Theater im Marstall Endspiel von Samuel Beckett


 

 

Die tolldreisten Streiche der Sarah Schley

Im Jahr 1953 schrieb der irische Dichter Samuel Beckett: "Ich kann weder vor noch zurück." Gut zwei Jahre dauert dieser literarische Findungsprozess und am Ende standen zwei Werke, die Beckett seine liebsten nannte: "Der Namenlose" und "Endspiel". Der Dichter hatte eine Metamorphose durchlaufen. Er war vom intuitiver Schreiber, seinem Werk und der Entstehung ausgelieferten, zum kalkulierenden Dichter avancierte. Der Entstehungsprozess von "Endspiel" durchlief drei Fassungen, in denen das Werk außerordentliche Wandlungen erlebte. Am Ende war es ein dramatischer Text, der wie kein anderer zuvor so exakt durchgearbeitet war. Nichts, aber auch gar nichts in diesem Text ist zufällig, alles ist gewollt. Und kaum ein dramatischer Text Becketts kann so intensiv wirken wie dieser, wenn er denn auch gespielt wird, wie Beckett wollte, dass er gespielt wird.

Schauen wir nach München: "Nicht unschuldig auch der Regisseur Beckett, dessen gut dokumentierte Berliner Inszenierungen der eigenen Werke in ihrem Bemühen um größtmögliche Präzision wohl eher zu Monumenten (und leider zu Modellen) erstarrt sind. Es ist Zeit, den heiligen Beckett von dem Sockel zu nehmen, auf dem er nie gut stand." Kein geringer Anspruch, den Dramaturg Georg Holzer im Faltblatt zur Inszenierung artikuliert. Zudem, wenn man seine Meinung nicht teilt, dass Beckett ein Säulenheiliger sei. Es haben Heerscharen von Regisseuren in ihrem Bemühen, Beckett einer letzten Erklärung zu unterziehen, hinlänglich versagt. Die Inszenierungsgeschichte Beckettscher Stücke ist eine Geschichte von Theaterdesastern. Beckett ein heiliges Vorzeichen zu verliehen geschieht vornehmlich durch die Zeitgenossen, die nie eine Zeile von ihm gelesen haben, es aber schick finden, seinen Namen im Munde zu führen.
 
   
 

Claus Eberth, Matthias Eberth

© Thomas Dashuber

 

 

Was beabsichtigte nun die Münchner Inszenierung im Marstall? Holzer formulierte es so: "Also gilt es, Becketts Clowns wieder zu entdecken, die Figuren, die nicht Nihilismus und Pessimismus vorführen, sondern gerade das Gegenteil: dass der Mensch zum Nihilismus unfähig ist und sich noch in der aussichtslosesten Situation eine Hoffnung, ein Ziel und ein Spiel überlegt." Das versetzt in Erstaunen! Ist Beckett letztlich durch sich selbst noch missverstanden worden? Allein, wenn man sich Inszenierungen von Beckettscher Hand anschaut, beispielsweise "He Joe", findet man nicht ansatzweise einen vom Schauspieler propagierten Nihilismus und das war auch nie Becketts Anliegen, einen solchen zu befördern. Vielleicht vermag ein Satz aus "Der Namenlose" zu verdeutlichen, was augenscheinlich nicht verstanden wird: "(…) ich bedaure nur, geboren zu sein, Sterben ist eine so lange, mühselige Sache, fand ich immer." Es ging Beckett nie darum, Nihilismus oder Pessimismus zu verbreiten, sondern Realismus. Wie das Publikum seinen Realismus aufnimmt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Folglich kann das folgende Zitat von Raymond Federman eigentlich nur ein therapeutischer Ansatz sein, Beckett mit Beckett auszutreiben und den Zuschauer von vornherein vor Verwirrung zu schützen. "Becketts Lachen räumt auf mit dem letztgültigen Glauben ans Tragische als philosophische Wahrheit, die das letzte Wort zu allem behält. Wer über das letzte Wort lacht, sagt damit, dass es kein letztes Wort gibt. Das Wesentliche bei Beckett ist es, uns anzustiften, die tragische Sackgasse und die graue Erzählung von menschlichen Unglück einfach auszulachen." Warum Herr Holzer diesen Unsinn auch noch unter die Leute bringt, rührt vermutlich daher, dass er den Text von Federman ins Deutsche übersetzt hat.

Das war aber längst nicht der tolldreisteste Streich, den man Beckett und Publikum hier spielte. Allerdings ist es schwer, den Verantwortlichen dafür auszumachen. Ist es die 1973 geborene Regisseurin Sarah Schley, die sich ganz augenscheinlich durch Oberflächlichkeit und Verantwortungslosigkeit diesem Text gegenüber auszeichnet? Oder doch Dramaturg Georg Holzer, der sich hier anschickte, Beckett völlig neu zu erfinden. Immerhin versagte man gemeinschaftlich, wenn man meinte: "Ihr (gemeint sind die Akteure des Stückes. - Anm. W.B.) ständiges Scheitern hält sie frisch. Sie sind zum Spielen aufgelegt, spielsüchtig. Vier Menschen auf einem Bild, das ein Verrückter (Samuel Beckett?- Anm. W.B.) gemalt hat."

Um einmal richtig zu stellen, dass es sich bei Endspiel (Fin De Partie) nicht um ein Spiel handelt, folgende Antwort Becketts auf die Frage, es solle doch vermutlich "Ende des Spiels" heißen? Beckett: " Nein! Es heißt Endgame - Endspiel, wie beim Schach." Was für ein Spiel hatte Sarah Schley vor Augen, als sie sich von Stefan Hageneier ein Bühnenbild gestalten ließ, dass ein Tennisplatz oder eine überdimensionale Ping-Pong-Platte vorstellen könnte? Immerhin, schön anzuschauen war es, wenngleich der Sinn verborgen blieb. Nein, hier geht es nicht um ein Spiel, sondern um eine dramaturgische (und auch philosophische) Konstellation, die Beckett einem Buch von (Co-) Autor Marcel Duchamp entnommen hatte. Duchamp, dessen Leben und Werk sich unter der Metapher Schach zusammenfassen ließe, schrieb dazu: "Schach ist ein Sport. Ein mörderischer Sport (…) der in den gegebenen geometrischen Mustern und Variationen des jeweiligen Figurenaufbaus künstlerische Konnotationen ebenso impliziert wie im Gespür für taktisch-strategische und stellungsbedingte Querverbindungen. Aber es hat etwas Trauriges - ungefähr so wie religiöse Kunst - das Schachspiel ist nicht sonderlich lustig. Wenn es etwas ist, dann Kampf."

Um es noch einmal mit Nachdruck zu formulieren, "Endspiel" hat eine innere Struktur, in die man nicht eingreifen kann, ohne zu zerstören. Daher ist es notwendig, die Struktur zu ergründen, um sie interpretieren zu können. Beckett sah darin nichts kompliziertes: "Hamm ist ein König dieser von vornherein verlorenen Schachpartie. Er weiß von Anfang an, daß er durchsichtige, unsinnige Züge macht. Daß er mit solchen Patzern keinerlei Fortschritte macht. Jetzt am Schluß macht er ein paar unsinnige Züge, wie sie nur ein schlechter Spieler machen würde. Ein guter hätte längst aufgegeben. Er versucht nur, das unvermeidliche Ende hinauszuzögern. Jede seiner Gesten ist einer der letzten unnützen Züge, die das Ende hinausschieben. Er ist ein schlechter Spieler." Hier schließt sich denn auch der Kreis zum Namenlosen: "Sterben ist eine so lange, mühselige Sache …" Und genau darum geht es, wenn es im Stück heißt, etwas geht seinen Gang.

Sarah Schley lässt Claus Eberth und Matthias Eberth spielen, als hätte das Drama eine Geschichte, als steuere es auf irgendeinen Punkt hin. Am Ende ist kein Ziel, sondern das Nichts, das, was den Menschen von jeher am meisten schreckt. Unübersehbar das krampfhafte Bemühen, Leichtigkeit zu erzeugen, um die "Geschichte" erträglicher zu machen. Unter dem Strich wurde so ziemlich alles unterdrückt, was Wirkung erzeugt hätte, wenn es um den Fortgang der Geschichte, nämlich um das Sterben im Leben geht. Dabei ist das Stück komisch. Es ist aber nicht die Komik, die wir aus den Comedy-Shows kennen, wo immer auf Kosten einer anderen Person gelacht wird. Hier wird das Versagen am Sterben lächerlich, das Äußerste, auf das Beckett verwies, wenn es ums Lachen geht. Und das Äußerste beschreibt das, was am weitesten entfernt scheint und dabei in uns ist, nämlich der Tod. Es ist schon komisch, wenn ein Blinder seine Blindenbrille putzt. Das wären die Momente gewesen, in denen man das Anliegen Becketts deutlich hätte machen können. So wurde nur das Bemühen der Regisseurin, einen "hippen" Beckett zu machen deutlich, der oberflächlich, glatt, schick und designed daher kam. Neu war das nicht und lustig schon gar nicht. Vielleicht sollte die ja noch junge Regisseurin (Sie hat ja noch viel Zeit bis zum Nichts.) noch etwas reifen und sich gründlicher mit den Vorlagen und deren Vergangenheit auseinandersetzen. Dann würden uns derartige tolldreiste Streiche erspart bleiben.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


Endspiel

von Samuel Beckett

Claus Eberth, Matthias Eberth

Regie: Sarah Schley