Residenztheater  Für immer schön  von Noah Haidle


 

Der Totentanz um das goldene Kalb

Schönheit ist Pflicht! oder zumindest das, was man heutigentags oder auch anderentags für Schönheit hält. Schließlich wird Schönheit vornehmlich von (im weitesten Sinn) Modeschöpfern definiert. Dabei ist das Wort Modeschöpfer überaus interessant und gleichsam entlarvend. Immerhin war der Akt der Schöpfung bis ins 19. Jahrhundert hinein ausschließlich Gott vorbehalten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts definierte dann ein Philosoph namens Nietzsche Mode als Massenwahn. Und genau so funktioniert Religion, ein Prophet (Karl Lagerfeld hält sich mit Sicherheit für einen) verkündet Gottes Schönheitsideal und eine Gemeinde fällt in einen Wahn. Folglich wohnt Schönheit ein religiöser Anspruch inne; niemand erreicht sie, zumindest in der Selbstwahrnehmung, und so betreibt die Gesellschaft und das Individuum die Anbetung der wandelbaren Gottheit, Moden lösen einander in rascher Folge ab, bis zum Exzess. Cookie erfuhr im Alter von sechs Jahren aus dem Mund ihrer Mutter, dass Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat (tatsächlich war es natürlich andersherum) und, Bäng, Cookie wusste, dass sie die geborene Kosmetikvertreterin ist.

Unermüdlich zieht Cookie, gleich einer Johanna der Lippenstifte, Mascaras und Cremes, ihre Runden durch die Vorstadttristesse, um ihre Garanten für Jugend und Schönheit an den Mann, resp. die Frau zu bringen. Sie ist Dienerin und Königin zugleich, denn Cookie ist eine (Verkaufs-) Legende. Inzwischen selbst in die Jahre gekommen, weiß sie sehr wohl, wovon sie spricht, wenn sie Aging und Schwerkraft erwähnt, was ihrem Enthusiasmus jedoch keinen Abbruch bereitet. Ehrlicherweise geht es gar nicht mehr um Vollkommenheit, soviel Aufrichtigkeit ist immerhin drin, sondern um „permanente Instandsetzung“ und den bloßen Anschein von …was auch immer. Einen Spritzer Parfum an Hals und Handgelenke, die Haare in den Nacken geworfen, das Kinn selbstbewusst nach oben gereckt, das zitronengelbe, eng anliegende Kostüm glattgestrichen, das konspirative Losungswort "It’s showtime!" gesprochen und den Klingelknopf gedrückt. Es ist ein ständiger Kampf, zu dem sich Cookie immer wieder selbst anspornen muss, in dem sie sich selbst die langsam verwelkenden Hinterbacken klatscht, wie einen Arbeitsgaul, der angetrieben werden muss.

Dreißig Jahre trottet sie unter ihrem selbstgewählten Joch und irgendwann beginnt das Blut aus den hochhackigen Schuhen zu quellen. Cookie hat viel verkauft in ihrem Leben, hat, bis auf den „Rosa Cadillac“, den Oscar für Handelsvertreter, alle Preise bekommen, die zu erringen waren. Und sie hat mit unendlich vielen Männern geschlafen, immerhin der Beweis dafür, dass ihre Schönheit, gleichsam ihr Aushängeschild, begehrt war. Sie hat ein Kind namens Dawn zur Welt gebracht, das sie am Ende mit letzter Kraft zu Grabe tragen muss, denn Dawn ist vorzeitig gestrauchelt auf dem ach so verheißungsvollen „American Way of Life“. Für Cookie, die zuletzt blind und abgerissen diesen Weg weiterwankt, hält das Leben bestenfalls noch den Gnadenschuss bereit, um sie von ihrem Leidensweg zu erlösen. Nichts gibt allerdings Anlass, an diese Gnade zu glauben.

  Fr immer schn  
 

Mathilde Bundschuh (Dawn), Juliane Köhler (Cookie)

© Julian Baumann

 

Es ist ein düsteres Stück ohne die geringste Hoffnung, das Noah Haidle schrieb und das Katrin Plötner auf die Bühne des Marstalls brachte. Es drängte sich nach kürzester Zeit der Vergleich mit Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ auf. Doch bald schon zeichnete sich ab, dass Cookie ganz und gar nicht einer aufrecht gläubigen Priesterschaft zur Verkündigung des Marktes angehörte, wie Willy Loman, sondern sowohl Kanone als auch Futter auf dem Markt war. Kanonenfutter nannte man die Soldaten des 1. Weltkrieges, die ausgehoben und ins Feld geschickt wurden, um sich für Ideen abschlachten zu lassen, die, wie sich letztlich herausstellte, doch nicht die ihren waren. Cookie stirbt nicht an gebrochenem Herzen wie Willy, sondern sie wird zum „Menschen als leerlaufende Maschine“, seelenlos, blind, alles vergessend. Die ursprüngliche Idee verschwindet, wie die von ihrer Mutter in die Schuhsohlen gravierte Lyrik, abgewetzt auf einem Weg ohne Ziel.

Katrin Plötner inszenierte eine realistische Geschichte, die in realistischer Sprache abgehandelt wurde, auf einer völlig abstrakten Bühne. Bildnerin Anneliese Neudecker hatte den Raum bis in den Bühnenhimmel hinein mit einer glänzenden, undurchsichtigen Folie ausschlagen lassen, die überwiegend mit rosafarbenem Licht ausgeleuchtet wurde. (Licht Gerrit Jurda) Lili Wanners Kostüme waren ebenso unverbindlich „schön“ gestaltet und bis auf einen existenzialistischen Schwarztupfer harmonisch ins Gesamtbild integriert. Die Masken waren makellos glatt und scheintödlich perfekt. Auf dem ersten Blick assoziierte das Bild eine „cleane“ Welt. Damit sollte wohl die Aufgeräumtheit und die Unverbindlichkeit der bürgerlichen Mitte als die tragende Konsumentenschicht jeder Gesellschaft versinnbildlicht werden. Das machte anfänglich auch durchaus Eindruck. Doch dieser Eindruck verkehrte sich im Lauf des Spiels, das hauptsächlich von Juliane Köhler als Cookie getragen wurde und der für ihr engagiertes Spiel höchstes Lob gebührte. Juliane Köhler gab ihre Cookie als Frau aus Fleisch und Blut und Sexappeal, also durchaus differenziert realistisch und absolut glaubhaft.

Sehr guten Schauspielern, und sämtliche Darsteller des Abends qualifizierten sich für dieses Prädikat, gelingt eine Entfaltung ihrer Aura, so dass sie den Raum nach und nach ausfüllen und ihn dergestalt beherrschen, dass sie auch während ihrer physischen Abwesenheit auf der Bühne präsent sind. Frau Neudeckers Bühne wirkte indes wie ein teflonbeschichteter Raum, in dem sich nichts generalisieren und festsetzen konnte. Mit jedem Abgang verlor sich augenblicklich die Spur der Figur. Besonders auffällig wurde das am Ende, als Juliane Köhler mit bloßen Händen ein Grab aushob und echte Muttererde sichtbar wurde. Das hatte beinahe Erlösungscharakter.

So lagerte über der ganzen Geschichte eine permanente existenzielle Befremdlichkeit, die es dem Zuschauer nicht unbedingt leichter machte, den Realismus in der Geschichte auch in ihren komischen Momenten umfänglich zu rezipieren. Das bremste ebenso die Wucht der Tragik so mancher Figur aus. Mathilde Bundschuhs Dawn als Säugling (Cookies Tochter) suggerierte ein Wesen, das einen starken Willen besaß, der aber unter den Prüfungen des Lebens, und Dawn ging durch etliche, unweigerlich zerbrach, denn sie war für dieses System nicht gemacht. Pauline Fusbans Heather trat in die Fußstapfen Cookies und konnte eine Weile die Illusion von einer begabten Verkäuferin aufrecht erhalten. Doch sie besaß nicht die Zähigkeit, die es für diesen Job brauchte und zog es vor, ihren sozialen und ökonomischen Status über Ehen zu sichern. Zwei ihrer Ehemänner verkörperte Nils Strunk auf denkbar unterschiedlichste Weise. Katharina Pichler fiel die Rolle der durch Cookie betrogenen Ehefrau Vera zu. Sowohl Heather als auch Vera waren die typischen „Vorstadtweiber“, die Dank hinlänglich bekannter Fernsehserien zu einem neuen Klischee aufgebaut wurden.

Es war eine starke Geschichte, von exzellenten Schauspielern engagiert erzählt. Das Programmheft verwies schließlich noch auf die systemkritischen Ansätze, die der Geschichte innewohnen und die von Regisseurin Katrin Plötner auch zur Diskussion gestellt wurden. Indes, es fehlte das letzte Quäntchen Übergriffigkeit auf das Publikum, um die ganze Wucht des Themas zu entfalten. Immerhin unterstellte eine Zuschauerin nach der Premiere von „Tod eines Handlungsreisenden“ im Februar 1949 in New York, „Das (Stück – Anm. W.B.) ist eine Zeitbombe unter dem amerikanischen Kapitalismus.“ (Programmheft zur Inszenierung) Miller hoffte, dass es so sei. Hochgegangen ist sie mit „Für immer schön“ allerdings auch nicht. Und so totentanzt die Welt weiter um das goldene Kalb und konsumiert auf Gedeih und Verderb – wohl mehr auf letzteres.

Der Konsumismus als letzte weltumspannende Religion ist wieder nur eine Krücke für den unvollkommenen Menschen, der nicht in der Lage ist, eine Gesellschaft auf immaterielle Werte (Vernunft wäre so ein Wert!) zu begründen, auch wenn er unentwegt vorgibt, genau dies zu tun. Kaufen und Verkaufen, um nichts mehr geht es und alle Entwicklung scheint sich dem unterzuordnen und dabei zu versanden. Heiner Müller bemerkte nach dem Fall des Ostblock und mit den damit verbundenen Ideen von nicht auf Besitz basierenden Gesellschaften sinngemäß: Hier endet die Geschichte und der reine Geldverkehr beginnt.

Wolf Banitzki

 


Für immer schön

von Noah Haidle

Juliane Köhler, Pauline Fusban, Katharina Pichler, Nils Strunk, Mathilde Bundschuh

Regie: Katrin Plötner

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