Metropoltheater  Eisenstein von Christoph Nußbaumeder


 

 

Niederbayerische Familiensaga mit Gänsehauteffekt

Sie mutet archaisch an, die Geschichte der Familien Schatzschneider und Hufnagel, und sie ist es auch, denn sie verfügt über alle Zutaten für eine griechische Tragödie. „Der Krieg bringt so manches durcheinander“, und während die einen erfolgreich Besitzstandswahrung betreiben, versuchen die anderen auch mit Lügen zu überleben. Zu den Lügen gesellen sich das Vergessen, die Verklärung und stets auch die Übertreibung. Doch die Geschichte spielt nicht auf dem Peloponnes, sondern in Niederbayern nahe der böhmischen Grenze in dem kleinen Ort Eisenstein. ‚Wenn Eisen und Stein aufeinander treffen, dann gibt’s Funken.’ Ist Eisenstein darum ein besonderer Ort? Nein. Der Ort ist so gut oder so schlecht wie jeder andere und darum wohl auch austauschbar. Lüge und Verrat gedeihen an allen Orten. Sie variieren zwar, bleiben im Kern doch immer die gleichen.

Christoph Nußbaumeders (Jahrgang 1978) wuchtige Familiensaga ist zweifelsohne ein spannende Geschichte, gutes episches Theater, dessen Qualität allerdings nicht nur in der Ausformulierung zwischenmenschlicher Konflikte besteht, sondern auch in deren Einbettung in die gesellschaftlichen Zustände und Vorgänge. Das geschieht zwar nur stichwortartig und nur die älteren Theatergänger wissen auf Anhieb Bescheid, doch die Hinweise sind so zwingend, dass die jüngeren Zeitgenossen vielleicht das Geschichtsbuch in die Hand nehmen und nachschlagen. Was im April 1945 begann und 2008 in München eine vorläufige Auflösung erfährt, ist auch  bundesdeutsche Geschichte, denn die Protagonisten sind sehr durchschnittliche Typen, keineswegs Helden. Auch das ist eine lobenswerte Qualität des auf den ersten Blick sehr verwirrenden Dramenkonstrukts.

Jochen Schölchs setzte in seiner Inszenierung ganz auf das Wirkprinzip des epischen Theaters. Er erzählte ohne überlagerndes oder ablenkendes Beiwerk. Hannes Neumaiers Bühne, er zeichnete auch für die Kostüme verantwortlich, war ein großes minimalistisches Podium, strukturiert in drei Flächen, die leicht nach vorn abfielen. Im Hintergrund standen neun Hocker, auf denen die Darsteller Platz nahmen, sobald sie nicht spielten. Regisseur Schölch hatte peinlich genau darauf geachtet, dass Auf- und Abgänge präzise choreografiert waren. So nahm man die permanent anwesenden Darsteller nach kürzester Zeit nicht mehr wahr. Dieser Ansatz erwies sich insofern als sehr effizient, da es in den zweieinhalb Stunden eine Vielzahl von Szenenwechsel gab. Die anwesenden Darsteller erzeugten dann beispielsweise die Geräuschkulisse für einen Regen, ein Sägewerk oder andere Vorgänge, die nur mimisch angedeutet waren. Die Rückwand war Projektionsfläche für Fotografien, die ganz normale deutsche Familien zeigten oder dem Zuschare signalisierte, in welcher Zeit man sich gerade befand.
 
  Eisenstein  
 

© Hilda Lobinger

 

 

Das Spiel aller Darsteller war stimmig, ambitioniert und doch stets Ensemblespiel. Einen einzelnen nennen, hieße andere zurücksetzen. Erstaunlich war die Präzision, mit der Darsteller und auch Regie die Figuren, die in Doppelbesetzung gespielt wurden, deutlich voneinander abgrenzten. Eine Mütze machte aus dem Vater den Sohn, aufgesteckte Haare, die mit einem Handgriff und einer Körperdrehung verändert wurden, aus der Tochter deren Mutter. Eine Schürze verwandelte einen prägnanten Knecht in einen ebenso prägnanten Gastwirt. Schölchs Theatermagie, hier um ein Vielfaches nüchterner als beispielsweise in seiner „Pinoccio-Inszenierung“ des vergangenen Jahres und gänzlich ohne Effekthascherei, war wieder einmal vollkommen. Beerdigungen erschienen in „neuem“ Licht, mit Licht verwandelte sich eine simpler Dielenboden in ein atmosphärisches Speisezimmer. Schuhe am Bühnenrand erzählten von denen, die keine Schuhe mehr brauchen. Trotz oder gerade wegen aller Nüchternheit trieb einem diese Familiensage Schauer von Gänsehaut über den Rücken.

Wieder einmal gelang Jochen Schölch eine Inszenierung, die man einfach gesehen haben muss. Man muss sie nicht nur wegen der guten und guterzählten Geschichte sehen, sondern wegen einer Inszenierung, die, obgleich die Handlung alles andere als anheimelnd ist, wegen ihrer Menschlichkeit als schön bezeichnet werden darf. Schölch macht immer wieder Lust auf Theater. Sein Theater versöhnt mit dem Leben. Das ist nicht unbedingt selbstverständlich, denn das zeitgenössische Theater kommt nicht selten wie ein Exorzist daher, der mit aufgesetzter Ästhetik oder auch mit völliger Belanglosigkeit den Zuschauer aus dem Körper Theater zu vertreiben sucht.
Und wieder einmal: Chapeau, Herr Schölch und das Ensemble!

 
 
Wolf Banitzki


 

 


Eisenstein

von Christoph Nußbaumeder

 

Dirk Bender/Miko Greza, Anna Dörnte, Marc-Philipp Kochendörfer, Edith Konrath, Ina Meling, Florian Münzer, Nikola Norgauer, Hubert Schedlbauer, Oliver Severin

Regie: Jochen Schölch

 

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Niederbayerische Familiensaga mit Gänsehauteffekt

 

Sie mutet archaisch an, die Geschichte der Familien Schatzschneider und Hufnagel, und sie ist es auch, denn sie verfügt über alle Zutaten für eine griechische Tragödie. „Der Krieg bringt so manches durcheinander“, und während die einen erfolgreich Besitzstandswahrung betreiben, versuchen die anderen auch mit Lügen zu überleben. Zu den Lügen gesellen sich das Vergessen, die Verklärung und stets auch die Übertreibung. Doch die Geschichte spielt nicht auf dem Peloponnes, sondern in Niederbayern nahe der böhmischen Grenze in dem kleinen Ort Eisenstein. ‚Wenn Eisen und Stein aufeinander treffen, dann gibt’s Funken.’ Ist Eisenstein darum ein besonderer Ort? Nein. Der Ort ist so gut oder so schlecht wie jeder andere und darum wohl auch austauschbar. Lüge und Verrat gedeihen an allen Orten. Sie variieren zwar, bleiben im Kern doch immer die gleichen.

 

Christoph Nußbaumeders (Jahrgang 1978) wuchtige Familiensaga ist zweifelsohne ein spannende Geschichte, gutes episches Theater, dessen Qualität allerdings nicht nur in der Ausformulierung zwischenmenschlicher Konflikte besteht, sondern auch in deren Einbettung in die gesellschaftlichen Zustände und Vorgänge. Das geschieht zwar nur stichwortartig und nur die älteren Theatergänger wissen auf Anhieb Bescheid, doch die Hinweise sind so zwingend, dass die jüngeren Zeitgenossen vielleicht das Geschichtsbuch in die Hand nehmen und nachschlagen. Was im April 1945 begann und 2008 in München eine vorläufige Auflösung erfährt, ist auch  bundesdeutsche Geschichte, denn die Protagonisten sind sehr durchschnittliche Typen, keineswegs Helden. Auch das ist eine lobenswerte Qualität des auf den ersten Blick sehr verwirrenden Dramenkonstrukts.

 

Jochen Schölchs setzte in seiner Inszenierung ganz auf das Wirkprinzip des epischen Theaters. Er erzählte ohne überlagerndes oder ablenkendes Beiwerk. Hannes Neumaiers Bühne, er zeichnete auch für die Kostüme verantwortlich, war ein großes minimalistisches Podium, strukturiert in drei Flächen, die leicht nach vorn abfielen. Im Hintergrund standen neun Hocker, auf denen die Darsteller Platz nahmen, sobald sie nicht spielten. Regisseur Schölch hatte peinlich genau darauf geachtet, dass Auf- und Abgänge präzise choreografiert waren. So nahm man die permanent anwesenden Darsteller nach kürzester Zeit nicht mehr wahr. Dieser Ansatz erwies sich insofern als sehr effizient, da es in den zweieinhalb Stunden eine Vielzahl von Szenenwechsel gab. Die anwesenden Darsteller erzeugten dann beispielsweise die Geräuschkulisse für einen Regen, ein Sägewerk oder andere Vorgänge, die nur mimisch angedeutet waren. Die Rückwand war Projektionsfläche für Fotografien, die ganz normale deutsche Familien zeigten oder dem Zuschare signalisierte, in welcher Zeit man sich gerade befand.

 

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