Marstall Alpen glühen - Match, Maiandacht und magische Gesänge


 

 

Vorsicht - Mensch!

„Über allen Gipfeln ist ...“ ein Jodeln. Und drunten im Tal wabert der Bürgersinn, das Volksempfinden. Der Herr Geißrathner ist zu Tode gekommen, weil er von einem Türken mit dem Fahrrad angefahren wurde. Natürlich weiß man, dass der Türke realistisch betrachtet keinerlei Schuld an dem Unfall trägt, doch in Oberbayern oder auch in Österreich gelten andere ungeschrieben Gesetze. Da kann ein Türke schon einmal per se schuldig sein, denn er ist: Türke. Aber nicht nur die Türken sind schuldig. Woran? An allem, vermutlich sogar am Wetter. Lustvoll pflegte Thomas Bernhard den hässlichen Deutschen auszustellen und nicht selten traf er dabei ins Tiefschwarze.

In seinen Dramoletten, die unter dem Titel "Der deutsche Mittagstisch" erschienen, verlieh er dem Gemeinsinn eine Stimme aus negativsten Einflüsterungen des beschränkten Geistes. Da ergeht sich ein Polizeibeamter und Fußballgucker namens Kroll (Burchard Dabinnus) in endlosen monotonen Beschimpfungen gegen einen Spieler. Seine Ehefrau Maria (Anna Riedl), sie schlägt ihre Zeit mit Malen nach Zahlen tot, resümiert über den Verfall der Sitten, an dem neben den Türken auch die Jugend und andere Nonkonformisten Schuld sind. Die zwei Nachbarinnen (Gabi Geist und Anne Schäfer) sind in ihrer Wahrheitsfindung während der „Maiandacht“ schon ein Stück weiter. Obgleich sie um die Unschuld des Türken wissen, sollte dieser doch weggesperrt oder ... werden. Ebenso kommt Maria letztlich zu dem Schluss, dass das Zerreißen einer Polizeiuniform durch einen Demonstranten mit der Todesstrafe geahndet werden sollte, denn anders lässt sich die Ordnung nicht aufrecht erhalten.

Wie kann es nur sein, dass der menschliche Geist ohne sichtbaren Grund so pervertiert, so aggressiv wird? Im Marstall boten Georg Glasl (Zither) und Cornel Franz (Szenische Einrichtung) eine Deutung dafür an. Ausgehend von alpenländischer Befindlichkeit, die vielleicht in der Musik ihren trefflichsten Ausdruck findet, wird dieses Identitätsgefühl durch die Skelettierung der Musik unaufhaltsam auf eine ihrer Wesenheiten zurückgeführt, die da lautet: Mir san mir. Da dieses Gefühl aus einer Defensivhaltung heraus artikuliert wird, quasi als Schlachtruf der permanenten Selbstverteidigung, muss es zwangsläufig zur negativen Aggression kommen. Am Ende ist alles möglich.

 
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Salome Kammer, Gabi Geist, Anne Schäfer, Anna Riedl, Georg Glasl

© Thomas Dashuber

 

 

Das musikalische Gegengewicht zu den knappen Bernhard-Texten sind die Stimme von Salome Kammer und die Zither von Georg Glasl. Frau Kammer verlieh der Musik mit wenigen oder auch gar keinen Worten onomatopoetisch, also lautmalerisch, Ausdruck. Das Ergebnis ist erschütternd, denn in den Kompositionen, durchaus mit alpenländischen Schmäh geschwängert, finden sich alle benannten negativen Eigenschaften des Menschen wieder, die im beliebten „Musikantenstadl“ ungehört bleiben. Die Musik treibt die Handlung voran, zersetzt die freundlichen Floskeln und gebiert Fratzen: „Warte nur, balde / Ruhest du auch.“

Das Projekt trägt Werkstattcharakter, entwickelte aber dennoch eine starke Zugkraft und Suggestion. Der Bühnenraum von Silke Mederer, bestehend aus einer Bank auf einem Podest (Alpenaussichtspunkt) und den Aufbauten der Instrumente, versuchte nichts vorzugaukeln. Atmosphäre entstand nicht durch die Ausstattung, sondern durch den Klang. So traute man seinen Ohren kaum, wenn Anna Riedl, ihre Erscheinung ließe vermuten, dass sie keiner Fliege etwas zuleide tun könnte, in derbem Bayerisch Hasstiraden abspulte. Anne Schäfers Verbissenheit, vorgetragen in Gutsherrenmanier, blitzte wie eine Rasierklinge. Gabi Geist, mehr die gutmütig bodenständige Bürgerin, folgte ihr trotz aller Zweifel auf dem Fuß. Im Zweifelsfall der Masse hinterdrein, ist ihre Devise. Besonders hervorhebenswert war dabei die Leistung von Salome Kammer, die neben ihrer exzellenten stimmlichen Interpretation eine eigene Szene hatte, in der sie hochkomödiantisch vier Frauen auf der Almhöhe gab.

Wenn es an diesem gelungenen Projekt etwas zu deuteln gäbe, dann vielleicht an der Übermacht der Musik. Ein wenig mehr Bernhard hätte dies ausgleichen können. Angesichts der Intensität, mit der die Klang- und Sprachbilder auf den Betrachter einstürzten, hätte der Gesang und die Musik allerdings auch ein wenig kürzer sein können. So kamen am Ende einige Längen auf. Aber ungeachtet dessen konnte der Besucher ein Theater erleben, dass Musik und Schauspiel auf kongeniale Weise vereinte und große Wirkung zeitigte. Diese Arbeit sollte man sich nicht entgehen lassen. Man muss kein Freund des experimentellen Theaters sein, um diese Inszenierung genießen zu können.


Wolf Banitzki

 

 


Alpen glühen -  Match, Maiandacht und magische Gesänge

Dramolette von Thomas Bernhard
Musik: Helga Pogatschar, Bernhard Lang, Jan Müller-Wieland
Idee: Georg Glasl

Gabi Geist, Anna Riedl, Anne Schäfer, Burchard Dabinnus, Stimme: Salome Kammer, Zither: Georg Glasl

Szenische Einrichtung: Cornel Franz