Marstall Das Interview von Theo van Gogh


 

 

Schlacht auf weißem Plüsch

Theo van Gogh war ein Provokateur par exellence.  Mit aufreizenden und auch zynischen Äußerungen erboste er immer wieder seine Widersache und auch breite Teile der Bevölkerung. Dabei teilte er in alle Richtungen aus, was sicherlich auch ein Form von Demokratie ist. Naturgemäß ereilte ihn 1984eine Anklage wegen eines Witzes über „zwei kopulierende gelbe Sterne in der Gaskammer“. Dem Schriftsteller Leon de Winter warf er „Vermarktung seines Judentums“ vor. In „Submission“, einem seiner letzten Filme, der in Zusammenarbeit mit der Muslimin Ayan Hirsi Ali entstand, ließ er vier islamische Frauen über ihre Missbrauchserfahrungen sprechen. Islamisten nannte er auch schon mal „Ziegenficker“. In der Folge ergingen Morddrohungen an ihn und an Ayan Hirsi Ali. Sie wurde zeitweise unter Polizeischutz gestellt werden. Theo van Gogh nicht. Er wurde am 2. November 2004 in der der Amsterdamer Linneausstrat von dem islamischen Fundamentalisten Mohammed Bouyeri auf brutale Weise hingerichtet. Nachdem der Täter den Filmemacher niedergeschossen hatte, schnitt er ihm die Kehle durch und heftete mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben an dessen Brust.

Van Gogh war kein Provokateur um der Provokation willen. Vielmehr reagierte er auf sehr heftige Weise auf die Unzulänglichkeiten unserer Welt. Seine Themen reichten von christlichen Moralvorstellungen, über islamischen Fundamentalismus bis zu dem profanen Wertekanon der westlichen Welt. „Das Interview“ (2003) zeigt das Auseinanderklaffen der Ansprüche und Wertvorstellungen in Journalismus und Unterhaltung in heutigen Medien. Van Gogh begriff und definierte dieses Feld als ein Schlachtfeld. Auf diesem Terrain geht es ums Überleben, um „Jeder gegen Jeden“. Der Hintergrund der Geschichte ist einerseits das eklatante Versagen der niederländischen Blauhelmtruppen in Srebrenica 1995, als bei einer ethnischen Säuberung 8.000 Muslime in deren Anwesenheit hingerichtet wurden. Andererseits erlebte der Unterhaltungssektor der Medien einen bis dato ungekannten Boom. Die Produktionsfirma „endemol“ entwickelte derzeit mit einem gewaltigen finanziellen Erfolg die heute weltweit gängigen Formate von „Big Brother“ bis hin zur täglichen „Soap“. Für van Gogh kam es dem unaufhaltsamen Sieg der Massenverblödung gleich.

Die Protagonisten vertreten in van Goghs Film „Das Interview“ genau diese beiden Seiten einer konkreten gesellschaftlichen Situation. Am Tag der Handlung tritt die Regierung der Niederlande wegen des „Massakers von Srebrenica“ zurück. Der  Kriegsberichterstatter Pierre Peters, er hat unter Einsatz seines Lebens auch vom Balkan berichtet, erhält den Auftrag, die Soap-Darstellerin Katja Schuurman zu interviewen. Dabei sei angemerkt, dass Theo van Gogh die Rollen in seinem Film mit den Schauspielern Pierre Bokma und Katja Schuurman besetzt hatte. Um nicht zu irritieren: Die Geschichte ist ein fiktive. Pierre Peters ist überaus enttäuscht, denn er sah den Rücktritt der Regierung längst kommen, darf aber nicht darüber berichten und muss sich stattdessen mit einem „Männer verschlingenden, sehr blonden Silikonwunder“ herumplagen. Das Interview kann nur daneben gehen, denn Katja sieht sich einem arroganten Reporter gegenüber, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen sie und gegen das, was sie repräsentiert, macht. Das Ende ist dennoch sehr überraschend und lässt hinter die Kulissen des Showbizz und des Journalismus gleichermaßen schauen, die sich so unähnlich nicht sind und in denen das Motto gilt: Friss oder werde gefressen!
 
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Birgit Minichmayr, Sebastian Blomberg

© Adrian Ehrat

 

Regisseur Martin Kušej brachte seine Produktion des Neumarkt Theater Zürich auf die Bühne des Marstalls. Sebastian Blomberg und Birgit Minichmayr zogen darin gegeneinander zu Felde. Das Feld, oder besser Schlachtfeld, war von Jessica Rockstroh gestaltet worden und beschränkte sich auf einen einzigen Raum mit Blick auf die Tür zum Appartement und einer Gasse in angrenzende unsichtbare Räume. Der Boden war mit hellem Plüsch ausgelegt. In der folgenden verbalen Schlacht der beiden Demagogen wurde auch schon mal Brust an Brust gekämpft, obgleich die Verachtung beider füreinander wirkliche Nähe gar nicht zuließ. Vorgeführt wurde eine der großartigsten Errungenschaften unserer Medienkultur, nämlich die Fähigkeit herzlich zu umarmen beim Tötungsakt. Birgit Minichmayrs Katja Schuurman war laut, schrill und nicht selten ordinär. Sie spielte auf Hochtouren, ein Starlet auf Koks. Dabei gab ihr die Rolle die Freiheit, zu manipulieren, zu verstören oder einfach nur zu verschrecken. Sebastian Blombergs Pierre Peters war eher introvertiert, selbstquälerisch und bei allem scheinbar sehr fragil. Zu fragil, mochte man meinen, denn den harten Kriegsreporter nahm man ihm auf den ersten Blick nicht ab. Erst seine Geständnisse ließen ahnen, was er durchgemacht hatte und dass er Produkt dessen war, was sich unverdaut in ihm angestaut hatte. Am Ende der Geschichte bekam der Zuschauer einen Eindruck davon, was es heißen kann, im täglichen Medienbetrieb zu überleben.

Der Plot kommt mit großer Wucht. Das Ergebnis erzeugt Entsetzen. Es ist unfassbar, wie Menschen mit Menschen umgehen. Und dabei ist es tagtägliche Realität. Ohne Frage erzeugt Martin Kušejs Arbeit eine Katharsis. Aber, bei allem Respekt vor dem Werk, das sich durchaus sehen lassen kann, hätte die Wirkung deutlich größer sein können. Die verknappte Fassung führte häufig dazu, dass Brüche in der Handlung auftraten, Reaktionen, die nicht unbedingt nachvollziehbar waren. Man tolerierte sie, weil hier zwei Diven aufeinander losgingen, deren Reaktionen nicht zwingend logisch erscheinen mussten. Betrachtet man allerdings das Werk von Theo van Gogh, wird deutlich, wie logisch, wie zwingend alles psychologisch miteinander verwoben ist. Misst man die Inszenierung von Martin Kušej zudem am Film von Steve Buscemi, der auf dem Sundance Festival 2007 Premiere hatte, wird der Unterschied deutlich. Was bei Martin Kušej allzu häufig Behauptung und Deklaration war, hatte im Film gute Gründe. Alles entwickelte sich organisch, so dass die Geschichte, so hart sie am Ende auch aufprallte, immer glaubhaft blieb. Dabei wird vielleicht auch deutlich, denn die Rollen sind ja im Film wie im Stück dieselben und verlangen einen bestimmten Typ Schauspieler, dass die Besetzung zumindest mit Frau Minichmayr nicht die ideale war. Sienna Miller verlieh ihrer Katja Schuurman neben der rolleneigenen Vulgarität einen diabolischen Hintersinn, der schaudern machte.

Es war unbedingt ein sehenswerter Abend, der Martin Kušej und den Darstellern viel Applaus einbrachte. Doch wäre es noch schöner gewesen, wenn man mit einer Arbeit, die ohne Wenn und Aber über die Bühne gegangen wäre, den Mut des umstrittenen und schwierigen Künstlers Theo van Gogh honoriert hätte. Immerhin hat er seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Es wäre an der Zeit, van Goghs Leumund zu entschlacken vom skandallüsternen Beiwerk der Medien, um seine Kunst in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Dabei würden mehr Gesellschaftskritik und weniger Befindlichkeit sichtbar werden.

 

Wolf Banitzki

 

 


Das Interview

von Theo van Gogh

Sebastian Blomberg, Birgit Minichmayr

Regie: Martin Kušej