Theater im Marstall Rattenjagd von Peter Turrini
Zu kurz gedacht und nicht gestolpert
Erlebt 68 eine Renaissance? In der Mode ist das unbestritten, wenngleich solche ästhetischen Ausflüge in die Historie nicht länger als ein oder zwei Jahre anhalten. Mode ist halt doch nur eine Hysterie, flüchtig. Kommt vielleicht der Geist von 68 zurück? Keine Bange, denn das würde eine kampfbereite, hungrige und bissige Jugend verlangen. Nein, es ist nur ein wenig Retrospektive, ein Erinnern, quasi vierzigjähriges Jubiläum, analytisch und mehr von oben herab. Wie viele wahre 68er gab es eigentlich? Das lässt sich leicht ermitteln. Man zähle deren Buchveröffentlichungen in diesem Jahr und die darin formulierten (gegensätzlichen) Meinungen. Und wenn überhaupt, dann kann es nur der Langhans sein, der den Stein der 68er-Weisen gefunden hat …
Spaß beiseite. Nach der Inszenierung von Kroetz`s "Heimarbeit" setzt das Residenztheater den Weg des praktischen Erinnerns mit "Rattenjagd" von Peter Turrini fort. Es sind zwei sehr ungleiche Stücke, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Kroetz lieferte ein Sittenbild, das zur Zeit der Entstehung einen Schock ausgelöst haben mag. Heute ist es, wegen der fortgeschrittenen Verrohung künstlerischer und medialer Bilder kaum noch einen Seufzer wert. Turrini hingegen schuf ein Werk, das weit über den von der Dramaturgie beschriebenen Ansatz hinaus wirkt. Normalerweise übertreiben Dramaturgen, interpretieren hinein, was auf der Bühne nicht sichtbar gemacht werden kann. In der Marstall-Inszenierung von "Rattenjagd" geschah eher das Gegenteil.
Erlebt 68 eine Renaissance? In der Mode ist das unbestritten, wenngleich solche ästhetischen Ausflüge in die Historie nicht länger als ein oder zwei Jahre anhalten. Mode ist halt doch nur eine Hysterie, flüchtig. Kommt vielleicht der Geist von 68 zurück? Keine Bange, denn das würde eine kampfbereite, hungrige und bissige Jugend verlangen. Nein, es ist nur ein wenig Retrospektive, ein Erinnern, quasi vierzigjähriges Jubiläum, analytisch und mehr von oben herab. Wie viele wahre 68er gab es eigentlich? Das lässt sich leicht ermitteln. Man zähle deren Buchveröffentlichungen in diesem Jahr und die darin formulierten (gegensätzlichen) Meinungen. Und wenn überhaupt, dann kann es nur der Langhans sein, der den Stein der 68er-Weisen gefunden hat …
Spaß beiseite. Nach der Inszenierung von Kroetz`s "Heimarbeit" setzt das Residenztheater den Weg des praktischen Erinnerns mit "Rattenjagd" von Peter Turrini fort. Es sind zwei sehr ungleiche Stücke, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Kroetz lieferte ein Sittenbild, das zur Zeit der Entstehung einen Schock ausgelöst haben mag. Heute ist es, wegen der fortgeschrittenen Verrohung künstlerischer und medialer Bilder kaum noch einen Seufzer wert. Turrini hingegen schuf ein Werk, das weit über den von der Dramaturgie beschriebenen Ansatz hinaus wirkt. Normalerweise übertreiben Dramaturgen, interpretieren hinein, was auf der Bühne nicht sichtbar gemacht werden kann. In der Marstall-Inszenierung von "Rattenjagd" geschah eher das Gegenteil.
Anne Schäfer, Matthias Lier © Thomas Dashuber |
Zitat Website des Staatsschauspiels: "Peter Turrini beschreibt das Problem des Kennenlernens in einer Gesellschaft, die Identität über Konsumgüter definiert und mit roher Gewalt auf Menschen reagiert, die sich außerhalb dieser kapitalistischen Ordnung zu begegnen suchen." Christina Zintl versuchte in ihrem Beitrag im Programmblatt zur Inszenierung nachzuweisen, dass in der heutigen Welt so existenzielle Fragen gar nicht gestellt werden brauchen, da wir uns eine Wirklichkeit geschaffen haben, in der jeder für sich Mittelpunkt und Zweck ist. Von Unverbindlichkeit beherrscht, sucht das Individuum die permanente "Perspektivenmaximierung", was schlicht bedeutet, eine größtmögliche Anzahl von Menschen an sich zu binden, oder auf sich aufmerksam zu machen. Der beste Weg ist dabei das Internet, denn in ihm kann jede Störung weggeklickt werden. Da fragt man sich doch erstaunt, wie befriedigend kann ein Geschlechtsakt im second life sein? Für Christina Zintl scheint das Problem eher eine Disharmonie zu sein, die sich wegerziehen oder wegbeten oder wegpsychologisieren lässt. Warum kommt sie nicht auf den Gedanken, dass es ein unüberwindlicher Antagonismus ist, der die Gesellschaft als unmenschlich in Frage stellt? Turrini tut das, denn der Tod ist das Ende, das radikalste immerhin.
Worin liegt der Sinn dieses absoluten und uneingeschränkten Individualismus? Wie glaubhaft kann diese These sein und was hat sie mit dem Stück von Turrini zu tun. Gewiss, bestimmte Erscheinungen der Realität lassen sich adaptieren und die Vorgänge heutig erscheinen wie Internet, Währung etc. Allein, es geht nicht, um das "Kennenlernen". Hier hat die Dramaturgin zu kurz gedacht. Auch wenn die Protagonisten es so (metaphorisch) formulieren, es geht um eine weitaus größere Fragestellung. Es geht um die Erkenntnis, was der Mensch ist und was er sein kann. Ist er freies selbstbestimmtes Wesen oder doch nur Produkt der Umwelt? Wenn "Sie" und "Er" sich kennenlernen wollen, dann, um dem menschlichen Wesen im anderen zu begegnen, um selbst Mensch sein zu können!
Turrini, und darin liegt der deutliche Hinweis für die philosophische Fragestellung, beantwortet sie mit einem pessimistischen Ende. Als die Protagonisten die Insignien der auf Besitz orientierten bürgerlichen Gesellschaft überwunden hatten, unterschieden sie sich in den Augen der Gesellschaft nicht mehr von den Ratten, die man auf der Müllhalde lustvoll tötete. So, und nur so kann und sollte das Stück verstanden werden. Es gibt kein Entrinnen aus der Gesellschaft, es sei denn, der Mensch verändert die Gesellschaft!
Regisseurin Nilufar K. Münzing folgte der Fährte ihrer Dramaturgin nicht. Der Zuschauer erlebte einen echten guten Turrini, brachial, sprachlich derb und inhaltlich verstörend. Anne Schäfer und Matthias Lier agierten heutig in Gestik und Haltung und bewiesen so die Unvergänglichkeit des Themas. Im sehenswerten Bühnenbild von Christiane Becker, bestehend aus den Schlünden von Abwasserkanälen, vollführte Anna Schäfers "Sie" die Wandlung einer jungen Frau vom Abziehbild deutscher Medienideale hin zu einem lebenshungrigen Geschöpf, das sich lustvoll selbst spürte, als die Verkleidungen abgefallen waren. Matthias Lier, eingangs der harte coole Typ: "Ich bin ein Mann, ich muss töten!", stand am Ende zu seiner Unvollkommenheit und akzeptierte die eigene Sehnsucht nach wirklicher menschlicher Begegnung. Mit diesen Haltungen hatten beide das Schlimmste getan, was in der heutigen Leistungsgesellschaft getan werden kann. Sie hatten sich als menschliche Wesen zu erkennen gegeben, die sich den Konformitäten, vermeintlich modernen Lebens verweigern. Das elfte Gebot: Sei Konsument, dann bist du!, war gebrochen worden. Darauf steht heute der Tod, zumindest der soziale. Bei Turrini, der Halbheiten verabscheut, folgt der physische Tod auf dem Fuß.
Die Inszenierung lebte von der jugendlichen Dynamik und dem Facettenreichtum der beiden Darsteller. Sie berührte, machte nachdenklich und erinnerte daran, dass es mal einen gesellschaftlichen Aufbruch gab, der einen besseren Menschen vor Augen hatte. Nichts wäre heute so destruktiv wie die Hinwendung zu einem echten, auf Liebe und Solidarität fußendem gesellschaftlichen Bewusstsein. Der Mensch könnte sich aus den quälenden Fängen seines Egoismus befreien. In "Rattenjagd" findet sich dieser Ansatz.
Worin liegt der Sinn dieses absoluten und uneingeschränkten Individualismus? Wie glaubhaft kann diese These sein und was hat sie mit dem Stück von Turrini zu tun. Gewiss, bestimmte Erscheinungen der Realität lassen sich adaptieren und die Vorgänge heutig erscheinen wie Internet, Währung etc. Allein, es geht nicht, um das "Kennenlernen". Hier hat die Dramaturgin zu kurz gedacht. Auch wenn die Protagonisten es so (metaphorisch) formulieren, es geht um eine weitaus größere Fragestellung. Es geht um die Erkenntnis, was der Mensch ist und was er sein kann. Ist er freies selbstbestimmtes Wesen oder doch nur Produkt der Umwelt? Wenn "Sie" und "Er" sich kennenlernen wollen, dann, um dem menschlichen Wesen im anderen zu begegnen, um selbst Mensch sein zu können!
Turrini, und darin liegt der deutliche Hinweis für die philosophische Fragestellung, beantwortet sie mit einem pessimistischen Ende. Als die Protagonisten die Insignien der auf Besitz orientierten bürgerlichen Gesellschaft überwunden hatten, unterschieden sie sich in den Augen der Gesellschaft nicht mehr von den Ratten, die man auf der Müllhalde lustvoll tötete. So, und nur so kann und sollte das Stück verstanden werden. Es gibt kein Entrinnen aus der Gesellschaft, es sei denn, der Mensch verändert die Gesellschaft!
Regisseurin Nilufar K. Münzing folgte der Fährte ihrer Dramaturgin nicht. Der Zuschauer erlebte einen echten guten Turrini, brachial, sprachlich derb und inhaltlich verstörend. Anne Schäfer und Matthias Lier agierten heutig in Gestik und Haltung und bewiesen so die Unvergänglichkeit des Themas. Im sehenswerten Bühnenbild von Christiane Becker, bestehend aus den Schlünden von Abwasserkanälen, vollführte Anna Schäfers "Sie" die Wandlung einer jungen Frau vom Abziehbild deutscher Medienideale hin zu einem lebenshungrigen Geschöpf, das sich lustvoll selbst spürte, als die Verkleidungen abgefallen waren. Matthias Lier, eingangs der harte coole Typ: "Ich bin ein Mann, ich muss töten!", stand am Ende zu seiner Unvollkommenheit und akzeptierte die eigene Sehnsucht nach wirklicher menschlicher Begegnung. Mit diesen Haltungen hatten beide das Schlimmste getan, was in der heutigen Leistungsgesellschaft getan werden kann. Sie hatten sich als menschliche Wesen zu erkennen gegeben, die sich den Konformitäten, vermeintlich modernen Lebens verweigern. Das elfte Gebot: Sei Konsument, dann bist du!, war gebrochen worden. Darauf steht heute der Tod, zumindest der soziale. Bei Turrini, der Halbheiten verabscheut, folgt der physische Tod auf dem Fuß.
Die Inszenierung lebte von der jugendlichen Dynamik und dem Facettenreichtum der beiden Darsteller. Sie berührte, machte nachdenklich und erinnerte daran, dass es mal einen gesellschaftlichen Aufbruch gab, der einen besseren Menschen vor Augen hatte. Nichts wäre heute so destruktiv wie die Hinwendung zu einem echten, auf Liebe und Solidarität fußendem gesellschaftlichen Bewusstsein. Der Mensch könnte sich aus den quälenden Fängen seines Egoismus befreien. In "Rattenjagd" findet sich dieser Ansatz.
Wolf Banitzki
Rattenjagd
von Peter Turrini
Anne Schäfer, Matthias Lier und Cornelia Pollak, Dennis Herrmann Regie Nilufar K. Münzing |