Theater im Marstall Der Gehülfe von Robert Walser


 

 

Kein Lob der Welt

"Es ist immer ein Risiko, einen Roman in einen Theaterabend zu verwandeln. Ein Roman, dessen Hauptfigur so schwer fassbar bleibt, macht diese Aufgabe zugleich schwierig und reizvoll." Mit diesen Worten führt Dramaturg Georg Holzer seinen Artikel im Programmheft zur Marstall-Inszenierung von Robert Walsers "Der Gehülfe" aus, der mit "Aus dem Leben eines Kaltblüters" überschrieben ist. In dieser Aussage verbergen sich zwei Thesen, die, wie die ganze Inszenierung vor dem Hintergrund des Walserschen Romans zur Auseinandersetzung reizen. Das Risiko, das Holzer formuliert, ist unwidersprochen. Dass es sich jedoch um das Leben eines Kaltblüters handeln soll, verwundert. Mag sein, dass der dramaturgische Ansatz der Inszenierung unter dieser Prämisse steht, im Roman handelt es sich keinesfalls um einen kaltblütigen Menschen.

Doch zur Geschichte: Joseph Marti tritt als angestellter Bürogehilfe in das Unternehmen des Ingenieurs Carl Tobler ein. Die ganze Sache entpuppt sich für ihn weitestgehend als ein Glücksfall, denn er bewohnt das Turmzimmer der exorbitanten Villa "Abendstern". Er wird auf das vorzüglichste versorgt und die Arbeit lässt sich ohne großes Kopfzerbrechen erledigen. Die Atmosphäre ist familiär; man speist und feiert gemeinsam. Was der unkundige Zuschauer im Stück nicht erfährt, sind zwei wichtige Fakten zum Verständnis der Figuren. Joseph Marti verlor seine vorherige Anstellung wegen seiner Unfähigkeit, die er durch eine Lüge zu vertuschen suchte. Carl Tobler war, ehe er Dank eines plötzlichen Geldsegens in die Selbständigkeit ging, ein unbedeutender Hilfsingenieur. Der Utopist, durch eine glückliche Fügung in den gesellschaftlichen Rang eines "bedeutenden Erfinders" aufgestiegen, ist angesichts seiner lächerlich anmutenden Projekte von vornherein zum Untergang verurteilt.
 
 

 
 

Michael Vogtmann, Stefan Wilkening

© Thomas Dashuber

 

 

Martis Begehr hingegen ist, seine Sache so gut zu machen, dass kein Grund zur Klage oder Anklage gegeben ist. Dabei ist er keineswegs ein Kaltblüter, sondern ein von tiefsten Ängsten beherrschter Mensch. Im Roman wird diese Behauptung durch die fluchtartige und emotional tiefe Hinwendung zur Natur gestützt, in der Inszenierung paradoxerweise durch die Darstellung Stefan Wilkenings. Der gab einen Marti, der stets wie elektrisiert Ausschau hielt nach den Fallstricken seines Daseins. Grüblerisch, devot und gleichermaßen aufbegehrend, schuf Wilkening glaubhaft und eindringlich eine Figur, die kafkaeske und somit tiefenpsychologische Züge trug.
Joseph Marti ist kein Mensch, der (durch Dienen - Georg Holzer) bewusst herrschen, sondern der irgendwie durchkommen möchte in einer Welt aus Demagogie, Selbstentfremdung und aus Dummheit geborenem Horror, der Folter gegen das ungeliebte Kind Silvi (Lena Dörrie) nicht ausspart.
Nicht zuletzt soll auf das Schicksal Walsers verwiesen sein, der sich in der Figur Martis selbst beschreibt und der 51jährig - an der Realität zerbrochen - gegen seinen Willen in eine psychiatrische Heilanstalt eingewiesen wurde.

Die Auseinandersetzung mit dem dramatischen Entwurf auf der Bühne des Marstalls und dem Walserschen Roman muss letztlich unentschieden bleiben, womit die Unternehmung der Theatermacher keinesfalls ins Abseits gerät.
Als Rechtfertigung soll die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz der Unternehmung gestellt werden und die kann nur positiv beantwortet werden. In Zeiten gesellschaftlicher und sozialer Unsicherheiten keimen immer wieder Ängste auf, Ängste die aus der Unwissenheit und Visionslosigkeit resultieren und die in der Figur Joseph Martis Gestalt annehmen. Auch Carl Tobler, gelegentlich ein wenig zu polternd von Michael Vogtmann verkörpert, widerfährt Gerechtigkeit. Er trägt zutiefst menschliche Züge, die gerade im Scheitern als Unternehmer deutlich werden. Anna Riedl als Frau Tobler, in ihrer Gestaltung war sie Stefan Wilkening ebenbürtig, zeigte eine weitere Facette gesellschaftlicher Entwicklung. Ihr kam die Rolle als "gute Hausfrau und Mutter" zu, die sie als solche nur bedingt erfüllen konnte. Dieses voremanzipatorische Familienkonzept ist heute unübersehbar wieder auf dem Vormarsch.

Geht man einmal davon aus, dass die Theatermacher einen Gegenentwurf zu Walser machen wollten, dann wird auch verständlich, warum die lichte Villa Abendstern in der Umsetzung von Bühnenbildnerin Katja Schröder eher an ein Kellerbüro von Charles Dickens erinnert. Dergestalt zündelt die Inszenierung und entfacht einen emotionalen Schwelbrand, der den Zuschauer in das frühkapitalistische 19. Jahrhundert zurück versetzt und Ahnungen verbreitet, die, angesichts der Tagespolitik, nicht zwanghaft aus der Luft gegriffen sind.

Abgesehen davon macht die Inszenierung wieder neugierig auf das Walsersche Werk. Sollte der eine oder andere Zuschauer den Drang verspüren, den 1908 entstandenen Roman zu lesen, so sei ihm dazu geraten. Er komplettiert den Abend und erhält die Bühnenbilder als andere Lesart am Leben.

 
Wolf Banitzki

 

 


Der Gehülfe

von Robert Walser

Michael Vogtmann, Anna Riedl, Lena Dörrie, Stefan Wilkening, Ulrike Arnold, Christian Lerch, Marga Kegel, Yogo Pausch

Regie. Hans-Ulrich Becker
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