Das Chamäleon

Marstall Das Chamäleon: Wer "Ich" sagt, lügt schonmal  Eine Diskursrevue von und mit Jürgen Kuttner


 

 

Qualitätsquatsch

Kuttner klärt wieder einmal auf. Dieses Mal über das Ich. Obgleich doch jeder eins hat, (Das ist eine These!), mangelt es doch überwiegend an Bewusstsein desselben, an Selbstbewusstsein. Kuttner kann’s. Doch ehe die Diskursrevue begann, waren einige Erklärungen notwendig. So entschuldigte sich Kuttner für das Fehlen der großen Revuetreppe und die Abwesenheit der langbeinigen Girls, die diese Treppe betanzen sollten. Die Mittel sind halt begrenzt, auch am Residenztheater. Aber Kuttner, gebürtiger Ostdeutscher, wie eines seiner Kostüme für die Zuschauer, die es noch nicht wussten, verriet, weiß Mangel zu verwalten und tat es in bester DDR-Manier. Er schulte erst einmal das Publikum, dem nebenher angekündigt wurde, dass es sich einbringen dürfte im Spiel. Vor allem aber ging es darum, herauszufinden, ob das Publikum zu frenetischem Applaus fähig sei. Es war und so konnte es nun nach gut 20 Minuten Erklärung endlich losgehen. Angekündigt wurde „Qualitätsquatsch“. Die Qualität trat bereits mit der Ankündigung zutage, denn das Kompositum „Qualitätsquatsch“ ist eine Alliteration, also ein künstlerisches Stilmittel.

Kuttners ausgefeilte Sprechkultur ließe sich am ehesten mit einer Maschinenpistole, einer Kalaschnikow vergleichen. Und so feuerte er, auf Zehenspitzen tänzelnd im goldenen Frack unentwegt ins Publikum, wobei er einen riesigen Bogen schlug, von der Philosophie über die Literatur, durch die experimentelle Psychologie in die Profanbereiche unserer Gesellschaft, wie Baumärkte etc., um endlich in der Bühnenkunst zu stranden. Und wer eignet sich besser dazu, das Ich zu erklären, als der Schauspieler. Der hat nämlich kein Ich und so stellt er im Laufe seines Lebens auf der Bühne eine Vielzahl von Ichs vor, um den Mangel an eigenem Ich auszugleichen. Um die Sache anschaulich zu gestalten, hatte Kuttner drei Menschen verpflichtet, die er sein „Reenactment –Trio“ nannte. Reenactment ist Englisch und bedeutet so viel wie Wiederaufführung einer historischen Begebenheit oder das Nachstellen einer solchen mit hohem Authentizitätsanspruch. Sie selbst nannten sich schlicht und ergreifend: Identitätsdiebe. Diese Tätigkeit wird bisweilen in der Welt außerhalb des Theaters recht stattlich vergütet.

Dass sich derartige Tendenzen auch am Residenztheater entwickelt haben, war bislang unbekannt. Umso mehr erstaunte es, denn es ist doch eher ein anrüchiges Gewerbe, dass sich drei von ihnen an diesem Abend outeten: Gunther Eckes, Arthur Klemt, Genija Rykova. Die Premiere sollte, wie es der Zufall wollte, zugleich ein Initiationsritus oder besser eine Gesellenprüfung für Arthur Klemt sein, dem Novizen in der Gilde. Er überzeugte mit einem Interview Robert De Niros in Kostüm und Maske aus „Taxidriver“ und mit der authentischen Stimme zumindest in der Darstellung. Inhaltlich war es eher abwegig und der Wahrheitsfindung nicht unbedingt dienlich. Dass er nicht der erste war, der sich der Identität De Niros bediente, beweist die Tatsache, dass Kuttner in den Besitz eines Tonträger gelangt war, auf dem zu seiner Verblüffung Robert De Niro „Das kommunistische Manifest“ las, mit dem bekanntlich vor gut 160 Jahren der Untergang des „Ichs“ eigeläutet wurde.

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Jürgen Kuttner

© Konrad Fersterer

 

Wen das bereits in Erstaunen versetzte, musste allerdings um seinen Verstand fürchten, als Kuttner an Hand von authentischen Tondokumenten nachwies, dass sich das „Langsam Sterben“ 1-6 des Bruce Willis im deutschen „Praktiker-Baumarkt“ manifestiert hat. Oder die Begegnung der drei „Gotten“ (Alle drei gaben vor der eine, derselbe Gott zu sein, daher Gotten.) in einer Klappsmühle. Hier gingen die Darsteller bis zum Äußersten, gingen übers Wasser, verwandelte dieses in Wein oder starben am Kreuz. Kuttners Fragen und auch seine Antworten gingen unter die Haut, beängstigten, verwirrten, entblößten. So reduzierte er die Entwicklungsgeschichte des Ichs auf drei Zeitalter. Das erste, das dunkle, wusste vom Ich nichts oder nicht allzu viel. René Descartes brachte Licht in dieses Dunkel, als er feststellte, „Cogito ergo sum“, „Ich denke, also bin ich.“ Dieser philospische Irrtum hielt sich sehr zäh und erstaunlich lange und wurde endlich 1975 durch Juliane Werding richtig gestellt, als sie formulierte: „Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst!“

Letzte Wahrheiten des Abends bestanden schließlich darin, dass der Opportunismus, der leichthin als moralische Schwäche gehandelt wird, die Rettung an sich bedeutet. Es gibt dafür eine Schrift, die das hinlänglich belegen kann: Brehms Tierleben. Darin kann man ablesen, dass Anpassungsfähigkeit Überleben und Entwicklung sichert. Man sollte darum den Opportunisten als Helden und Vorbild sehen und nicht den Querulanten. Diese und etliche andere Weiheiten hielt der fulminante Abend für die Zuschauer parat. Und natürlich hatte Kuttner untertrieben, als er von der Schmucklosigkeit des Abends sprach, angesichts der fehlenden Revuetreppe und den Tanzgirls. Maximilian Lindners Bühne, bestehend aus mit unterschiedlichsten Motiven bedruckten Wänden stellten eine nicht unbedeutende Illusionsmaschinerie vor. Sie vermochte es immerhin, Unsichtbarkeit zu erzeugen, z.B. wenn die Darsteller hinter ihnen standen, aber auch, und das machte den Abend neben anderen magischen und intellektuellen Wunderblumen so einzigartig, wenn Showmaster Kuttner davor stand. Wer das nicht mit eigenen Augen gesehen hat, wird es sich schwerlich vorstellen können.

Das Reenactment –Trio, bestehend aus Gunther Eckes, Arthur Klemt und Genija Rykova erzeugten zudem die Illusion, in gefühlte 1000 Identitäten geschlüpft zu sein, wobei der Zuschauer ernstlich ins Grübeln geriet, ob es sich nicht tatsächliche um das Original handelte. Kleine, kaum merkliche Signale, beispielsweise wenn der Bart nicht mehr unter der Nase, sondern auf der Stirn, resp. auf dem Helm klebte, erwiesen sich bei der Orientierung als hilfreich.

Ein unvergesslicher Abend war es unbedingt, allein schon wegen der enormen Penetranz des Jürgen Kuttner, eine echte Stinkmorchel in unserem gutbürgerlichen Garten aus Beschaulichkeit. Die gute Nachricht: Genija Rykova machte mit ihren Reizen das Fehlen wenigstens der Hälfte der Revuegirls vergessen. Die weniger gute: Drei Zuschauer haben das zweifelhafte Vergnügen auf die Bühne zu dürfen, um Edward Norton, Brad Pitt und Helena Bonham Carter in „Fight Club“ (David Fincher 1999) zu imitieren.

Wer allerdings nun glaubt, was Kuttner und sein Team zum Besten gaben, sei Blödsinn, der irrt gewaltig. „Qualitätsquatsch“ trifft es tatsächlich wesentlich besser! Immerhin, und das soll nicht verschwiegen werden, war der Titel des Abends durch die Schriften des Theodor W. Adorno inspiriert.

 

Wolf Banitzki

 


Das Chamäleon: Wer "Ich" sagt, lügt schonmal

Eine Diskursrevue von und mit Jürgen Kuttner

Gunther Eckes, Arthur Klemt, Jürgen Kuttner, Genija Rykova

Regie: Jürgen Kuttner