Alten kehren nicht einfach nur ins Leben zurück, sondern sie tun das als Unsterbliche. Erst das gemeinsam von den Brüdern und Petra gezeugte Kind beendet nicht nur die Geschichte, sondern auch die Weltgeschichte. Das Kind verkörpert den Weltuntergang. Damit schuf Palmetshofer ein Dystopie, eine Anti-Utopie. Aus der bestehenden Welt abzuleiten, dass es keinen Ausweg gibt, wäre dabei nicht nur lächerlich, sondern auch dumm. Das kann man Palmetshofer wahrlich nicht unterstellen.

Fragt sich, ob sein dramatisches Konstrukt einer ernsthaften Wahrheitsfindung dienlich ist, oder ob es sich hier um ein selbstgefälliges intellektuelles Spiel mit den Ängsten und Befürchtungen einer orientierungslosen Gesellschaft handelt. Im Interview im Programmheft malt der Autor dann doch nicht ganz so schwarz: „Diese Gemeinschaft müsste die Wörter neu erfinden, oder in den Ruinen nach den Inschriften suchen, die man wieder neu befüllen könnte.“ Um was zu tun? Um diese Gesellschaft, eine todgeweihte, zu restaurieren? Man möge sich doch endlich von dieser bis zu Unkenntlichkeit überschminkten Hure einiger Geistesgestörter verabschieden. Aber Utopielosigkeit ist immer auch ein Ausdruck für Mutlosigkeit. Der Mut derer, die handeln, die Mörder des NSU oder die muslimischen Attentäter, ist leider nur der, den Nietzsche als Unteroffizierstugend bezeichnete, bar aller Ethik und aller Vernunft. So ist Palmetshofers Drama kaum mehr als ein Denk- und Wortspiel. Hinter Goethes Analyse zum Thema Werden und Vergehen bleibt er um Längen zurück: „Ich bin der Geist der stets verneint! / Und das mit Recht; denn alles was entsteht / Ist werth daß es zu Grunde geht; / Drum besser wär’s daß nichts entstünde.“ (Faust) Allein diese wenigen Zeilen aus dem Munde Mephistopheles gehen weit über das hinaus, was Palmetshofer in seinem „räuber.schuldengenital“ entwarf.

  raeuberschulden  
 

Renate Jett, Miguel Abrantes Ostrowski, Valerie Pachner, Alfred Kleinheinz, Sierk Radzei

© Andreas Pohlmann

 

Nicht das Apokalyptische war das unterhaltsame Element in der Inszenierung im Marstall, sondern das vergnügliche Sprachgestalten. Der gesamte Text wurde in Jamben verfasst. Da liegt der Verdacht nahe, dass der Autor den Vorsatz, jambisch zu dichten, als unabänderliche Prämisse  festschrieb, um dann seinen Text nach dieser Vorgabe zu gestalten. So veränderten der Versfuß und sein Rhythmus die Syntax. Das war brillant. Hinzu kommen einige Bonmots, nicht selten Resultat der radikalen Hinterfragung von Floskeln. Zum Beispiel: Die Wahrheit stirbt zuletzt. Lässt man einmal das Pathos weg, das üblicherweise mit dieser Floskel einhergeht, tritt die ganze Hirnrissigkeit zutage. Die Hoffnung wartet also, bis alles gestorben ist, um dann selbst zu sterben. Wo ist da ein Sinn?

Rimma Starodubzeva schuf für dieses Endzeitspektakel eine adäquate Bühne. Der Boden war bedeckt von schwarzer verbrannter Erde. An einem verkohlten Maibaum hingen rauchgeschwärzte Girlanden. Ein Holzkohlegrill ließ vermuten, dass hier schon seit ewigen Zeiten eine Grillparty veranstaltet wird. Die wenigen Stühle waren alt und verrostet. An der Rückseite war ein Treppenlifter installiert mit dem man abwechselnd spazieren fuhr. Der junge Regisseur Alexander Riemenschneider inszenierte sein Spiel in einer Art Manege. Die Kostüme von Lili Wanner, zum Teil recht schrill, verstärkten diesen Eindruck. Riemenschneider ließ das am Ende geborene Kind (Merle Lang/Elisa Wenz) von Anfang an als Nummerngirl die einzelnen Szenen auf Tafeln einläuten. Wahrlich, sie waren proper anzuschauen, die Alten, wie sie so voller Saft und Kraft ihre Lebenslust herausposaunten. Ulrike Willenbacher gab ein lustvolles Weib, das ihren Mann Otto zu animieren wusste. Arnulf Schumacher war wohl willig, hatte aber stets die Angst vor den räuberischen Söhnen im Nacken. Renate Jetts Edith, die an den Rollstuhl gefesselte Mutter von Petra, war körperlich zwar hinfällig, doch stahlhart in der Unterdrückung der Tochter. Auch sie leistete sich noch einen Liebhaber. Alfred Kleinheinz spielte seinen Sepp wie einen abgehalfterten, doch immer noch sehr kultivierten Eintänzer.  

Sierk Radzei (Franz) und Miguel Abrantes Ostrowski (Karl) gestalteten das am Rande der Verzweifelung wandelnde und daher zu allem bereite Brüderpaar. Das Duo verkörperte sehr überzeugend eine „lost generation“, die auf der Suche nach einem neuen Morgen immer nur wieder sich selbst begegnen: „ihr seid die stumpfe, dumme, impotente Zeit / das ewig Gleiche“. Valerie Pachners Petra ging in ihrer Verzweifelung noch darüber hinaus. Sie forderte ein, was niemand ihr zu geben gewillt war. Nähe und Körperlichkeit. Für einen Moment konnte man sie für eine Hoffnungsträgerin halten, - bis das Kind geboren war, um die Welt zu fressen.

Es war ein düsterer Theaterabend, der dennoch über weite Strecken auf komische Weise unterhielt und zum Nachdenken anregte. Die Schauspieler transportierten und interpretierten die Texte feinsinnig und schlüssig, was wahrlich nicht einfach war. Es waren die durchdeklinierten Detailfragen, die amüsierten. Angesichts der apokalyptischen Endaussage, waren jedoch Zweifel nicht unangemessen. Geschichte endet nie. Der Mensch lässt sich zu dieser Annahme leicht verführen, weil er sich eine Geschichte ohne ihn selbst nicht vorzustellen vermag. Es ist aber eine unumstößliche Wahrheit. Und sie ist allemal gut dazu, dass sich der Erdenmensch endlich aus dem Schlamm und über die Wattwürmer erhebt, um humanistische Geschichte zu gestalten. Dieser Ansatz wäre hilfreicher.

 

Wolf Banitzki

 

 
 

DEA räuber.schuldengenital    

von Ewald Palmetshofer

Arnulf Schumacher, Ulrike Willenbacher, Renate Jett, Alfred Kleinheinz, Sierk Radzei, Miguel Abrantes Ostrowski, Valerie Pachner

Regie: Alexander Riemenschneider