Marstall The Happy Ending of Franz Kafka`s Castle


 


Theatrale Anarchie und Wohlfühlarena

„Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.“ (Franz Kafka: Das Schloss)

Es war Samstag, den 11. Februar 2012, als die Besucher von „The Happy Ending of Franz Kafkas Castle“ gegen 19.55 Uhr aus der Hauptkasse des Bayerischen Staatsschauspiels abgeholt wurden. Ziel war der verschneite Platz vor dem Marstall, wo man von dröhnenden Posauenenklängen aus den Mündern von vier, von Höllenfeuern illuminierten Engeln empfangen wurde. Es klang, als hätte P.P. Pasolini die Heimkehr des Odysseus mit bayerischen Alphörnern hörbar gemacht. In Tonnen brannten wärmende Feuer. Fetischpatrouillen gingen um und reichten Schnaps aus der Flasche. Kostüme wurden angeboten. Es stand dem Besucher frei, in ein höfisches Ornat zu schlüpfen und so „Jemand vom Schloss“ zu werden.  Die Besucher konnten sich abwechselnd in einem mit dicken Federbetten bestückten schmiedeisernen Bett oder in einer Jurte aufwärmen. Immerhin zeigte das Thermometer 13 Grad unter Null an.

Doch ganz im Gegensatz zu K., der das Schloss in einer scheinbaren Leere vermutete, erschien es dem Theaterbesucher in voller Pracht. Drei starke Projektoren erleuchteten den Marstall in seiner vollen Größe. Auf den Wänden erschienen Kafka-Fragmente und Kommentare. Das Bild beeindruckte. Dann, nach ca. 20 Minuten, öffnete sich das Tor zum Marstall-Schloss und ließ die vorsorglich dick bemäntelten Besucher ein. Hier begann der Unterschied zu Kafka, dessen Josef K. keinen Zugang zum Schloss erhalten hatte. Wer die Projektionen auf der Fassade des Marstalls aufmerksam durchforschte, konnte ein Zitat aus Kafkas „Vor dem Gesetz“, der berühmten Türhüterparabel, lesen. „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Nachdem der Einlass gewährt war, erlebte der Zuschauer im Foyer des Marstalls eine kommentierte Filmprojektion. In einem Schattenspiel, vermutlich war das Filmset eine Petrischale (winzige Kaulquappen schwammen durchs Bild), wurde eine sehr vage Geschichte erzählt, in der die Geburt eines Kindes vorkam, eine Sexszene und eine Figur, die von den Kommentatoren K. genannt wurde. Der Kommentar wurde übrigens in einer slawischen Sprache eingesprochen, vielleicht Tschechisch (Kafka wurde in Prag geboren), vielleicht war es aber auch nur die onomatopoetische Illusion dieser Sprache. Verständlich war im Redeschwall das Wort „Landvermesser“, die Berufsbezeichnung des Josef K. Zwischendurch wurde, wie in einer Performance nicht unüblich, auf Deutsch persifliert, karikiert oder auch nur geblödelt. Dann ging es in den Spielraum des Marstalls.

„Ihr wundert Euch wahrscheinlich über die geringe Gastfreundlichkeit, aber Gastfreundlichkeit ist bei uns nicht Sitte, wir brauchen keine Gäste.“ So bei Kafka. Ganz anders im Schloss von Showcase Beat Le Mot, im Folgenden kurz SCBLM genannt. Die Besucher wurden mit einem Büfett empfangen, an dem sich jeder Gast sein Schnittchen schmieren konnte. Dazu gab es frisch gezapftes Bier. Dann konnte man sich einen gemütlichen Platz an den Wänden des Marstalls suchen, und in eine Welt eintauchen, die ein Gegenentwurf zu Kafkas Schloss, quasi sein glückliches Ende sein sollte.

Dieser Gegenentwurf war eine begehbare Installation, in dessen Zentrum ein fantastischer Phonoturm stand, in dem sich mechanische Musikinstrumente befanden. Um den Turm herum befand sich ein Sammelsurium von szenischen Versatzstücken, deren Sinn manchmal recht vordergründig, andererseits aber auch unergründlich war. Im Spielverlauf wurde manches deutlich und einiges nicht. Es drängte sich der Verdacht auf, dass manches auch sinnfrei angedacht war und erst durch das Auge des Betrachters und dessen Interpretation einen Sinn (geschenkt) bekam. Das Ganze war eine Mischung aus theatraler Anarchie und Wohlfühlarena. Letzteres Dank der unerwarteten Speisung und Einrichtungen wie: „Kafkas kathartischer Sauna, einer mystischen Massagebank und ein Resozialisierungs-Rodeo“.

Die Musik von Albrecht Kunze hatte über weite Strecken etwas Zwingendes. Sie donnerte manchmal wie eine biblische Weissagung oder vereinte alle Anwesenden in einem aggressiven, mitreißenden Rhythmus. Zwischendurch komische Momente, z.B. wenn die Darsteller mit Bilderrahmen bewehrt, den Zuschauern Ausschnitte von sich selbst oder aber auch von Allem oder Nichts präsentierten. Geradezu slapstickhaft war die Szene: Wie arrangiert man Menschen für ein Bild. Komisch wurde es, wenn sich kafkaeske Kriterien (Ausschluss von tradierter Logik) einschlichen. Ein Running Gag aus der Filmgeschichte wurde zelebriert. Es handelte sich dabei um zwei Personen hinter und vor einem großen Spiegel, dessen Glas zu Bruch gegangen war. Eine Person, in der Regel völlig betrunken, betrachtet sich im Spiegel und die andere Person, in der Regel die, welche den Spiegel zerbrach, kopiert den Posierenden, gaukelt ihm quasi vor, er sehe sich.

Die Atmosphäre war locker und bald schon nahmen Zuschauer die Plätze der Darsteller ein, wandelten zwanglos durch das Bühnenbild und tauchten ein in die Welt der Illusion, die sodann eigentlich keine mehr war. Dabei wollen SCBLM alles andere als Mitmachtheater. Der Zuschauer soll sich wohl fühlen, soll sich berühren lassen, doch er soll nicht Akteur werden. Damit folgen die Macher immerhin einem Theatergesetz, das da lautet: Verbrüdere dich nicht mit dem Publikum. Schließlich ging es ja nicht darum, sich näher zu kommen, sondern das glückliche Ende von Franz Kafkas Schloss zu erleben. Und wie sieht das aus? SCBLM’s Vorschlag lautete: „Ein Schloss des guten Ausgangs, eine Wellnessoase für Verzweifelte, ein Amt für geistige Libertinage, in dem die Verwirrung des modernen Daseins sich selbst feiert.“

Bei allen Wohlfühlübungen, SCBLM sind keine ideologischen Weichspüler. Nähere Betrachtungen sollten eigentlich den Verfassungsschutz alarmieren, denn die strategische Stoßrichtung von SCBLM’s Angriffe ist auf den „Partizipationszwang und die Kapitalhölle“ gerichtet. Dafür steht das „Schloss“ von Frank Kafka, Sinnbild einer Gesellschaft, in der sich die durch ungleich verteilten Reichtum (manchmal auch Diebstahl genannt) geschaffenen Kasten voneinander abschotten, um sich und ihren Reichtum vor den Vielen zu schützen.

SCBLM  haben inzwischen so etwas wie Kultstatus erlangt. Das 1997gegründete  internationale Performance- und Theaterkollektiv hat in den Jahren seit seinem Bestehen viele Grenzen niedergerissen und ein Theater geschaffen, in dem Comic, Film, Tanz und auch Sport vorkommen. Ihr Erfolg basiert zum einen auf die überbordenden, fantasievollen Ansätze, zum anderen auf eine erlösende Komik, die den Zuschauer mit der Welt als solche versöhnen kann. Das ist wichtig, denn wer hat schon Lust darauf, eine Welt zu ändern, mit der er nicht versöhnt ist?

Um als Zuschauer die Botschaften von SCBLM bis in die Tiefen ausloten zu können, bedarf es sicherlich noch einiger Übung. Was an diesem Abend kryptisch blieb, war doch immerhin schön anzuschauen. Um Showcase Beat Le Mot auf ihrer Reise durch das fantastische Universum des Chaos begleiten zu können, bedarf es unbedingt und zuallererst der emotionalen Intelligenz. Rationale Erkenntnisse stellen sich später in jedem Fall noch ein.

 
 
Wolf Banitzki


 


The Happy Ending of Franz Kafka`s Castle

Showcase Beat Le Mot

Showcase Beat Le Mot, Gunther Eckes, Arthur Klemt, Robert Niemann, Marie Seiser u.a.
Musik : Albrecht Kunze



Konzept und Regie: Showcase Beat Le Mot

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