Metropoltheater Portia Coughlan von Marina Carr


 

 

Irland direkt und unverfälscht

Marina Carrs Stücke sind von ähnlicher Wucht wie die frühen antiken griechischen Dramen. Die Konflikte muten gleichsam archaisch an und die Figuren, zumeist im ländlichen Irland angesiedelt, betreiben großen Kraftaufwand, um diese Konflikte zu überleben. Es sind ohne Frage echte irische Stücke in der Tradition Becketts, O’Casey oder W.B.Yeats, der zu den Mitbegründern des Abbey Theatres gehörte, für das Marina Carr arbeitete. „Portia Coughlan“ wurde 1996 am Peacock Theatre in Dublin uraufgeführt und lief danach sehr erfolgreich auch am Londoner Royal Court Theatre.
Carrs Stücke sind nicht unbedingt für Zartbesaitete verfasst, neben z.T. schwer erträglichen Konflikten beinhalten sie auch extreme physische Gewalt. Aber die Dramen Marina Carrs leben auch von schwarzem Humor und lebendiger, sehr lebensechter Poesie.

Jochen Schölch brachte „Portia Coughlan“ nun auf die Bühne des Metropoltheaters und, soviel sei vorweg genommen, er schuf nicht nur eine erträgliche, sondern unbedingt sehenswerte szenische Umsetzung. Der Regisseur verriet vor der Premiere in einem Interview, dass er gern einem Menschen wie Portia begegnen würde, denn, wie er sinngemäß meinte, wir leben heute in einer Zeit, in der die Menschen enorme Energien aufwenden, um Konflikten aus dem Weg, statt durch sie hindurch zu gehen. Jochen Schölch war fasziniert von der existenziellen Kraft, die dem Konflikt und ihrer Protagonistin innewohnt.

Die Geschichte beginnt am dreißigsten Geburtstag Portias. Die junge Frau ist erfüllt von der Gesangsstimme ihres Zwillingsbruders, der sich auf den Tag genau 15 Jahren zuvor im Belmont Fluss ertränkt hatte. Portia mutmaßt, dass Gott für beide nur eine Seele bereitgestellt hatte und diese nahm der Bruder mit in das nasse Grab. Sie fühlt sich leer, nichts macht mehr Sinn und alles, Mann, Kinder, Verwandte, Mitbürger, der ganze Ort widert sie nur noch an. So ergibt sie sich dem Alkohol oder unverbindlichem Sex, um das Echo der Leere im Innern zum Verstummen zu bringen. Im Verlauf der Handlung wird deutlich, dass die menschlichen Schulden üppig verteilt sind. Leichen unter den Teppichen werden freigelegt und verstören, nicht unbedingt Portia, denn die ist längst an einem Punkt angelangt, wo sie nichts mehr erschüttern kann. Die Sehnsucht nach dem Bruder hat sie um das eigene Leben gebracht. Es ist ein ausweglose Situation und sie ist nur noch erfüllt vom sirenenhaften Gesang des Zwillings, der sie hinabzieht. Portia ist nur noch auf Selbstverteidigung eingestellt, bissig und wütend gegen fast jedermann.

Das Bühnenbild für diese gewaltige Geschichte hätte schlichter nicht sein können. Der Bühnenbildner Jochen Schölch hatte eine kupferfarben Rampe, zum Bühnenrand hin abfallend, installiert, die Spielfläche, Kneipentresen oder sogar Fluss war, aus dem zuletzt auch die tote Portia mit einem Hebekran gehoben wurde. Der Regisseur Jochen Schölch hatte durch seine Schauspielführung überdeutliche Figuren geschaffen, die dennoch nicht holzschnittartig waren, sondern charaktervolle lebendige Menschen. Allen voran natürlich Elisabeth Wasserscheid als Portia. Sie versteht es inzwischen mit scheinbar nachtwandlerischer Sicherheit zu überzeugen. Ihre Portia war bei aller Haltlosigkeit und Zerrissenheit eine extrem starke Frau, die sich selbst in tiefster Verzweifelung nicht einschüchtern ließ und die selbst vor physischer Bedrohung nicht ein Jota zurückwich. Egal, ob in leisen Momenten oder Augenblicken extremen physischen Ausbruchs, Frau Wasserscheid war präzise wie eine Uhrwerk, ohne dabei mechanisch zu werden. Hubert Schedlbauer erwies sich als kongeniale Besetzung in der Rolle des wohlhabenden Ehemanns Raphael. Seine Versuche, Portia näher zu kommen, Einfluss auf sie zu nehmen, waren zart, zögerlich und zuletzt, am Punkt der totalen Resignation angelangt, verzweifelt. Schedlbauers hinkender Raphael war wie ein gescheiterter Engel, dem die Kraft abhanden gekommen war, die Flügel zu entfalten. Herausragend war ebenso die Leistung von Nikola Norgauer, deren Mutter Marianne Scully die fleischgewordene Unterwerfung unter das Diktat der gesellschaftlichen Konventionen vorstellte. In der Rolle der einäugigen Stacia hingegen gab sie eine Frau, in der die Rebellion, wenn auch auf sehr naive Weise, noch lebendig war, selbst wenn sie existenzielle Ängste in ihrer Trägerin auslöste. Widersprüchlicher hätten die beiden Darstellungen kaum sein können. Lilly Forgách (Maggie May Doorley) und Butz Buse (Senchil Doorley) waren das Traumpaar des Abends, sie, bodenständige selbstbewusste Prostituierte, er, zauberhaft vertrottelt, schienen die einzigen Figuren zu sein, die sich eine natürliche Menschlichkeit bewahrt hatten. Christian Hoenings polternder Sly Scully, ein grober Mann, der hart zupacken konnte, zeigte schnell Dünnhäutigkeit, als der tote Zwillingssohn ins Spiel kam. Von gleichem Schrot und Korn war auch die Figur der Großmutter Blaize Scully, raumgreifend und gelegentlich auch beängstigend von Christiane Blumhoff gespielt.

Jochen Schölchs Inszenierung war ähnlich karg angelegt, wie zuvor die von „Eisenstein“. Der Reichtum der Inszenierung entsprang den poetischen Bildern, die die Schauspieler auferstehen ließen. Dabei muss unbedingt auch die Textvorlage gelobt werden, die sich bestens dazu eignet eine besondere Atmosphäre zu erzeugen. Neben den Charakteristiken der zwischenmenschlichen Beziehungen die von krankhaft über ignorant und egoistisch bis hin zu zärtlich reichten, standen wundervolle, detaillierte Naturbilder, vornehmlich von Portia angerichtet, wie man sie selten findet in der zeitgenössischen Dramatik. Es war Irland direkt und unverfälscht. Alles das hat Jochen Schölch mit seinen exzellenten Darstellern sichtbar machen können. Auch wenn diese Problematik nicht auf Anhieb jedem zugänglich sein mochte, zog sie doch früher oder später jeden Zuschauer in den Strudel der Ereignisse und Gefühle hinein. So gelang dem erfolgsverwöhnten Jochen Schölch wieder einmal wahrhaftiges, menschliches und künstlerisch wertvolles Theater, das an dieser Stelle unbedingt empfohlen sein soll.

 

Wolf Banitzki

 

 


Portia Coughlan   

von Marina Carr

Christiane Blumhoff, Butz Buse, Lilly Forgách, Christian Hoening, Paul Kaiser, Nikola Norgauer, Hubert Schedlbauer, Elisabeth Wasserscheid

Regie: Jochen Schölch
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.