Theater im Marstall Phaidras Liebe von Sarah Kane


 

 

Der Untergang als Manifest

Phaidra, mit König Theseus verheiratet, liebt ihren Stiefsohn Hippolytos. Die Liebe bleibt in Euripides Drama, der Vorlage für Sarah Kanes dramatischen Entwurf, unerwidert. Wie bei Euripides steuern auch in Kanes Stück die Helden dem sicheren Untergang entgegen, hier allerdings ohne Mitwirkung der Götter.

Sarah Kane, die mit "Zerbombt", einem dramatischen Aufschrei, erstmals Mitte der neunziger Jahre auf sich aufmerksam machte und die 1999 ihrem Leben mit dem Sprung aus einem Klinikfenster ein Ende setzte, war wohl die kompromissloseste Autorin ihrer Zeit. Nur der denkbar schlimmste Ausgang ihrer Geschichte erschien der Autorin tauglich, die Botschaft zu transportieren. Dramaturgin Andrea Vilter bemerkt im Programmheft zu dieser Art Texten zu Recht, dass es fatal wäre, sich dauerhaft mit dieser Erzählweise auf dem Theater einzurichten. Doch die Provokation ernst zu nehmen, hält sie für richtig und eine Provokation ist die Inszenierung im Marstall unbestritten. Darauf verweist nicht zuletzt der Aufdruck auf der Eintrittskarte: "geeignet ab 16 Jahre".

Regisseur Florian Bösch lebte die Herausforderung orgiastisch aus. Das Appartement des Königssohns ist Müllkippe einer Fastfoodgesellschaft, gleichsam den Seelenzustand Hippolytos beschreibend. Der Part des jungen Blaubluts gelang in dieser Inszenierung am eindrucksvollsten. Oliver Möller gibt überzeugend einen scheinbar zynischen, die Liebe und das Leben verachtenden Juppie, dessen Leben keinen anderen Inhalt mehr hat als die Destruktion. Der sexuelle Akt, ihm selbst zuwider, ist dabei sein Mittel. Er nimmt und verwirft und alle Welt liegt ihm dabei zu Füßen. Der scheinbare Zynismus resultiert aus der uneingeschränkten Aufrichtigkeit und es fällt schwer, dem einsamen Mann zu widersprechen. Seine Wahrheiten sind für alle verstörend und seine abgründige Direktheit in einer Welt des common sense macht ihn letztlich so anziehend.
 
 

 
 

Ulrike Willenbacher, Oliver Möller

© Thomas Dashuber

 

 

Phaidra, gespielt von Ulrike Willenbacher, nähert sich ihm mit dem heftigsten Begehren und wird verschmäht. Doch diese Schmähung ist vielleicht der einzige Beweis für Hippolytos Zuneigung, begründet er sie doch mit dem nachfolgenden Ekel, der ihm aus dem sexuellen Akt erwächst. Leider ist Ulrike Willenbacher, die offen und bis zur Selbsterniedrigung um seinen Körper buhlt, gelegentlich nicht frei von Pathos. Und genau das ist etwas, was dem Stück und auch der Inszenierung abgeht. Hier geht es um das Leben und nicht um einen dramatischen Entwurf desselben. Das Spiel ist kurz (höchstens eine Stunde) und heftig. Andrea Vilter hat an der Vorlage in nicht unerheblicher Weise den Stift angesetzt mit dem Ergebnis, dass den übrigen Darstellern kaum Raum geblieben ist, profilierte Figuren zu etablieren. So bleiben ihre Auftritte, insbesondere die des Arztes (Stefan Wilkening) und des Pfarrers (Marcus Calvin), episodenhaft. Dabei ist der Dialog zwischen Hippolytos und dem Pfarrer, der erscheint, um eine verlorene Seele zu retten, höchst bemerkenswert. In ihm bewies die Autorin ihre Fähigkeit zur tiefer gehenden weltanschaulichen Auseinandersetzung. Beendet wird die ganze Geschichte durch den fast wortlosen Auftritt des Theseus (Felix von Manteuffel), der in einem Blutbad gipfelt. Und wenn hier von einem Blutbad die Rede ist, so kann das getrost wörtlich genommen werden.

Ästhetisch abgründig und inhaltlich alle Grenzen überschreitend ist diese Inszenierung. Sie spricht vornehmlich jugendliche Zuschauer an, die Dank oder nicht Dank der Medien und der Filmindustrie an derartige Bilder gewöhnt sind.

Sarah Kane lehnte die antiken Dramen ab, da sie die Geschichten "nur" erzählten und nicht zeigten. So werden die Zuschauer, die noch an eine Katharsis von innen glauben, schwerlich Zugang finden zu diesem Manifest des Untergangs, das die Autorin vornehmlich für ihre Generation mit blutigen Lettern schrieb.

 
Wolf Banitzki

 


Phaidras Liebe

von Sarah Kane

Lisa Wagner, Ulrike Willenbacher, Marcus Calvin, Felix von Manteuffel, Oliver Möller, Stefan Wilkening

Regie: Florian Boesch
Bühne/Kostüme: Stefan Hageneier
Musik: Martin Schütz
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