Bartleby der Schreiber

Metropoltheater Bartleby, der Schreiber von Herman Melville


 

Wenn einer nicht möchte…

Als Bartleby, ein schmächtiger, farbloser Mensch, sich bei einem Wall-Street-Rechtsanwalt als Schreiber bewirbt, konstatiert dieser irritiert, dass Bartleby ein ungewöhnlich auffällig unauffälliger Geselle ist. Doch der Anwalt hegt von der ersten Sekunde an zugleich eine starke Sympathie für den schweigsamen Mann und er wird, was seine Anforderungen an seinen Angestellten anbelangt, nicht enttäuscht. Zumindest am Anfang arbeitet Bartleby, als gäbe es kein Leben neben der Tätigkeit als Kopist. Der anspruchslose Mann arbeitet unauffällig und, weil hinter einem Paravent, unsichtbar vor sich hin. Sorgen bereiten da eher die Macken der Angestellten Turkey und Nippers, der eine dicklich, schlecht gekleidet und zumeist nachmittags verstimmt, der andere mit dubiosen Kontakten zur Unterwelt, vormittags launisch und nicht selten von Verdauungsproblemen geplagt. Zwischendrin wuselt der Laufbursche Ginger Nut, so genannt, weil er täglich das Gebäck gleichen Namens beschaffen muss. Der Anwalt ist gleichwohl ein vom Leben geschulter Mann und nimmt es einigermaßen gelassen.

Doch dann geschieht etwas Unfassbares. Auf eine Anweisung des Dienstherren, eine Arbeit über die des Kopierens hinaus zu erledigen, ertönt hinter dem Paravent der Satz: „Ich möchte lieber nicht.“ (I would prefer not to.) Und da sich Bartleby nicht bewegen lässt, belässt es der Anwalt zunächst dabei. Doch bald schon verweigert Bartleby jegliche Arbeit und als der Arbeitgeber feststellen muss, dass Bartleby seinen Verschlag gleichsam zu seinem Wohnsitz gemacht hat, fordert er den Mann schließlich auf, die Kanzlei gänzlich zu verlassen. Bartlebys Antwort: „Ich möchte lieber nicht.“ Das Maß ist voll und Bartleby ist untragbar geworden. Doch der Anwalt bringt es nicht übers Herz, den Verweigerer mit Gewalt entfernen zu lassen. Schließlich sieht er keinen anderen Ausweg mehr, als die Kanzlei aufzugeben und seinerseits umzuziehen. Bartleby wird vom Nachmieter in das Gefängnis The Tombs (Die Gräber) geschafft, wo er konsequenterweise jede Nahrungsaufnahme und jede Kommunikation verweigert und stirbt. Erst nach dem Tod Bartlebys bringt der Anwalt in Erfahrung, dass der Verstorbene zuvor in einem „Dead Letter Office“, einem Büro für unzustellbare Briefe gearbeitet hat.

Im Februar 2013 kam die Geschichte unter dem Titel „A Story of Wallstreet“ in der Regie von Andreas Wiedermann auf die Bühne des Teamtheaters. Wiedermann hatte Bartleby in eine Ratingagentur transplantiert, so dass seine Totalverweigerung auf den neoliberalen Finanzzirkus zielte, der sich am Ende gerechterweise selbst entlarvte. Eine brillante Arbeit! Regisseurin Ulrike Arnold (Co-Regie: Eli Wasserscheid) beließ Bartleby im Kontext der Melvilleschen Erzählung, die 1853 erstmals erschienen war, und benutzte sogar dessen Sprache (Übersetzung von Jürgen Krug). So unterschied sich die Metropoltheaterinszenierung deutlich von der, von Andreas Wiedermann modernisierten und ins Heute transponierten Fassung. Die Verweigerung Bartlebys erklärte sich nicht aus den Verhältnissen, wie sie derzeit an der Wallstreet herrschten, sondern behielt ihren mystischen Charakter bei, wie man ihn auch in den Erzählungen Edgar Allen Poes findet. Die Verhaltensweise des Schreibers ließ sich nicht letztgültig erklären, doch sie wirkte zersetzend auf die gesellschaftliche Ordnung. Der Mensch Bartleby stand im Vordergrund, nicht der Angestellte einer für die Wirtschaft repräsentativen Einrichtung. Das vermied weitestgehend die sozioökonomische Dimension, beschrieb aber die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen zum konsequenten eigenen Willen, auch um den Preis der Selbstvernichtung.

Julia Ströders Bühnenbild bestand aus einem großen, hölzernen Paravent, einem Schreibtisch und einigen Stühlen. Gewandet waren die Akteure in grauen (Business-) Anzügen (Kostüme: Katja Kirn). Ulrike Arnold inszenierte die Erzählung, die bei Melville vom Anwalt in der ersten Person zum Besten gegeben wird, ohne grundlegenden Perspektivwechsel. Allerdings übernahmen sämtliche Akteure den Part des Anwalts und erzählten abwechselnd. Die Darsteller illustrierten die Figuren mit ihrem Spiel und trieben die Handlungen vornehmlich erzählerisch voran. So gab Butz Buse einen zögerlichen Anwalt, der sich immer wieder in seinen eigenen Skrupeln verstrickte und zumeist mit der Situation überfordert war. Thomas Wenkes Turkey blieb wegen seiner brachialen Ausbrüche (an den Nachmittagen) in Erinnerung, die einigen Schaden auch am Mobiliar anrichteten. Matthias Rengers Nippers hingegen war von eleganter Natur, wenn da nicht die permanenten Verdauungsstörungen gewesen wären, die sich in unüberhörbaren Rülpsern äußerten. Julia Loibl gab einen agilen Ginger Nut, der hochmotiviert war und auch schon mal leicht mal übers Ziel hinausschoss. Bartleby wurde dem Zuschauer visuell vorenthalten. Er, gesprochen von Georg Stürzer, meldete sich selten, aber umso wirkungsvoller aus dem Off, um mit seinem Satz, „Ich möchte lieber nicht.“, allgemeine Verzweiflung zu erzeugen. Wenn einer nicht möchte, was dann?

Die Inszenierung von Ulrike Arnold transportierte diese wunderbare Geschichte, die in dem tiefschürfenden Ausruf endet: „Ja, Bartleby! Ja, Menschentum!“ in ihrer ureigenen menschlichen Dimension. Dabei gab es einige wunderbare szenischer Lösungen zu belächeln. Überhaupt hatte Ulrike Arnold auf Komik gesetzt und sämtliche Darsteller legten sich tüchtig ins Zeug. Die Inszenierung gefiel dem Premierenpublikum und wurde ausgiebig beklatscht.

 

Wolf Banitzki

 


Bartleby, der Schreiber

von Herman Melville

Butz Buse, Julia Loibl, Matthias Renger, Thomas Wenke und Georg Stürzer

Regie: Ulrike Arnold, Co-Regie: Eli Wasserscheid