Unter dem Milchwald

Metropoltheater Unter dem Milchwald von Dylan Thomas


 

 

Abend der Superlative

Dylan Thomas – Ein Leben wie ein Drama, eines um Genie und Exzess. Er lebte nur 39 Jahre auf dem Planeten, hinterließ aber wie kaum ein anderer Dichter des 19. Jahrhunderts  unendlich viele Spuren und wenn man sich die Liste der Huldigungen anschaut, möchte man meinen, er sei noch unter uns.

1914 als zweiter Sohn des Gymnasiallehrers David John Thomas in Swansea, Wales geboren, rezitierte er bereits mit vier Jahren Shakespeare-Sonette aus dem Gedächtnis, veröffentlichte 11jährig eigene Gedichte in der Schülerzeitung seines Gymnasiums, zog es aber schließlich 1931 doch vor, beizeiten auf Schulbildung zu verzichten. Er versuchte sein Glück zwei Jahre als Journalist bei der South Wales Daily, um sich endlich seiner eigentlichen Leidenschaft hinzugeben, dem Alkohol.

Als Dichter war Thomas zwar durchaus erfolgreich, doch der Dämon Trunksucht hatte ihn derart im Griff, dass es stets am Nötigsten fehlte. 1949 zog der Dichter mit seiner Ehefrau, der Tänzerin Caitlin MacNamara, die ihm drei Kinder schenkte, für vier Jahre in einen notdürftig ausgebauten Bootsschuppen in der südwalisischen Kleinstadt Laugharne. Dieser Ort wurde zum Vorbild für das fiktive Städtchen Llareggub, in dem er sein Hörspiel „Unter dem Milchwald“ ansiedelte. Dieses Werk sollte sein Hauptwerk bleiben, das 1954 posthum mit dem Prix Italia ausgezeichnet wurde. Thomas starb 1953 an den Folgen einer Lungenentzündung, die er wegen seines Alkoholismus nie richtig ausheilen konnte.

„Unter dem Milchwald“ erzählt einen Tag aus dem Leben der Bewohner oben genannten Ortes Llareggub, dessen Namen, liest man ihn in umgekehrter Richtung "Bugger, all" bedeutet. Wie dieser Name schon suggeriert, sind die Bewohner nicht unbedingt mit normalen Maßstäben zu messen. Da gibt es einen alten Kapitän, dem täglich die Geister seiner Fahrensleute erscheinen; einen Briefträger, der, bevor er die Post den Empfängern aushändigt, sie erst einmal selbst liest; einen Mezger, der von Katzenleber bis Menschenrippchen alles im Angebot zu haben scheint; eine Pensionsbetreiberin, unter deren Reinheitswahn sogar noch die verstorbenen Ehemänner leiden; einen poetisierenden Pfarrer, dem der Heiland höchst selbst ins Wort fällt; einen liebenden Ehemann, der, seine Gattin zur Seite, sich mit effizienten Giftmorden beschäftigt; einen Organisten, den die Orgel nicht mehr auslässt und der darum auch schon mal um Hilfe wimmert; einen Schankwirt, der die blaustrümpfige Lehrerin liebt, die in ihrer Verklemmtheit zueinander aber nicht kommen können; und, und, und…

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Thomas Meinhardt, Lisa Wagner, Lena Dörrie, Gerd Lohmeyer (liegend), Markus Fennert

© Hilda Lobinger

 

Der von Erich Fried kongenial ins Deutsche übertragene Text ist randvoll mit überbordender Poesie. Eine Alliteration jagt die nächste; kaum eine Zeile Text, die nicht erstaunt, verblüfft und wegen ihrer absonderlichen Inhalte zum Lachen reizt. In diese poetische Suhle warfen sich im Metropoltheater voller Wonne fünf schauspielerische Vollblüter und ließen es richtig spritzen. Wenn man für diesen Abend einen Vergleich aus der Physik bemühen dürfte, dann war er so etwas wie ein „Schwarzes Loch“, das die Zuschauer geradezu verschlang.

Julia Ströders Bühne bestand aus einem anthrazitfarbenen Raum, dessen vier Fronten jeweils einen ureigenen Charakter aufwiesen. Er war offen, ließ ungehinderte Einblicke zu; war geschlossen, so dass man mit dem Rücken an der Wand agieren konnte; wies eine Tür auf und machte den Raum begehbar oder hatte ein großes Fenster, aus dem heraus gespielt werden konnte. Dieser Raum war auf einer Drehbühne montiert, die von den Darstellern unentwegt in Bewegung gehalten wurde. In beinahe zwei Stunden spulten Lena Dörrie, Markus Fennert, Gerd Lohmeyer, Thomas Meinhardt und Lisa Wagner einen Reigen von Szenen ab, in denen sie in eine kaum überschaubare Vielzahl von Charakteren schlüpften.  

Regisseurin Ulrike Arnold, sie ließ sich von Elisabeth Wasserscheid assistieren, hatte ihre ehemaligen Residenztheaterkolleginnen Lena Dörrie und Lisa Wagner, zwei ausgemachte Erzkomödiantinnen, verpflichten können. Es war mehr als wohltuend, diese beiden Frauen endlich mal wieder auf einer Münchner Bühne erleben zu dürfen. Die beiden ließen sich wahrlich nicht lumpen und verwöhnten das Publikum mit vielfältigen An- und Einblicken auf und in körperliche und seelische Reize. Lisa Wagner schuf mit ihrem „Ehrwürden“ eine chaplineske Figur, die unvergesslich bleiben dürfte, Lena Dörrie hingegen den vielleicht schönsten Heiland, der jemals an einem Kreuz hing. Niemand vermag sich so überzeugend wie Gerd Lohmeyer mit einem Paar Damenstiefel zu kasteien oder um Hilfe zu wimmern, wenn ihn die Orgel traktiert. Markus Fennert war fleischgewordene Lakonie, wenn er Szenen beiläufig mit „Langweilig!“ kommentierte. Er wusste seinen Körper jedoch ebenso eruptiv einzusetzen, wenn er auf der Balz war. Thomas Meinhardt, ein Mann mit starken männlichen Gesichtszügen, überzeugte als zart dahinwelkender, liebeskranker Gastwirt ebenso wie als Kittel beschürztes Hausmädchen.

Es ist schier unmöglich auch nur eine beschränkte Zahl von Szenen oder Charakteren, in denen die Darsteller brillierten, zu benennen. Es waren ihrer einfach zu viele und die Darsteller überzeugten in ihnen nicht nur, sie begeisterten. Es war ein Abend der Superlative an Quantität und Qualität, den sich niemand entgehen lassen sollte. Wieder einmal wurde das Metropoltheater seinem Ruf gerecht, seine Zuschauer niemals zu enttäuschen. Ganz großes Lob allen Beteiligten!

 

Wolf Banitzki

 


Unter dem Milchwald

von Dylan Thomas

Lena Dörrie, Markus Fennert, Gerd Lohmeyer, Thomas Meinhardt, Lisa Wagner

Regie: Ulrike Arnold