Metropol Theater Der gute Tod von Wannie de Wijn


 

Ein Plädoyer für Sterbehilfe

Es ist ein Stück mit einem großen, leisen Plot. Es ist ein Stück auf Leben und Tod, und dennoch ist es ein Stück ohne einen knalligen, wirkungsorientierten, theatertauglichen Konflikt. Bernard hat Krebs im Endstadium. Die Zukunft hält einen qualvollen Erstickungstod für ihn bereit und darum hat er beschlossen, mit Hilfe seines behandelnden Arztes und Freundes Robert, dem natürlichen Lauf der Natur vorzeitig ein Ende zu bereiten. Für seinen letzten Gang haben sich Bernards nächste Angehörige uneingeladen eingefunden: seine Tochter Sam und die jüngeren Brüder Michael und Ruben. Im Haus befindet sich auch die aufopferungsvolle Geliebte Hannah. Die Familienmitglieder treffen am Vorabend des Freitodes ein und haben eine Nacht, um sich der Situation zu stellen und sie gemeinsam oder auch allein zu bewältigen, was sich naturgemäß als sehr schwierig erweist.  

Aussagen zum Tod und wie er sich wohl anfühlt, entlarven sich als hochgradig absurd, wenn es sinngemäß heißt: „Ich weiß auch nicht, es ist ja das erste Mal.“ Nichts und Niemand kann den Tod nahebringen und eben das ist es, was uns so entsetzt, beängstigt und überfordert. Das Thema Tod lässt sich nicht über die Erfahrung bewältigen, sondern ausschließlich philosophisch. „Philosophieren heißt sterben lernen.“ So der französische Philosoph Michel de Montaigne, der sich dabei von Platons „Phaidon“, einem Bericht über die letzten Stunden des zum Tode verurteilten Sokrates, inspirieren ließ. Und damit wäre man bereits beim Konflikt, der über allem wie ein Damoklesschwert schwebt, der im Stück des Niederländers Wannie de Wijn allerdings überhaupt keine Rolle spielt. Während sich einige (auch christlich orientierte) Staaten anmaßen, in Form von Kriegseinsätzen und Todesstrafe über das Leben des Individuums zu verfügen, verbieten sie im selben Atemzug die Beihilfe zum Freitod, der durchaus auch heute noch als Todsünde gehandelt wird. Das nennt man eigentlich Bigotterie.

Wannie de Wijn hatte, als er das Stück verfasste, gut Reden, denn in den Niederlanden ist man diesbezüglich ein gutes Stück weiter. Dort ist die Sterbehilfe erlaubt. Sterbehilfe ist auch nicht der eigentliche Konflikt, sondern die Konsequenzen für die Angehörigen und die Erfahrungen mit einem solchen Vorgang. Menschlich, allzu menschlich wird es, als Michael, der eloquente jüngere Bruder Bernhards aus Peking einfliegt und erst einmal nachfragt, ob und wie das Thema Erbe geregelt sei? Christoph von Friedl schafft es tatsächlich, dem Businessman im Angesicht des Todes die glänzende Maske vom Gesicht zu reißen, um den mitleidenden Bruder ins Rampenlicht zu befördern. Dramaturgisch geschickt von Wannie de Wijn gestaltete sich dabei die Gegenüberstellung Michaels mit Hannah, Bernhards Geliebten, mit der er selbst eine jahrelange Beziehung hatte und die kläglich gescheitert war. Lilly Forgách gab eine stille, müde, an der Selbstaufopferung beinahe zerbrechende Frau, für die Michael ressentimentgeladen und zynisch den Vergleich zur Krankenschwester Florence Nightingale bemühte. In dem Maße, wie die Auseinandersetzung mit dem Thema Freitod voranschritt, verflüchtigten sich in den Dialogen die niedrigen Beweggründe wie Neid und Verdacht auf Erbschleicherei. Auch Sam, Bernhards Tochter, durchlief eine sichtbare Metamorphose. Anfangs als Gothikgirl selbstbewusst und aggressiv agierend, verwandelte Sophie Rogall die Figur in eine anlehnungsbedürftige Tochter, die keiner äußerlichen Selbstbehauptungen mehr bedurfte.

  Der gute Tod  
 

Sebastian Griegel, Butz Buse, Christoph von Friedl

© Jean-Marc Turmes

 

Die wirklich wichtigen Fragen stellte Bernhards jüngster Bruder Ruben. Sebastian Griegel, ein junger Mann von stattlichem körperlichen Format, spielte den autistischen Bruder mit äußerster Sensibilität und Zerbrechlichkeit und nebenher auch ganz wunderbar beseelt das Klavier. Nikolaus Frei oblag es schließlich, als Freund und Arzt die pragmatische Nüchternheit aufrecht zu erhalten, um den Augenblick, mit dem auch er keine Erfahrungen hatte, nicht zu „vermasseln“.  Butz Buse war seiner Rolle als todkranker Bernhard allemal gewachsen. In seiner Gebrechlichkeit verlangsamte er das Spiel und ließ viel Raum für Emotionen und Nachdenklichkeit.

In einem geradezu elegantem Bühnenbild von Thomas Flach, das einen Wohnraum in Bernhards Haus mit großem Panoramafenster, zwei Stühlen und einem Klavier vorstellte, inszenierte Jochen Schölch mit der ihm eigenen künstlerischen Sicherheit einen großen Konflikt, der sich über kleine, sogar lächerliche Konflikte einen grandiosen Ende näherte: dem Tod. Den Fortgang der Geschichte über mehr als 12 Stunden realisierte der Regisseur mit einer Uhr, die das Verrinnen anzeigte, und das Wechseln des Lichts (Hans-Peter Boden), das die Spannung auf einem angemessenen Level hielt. Tatsächlich ließ Jochen Schölch den Sterbevorgang über fast zehn Minuten, beinahe wortlos spielen. Das berührte, und als der Tod durch eine Geste Roberts festgestellt wurde und das Licht ausging, brauchte das Publikum eine geraume Zeit, sich aus dem Bann des Erlebten zu befreien. In Schölchs Darstellung hatte der Tod seinen Schrecken verloren und nur der Schmerz der Zurückgelassenen blieb im Raum stehen.

Theater ist eine der wenigen Einrichtungen, in dem man, wie in einem Versuchslabor, Situationen, Entscheidungen und Möglichkeiten straffrei und ohne Schaden anzurichten, durchspielen kann. Genau das hat das Metropoltheater mit dieser Inszenierung getan und damit nicht nur die Wirkung von Theater, sondern auch dessen Möglichkeiten aufgezeigt. Vielleicht sollten Politiker in ihren Entscheidungen das Theater zu Rate ziehen und sich nicht nur von Gesetzbüchern und politischen und religiösen Einflüsterungen leiten lassen. Es geht bei Sterbehilfe um Menschen, die unsäglich leiden. Wie lächerlich, wie unanständig ist es dabei, zu Ungunsten der Leidenden zu entscheiden, nur weil es erbrechtliche Bedenken gibt. Das Metropoltheater hat jedenfalls ein berührendes und auch erklärendes Plädoyer für Sterbehilfe gehalten.

Wolf Banitzki


Der gute Tod

von Wannie de Wijn
Deutsch von Stephan Lack

Butz Buse, Nikolaus Frei, Christoph von Friedl, Lilly Forgách, Sebastian Griegel, Sophie Rogall

Regie: Jochen Schölch