Marstall  Foxfinder von Dawn King


 

Und wieder neigt sich die Waage …

Ein Bauernhof. Die Ernte wird aller Wahrscheinlichkeit nach schlecht ausfallen. Im März ist der Sohn des Farmerehepaares Samuel und Judith Covey ums Leben gekommen. Es war ein unseliger Unfall, der Samuel derart aus der Bahn warf, dass er über Wochen nicht arbeiten konnte. Im Land, in dem beinahe alles unter Kontrolle ist, gibt es eine Seuche. Füchse. Niemand hat sie gesehen, doch man ist sich ihrer Existenz gewiss. Auch über ihr Aussehen, ihre Größe und über ihre Blutrünstigkeit weiß man hinlänglich Bescheid, vor allem aber darüber, dass sie für beinahe jede Katastrophe oder Unzulänglichkeit verantwortlich sind. Schließlich können sie sogar das Wetter beeinflussen.

Die prognostizierte schlechte Ernte und der damit verbundene Nahrungsmittelausfall für die Bevölkerung des Landes legt den Verdacht nahe, dass die Covey-Farm befallen ist. Das ruft den Foxfinder William Bloor auf den Plan. Er mietet sich bei den Coveys ein und beginnt seine Nachforschungen. Die entpuppen sich alsbald als hochnotpeinlich. Langsam entsteht der Verdacht, dass die Coveys ihre Pflichten nur unzulänglich erfüllen, dass sie in ihrem Schuldbewusstsein lügen, dass sie kollaborieren mit üblen Propagandisten, die behaupten, dass es gar keine Füchse gäbe, und wieder neigt sich die Waage Justizias zu Gunsten der Staatsgewalt. Die Enteignung, die Verfolgung droht. Und als der Druck schließlich groß genug ist, beginnt Samuel Covey daran zu glauben, dass der Befall durch die Füchse real ist. Der Wahnsinn hat die Oberhand gewonnen und wenn das eintritt, fließt bald Blut.

Dawn Kings kleine Geschichte ist eine große Parabel auf die Welt der Diktaturen, auf ihre Entstehung und auf ihre erbarmungslose Bösartigkeit. Die Menschen, infiziert von perversen Ideologien, von banalen Lügen, büßen alle die ihnen naturgemäß gegebene Menschlichkeit ein und sie sind bereit und gierig darauf, übereinander herzufallen. Angst geht um und: Homo homini lupus est. „Der Mensch ist des Menschen Wolf.“ Oder besser: Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit non novit. „Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen, kein Mensch, wenn man sich nicht kennt.“ Schwer vorstellbar, dass dieser Satz aus der Komödie „Asinaria“ (Eseleien) des Plautus  (ca. 254–184 v. Chr.) stammt. Er ist heute bittere Realität und um darüber lachen zu können, braucht es schon eines recht surrealen Kontextes.

  Foxfinder  
 

Thomas Gräßle, Nils Strunk, Valerie Pachner

© Matthias Horn

 

Im Rahmen des Marstallplans kam das Stück in der Regie von Mirjam Loibl auf die Bühne und es war, um es gleich vorweg zu nehmen, eine überaus gelungene Arbeit. Dafür waren zuallererst die Darsteller verantwortlich, die von der Regie sensibel und frei von billigen Effekten geführt, von der ersten Sekunde an in den Bann (der Geschichte) schlugen.

Valerie Pachner und Thomas Gräßle als Ehepaar Judith und Samuel Covey offenbarten von Anbeginn die vielen Facetten ihres, vom Tod des Kindes gezeichneten Zusammenlebens, das sichtlich gestört war. Mangelndes Vertrauen und Angst vor zu viel Nähe auf Grund der Verletzlichkeit schlug im Laufe der Handlung um in Zweifel, Misstrauen und Fanatismus. Während Judith, inspiriert durch die von Pauline Fusban gespielte Nachbarin Sarah Box, die ebenfalls ins Visier der Staatsmacht geraten war, eine Flucht in Erwägung zog, schlug sich Samuel auf die Seite des Foxfinders William Bloor, um die Füchse zu stellen und damit der Misere ein Ende zu bereiten. Nils Strunks Foxfinder war eingangs ein korrekter Mann, der sich seiner Macht durchaus bewusst war, der aber dennoch mit mönchischer Hingabe seine Aufgabe über seine eigenen Bedürfnisse stellte. Das Engagement Samuels löste bei ihm allerdings Zweifel aus, denn plötzlich wurde der Jäger zum Gejagten, der Treiber zum Getriebenen und in dieser Situation kam es zu unangenehmen Einsichten und Regungen, die schließlich einen Blutzoll forderten.

Einen weiteren Garanten für das Gelingen der Inszenierung lieferte Bühnenbildner Thilo Ullrich. Er brachte einen hölzernen stumpfen Kegel auf die Bühne, der, einmal angestoßen auf fester Kreisbahn seine raumgreifenden Runden zog. Er war auch das Instrument einer unsichtbaren Macht, die alles scannte, alles niederwalzte, alles beherrschte. Die Darsteller konnten sich zwar in das Fachwerkgebilde hineinbegeben, sie wurden aber ebenso vor diesem Monstrum hergetrieben. Eine wirklich gelungene Metapher und ein grandioses Bild. Ebenso zu loben waren die detailliert durchgearbeiteten und gestalteten Kostüme von Eva Bienert. Sie erinnerten an Arbeit mit der Erde, mit der Natur, zweckmäßig und gleichsam integriert im imaginären Raum. Die Musik von Maximilian Loibl machte die Bedrohlichkeit der Situation vollkommen. Die Ängste, die alle Beteiligten beherrschten, waren ebenso vage und unbestimmt, wie die Klänge, die die Szenen immer wieder in unbehagliche Vibrationen versetzte.

Auffällig an dieser Inszenierung war die Disziplin aller Beteiligten, den Text, die Geschichte zu bedienen und die korrekte Umsetzung aller noch so beiläufiger Elemente. Der visuelle Eindruck war ungestört. Die Magie der Bilder griff. Mit großem Vergnügen und mit großer Befriedigung, auch mit Blick auf die nachfolgende Inszenierung von „Alles muss glänzen“, kann attestiert werden, die Jungen können es!

Wolf Banitzki

 


Foxfinder

von Dawn King
Deutsch von Anne Rabe

Mit: Nils Strunk, Thomas Gräßle, Valerie Pachner, Pauline Fusban

Regie Mirjam Loibl