Metropoltheater  Zwei alte Mimen warten in der Kantine auf ...?  von Elmar Golem


 

Theater als Warteschleife

„Der Autor, den beiden Mimen wohlbekannt, nennt das Stück ‚eine Possenreißerei nur für Theatermenschen und solche, die es (nicht) werden wollen‘.“ Die Betonung in diesem, vom Metropoltheater unters Volk gebrachten Werbetext, liegt auf „nur für Theatermenschen“. Dabei ist es unbestritten, dass auch „Nicht-Theatermenschen“ auf ihre Kosten kommen, allerdings bleibt nicht selten die Tiefgründigkeit, die Doppelbödigkeit und viel literarischer Witz auf der Strecke, denn die beiden alten Mimen kalauern sich auf höchst amüsante Weise durch die dramatische Weltliteratur. Ausgangspunkt ist das Stück „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett, das beide spielen sollten und das nun „geplatzt“ ist. Sie würden es auch alleine auf die Bühne bringen, doch das Drama ist ein Vier-Personen-Stück.

Ratlosigkeit allenthalben und als Gerd Lohmeyer, alias Buche, gehen wollte, offenbarte ihm Rüdiger Hacker, alias Ahorn, dass sie nicht gehen können, dass sie warten müssen. Auf was? Auf wen? Auf Cozcol oder Comcohl, oder so ähnlich. Angekündigt wurde die Person, oder was auch immer, von keinem Geringeren als Theresias, dem antiken blinden Seher. Der nämlich war Rüdiger Hacker, alias Ahorn, auf wundersame Weise erschienen: Begleitet von einem Dackel, umflort von viel grünem Licht, trat er durch die geschlossene Tür des Kühlraums in die Kantine des Theaters, um das Kommen von Cozcol oder Comcohl, oder so ähnlich, anzukündigen. Also warteten beide, wie Becketts Wladimir und Estragon. Dabei wurden die großen Fragen der Menschheit, wie sie auch in „Warten auf Godot“ erörtert werden, abgehandelt, nebenbei gab es eine ordentliche Portion Theatergeschichte, Theaterklatsch und viele Rollenzitate von Shakespeare über Goethe bis Beckett. Natürlich kam bei alledem nicht wirklich etwas heraus, denn, wie bei Beckett, bei dem Godot nicht erscheint, kam auch Cozcol oder Comcohl, oder so ähnlich, nicht. Oder doch? Der Zuschauer erfuhr es nicht, denn als am Ende das grüne Licht hinter der Kühlraumtür noch einmal magisch zu leuchten begann, fiel der Vorhang.

Autor Elmar Golem spielt in seinem Text genüsslich, mal respektlos, mal hochachtungsvoll mit den Wahrheiten und auch den Klischees zum Thema Bühne und Schauspielberuf. Er kolportiert die Eitelkeiten und das Elend des Berufsstandes ebenso wie die glanzvollen Momente. Dabei lieferten die beiden Mimen Rüdiger Hacker und Gerd Lohmeyer beredte Beispiele, wenn sie den Faust oder Richard III. auf beeindruckende Weise deklamierten oder sich platteste Theaterwitze unter die Nase rieben. In Bezug auf Beckett lässt es Autor Golem mit einem der grandiosesten Sätze der Literaturgeschichte auf sich beruhen. Es ist der erste Satz aus dem Roman „Murphy“, der, wie kaum ein anderer die existenzialistische Philosophie des großen Iren fassbar macht: „Die Sonne schien, da sie keine andere Wahl hatte, auf das Nichts des Neuen.“

  Zwei alte Mimen  
 

Rüdiger Hacker und Gerd Lohmeyer

© Jean-Marc Turmes

 

Elmar Golem lässt es allerdings auch nicht an massiver Kritik am modernen oder zeitgenössischen Theater mangeln, wenn er darauf verweist, dass zum Beispiel Technik (Mikroports) die Wahrhaftigkeit des künstlerischen Ausdrucks unterläuft, dass Regisseure Vermeidungsstrategien entwickeln, um keinesfalls „verstaubtes Bildungsbürgertheater“ zu machen, dass nicht wenige von ihnen der Meinung sind, der Text, das Wort sei völlig überbewertet. Golem legt seinen Protagonisten zugleich Texte in den Mund, die den Ewigkeitsanspruch (natürlich an die menschliche Existenz gebunden) von Theater postuliert: "So lange Menschen leben und sterben und den Tod fürchten, wird es Theaterspiel geben. Das ganze Theater – ob Posse oder Tragödie – ist Totentanz.“ An dieser Stelle deutete sich möglicherweise an, worauf die beiden warteten. Aber es blieb unausgesprochen, und das war auch gut so, denn alles drehte sich immer wieder um Beckett und seinen Godot, über den der Dramatiker seinerseits ebenfalls nie Auskunft gab.

Alles war letztlich von tiefen Zweifeln überschattet: „Es ist leichter, wirklich zu sterben, als den Tod gut zu spielen.“ Und so blieb, nachdem sich die beiden Granden, umrahmt von einem artig-funktionalen Bühnenbild von Nikol Voigtländer, durch die Geschichte, die eigentlich keine war, gegrantelt, gehechelt, gekämpft, gelauert oder gekrittelt hatten, eine deutlich spürbare Melancholie zurück. Somit zeitigte die Aufführung, in der Rüdiger Hacker die Spielleitung übernommen hatte, das bestmögliche Ergebnis. Wenn Elmar Golem seinen dramatischen Entwurf eine „Possenreißerei“ nennt, stapelt er natürlich tief. Theater auf dem Theater ist zumeist eine heikle Angelegenheit, denn es braucht dafür Darsteller, die ihre Eitelkeiten überwinden und sich selbstironisch spiegeln können. In „Zwei alte Mimen warten in der Kantine auf ...?“ kämpfen zwei desillusionierte, aber immer noch begeisterungsfähige Schauspieler gegen die eigene (physische und berufliche) Endlichkeit an. Rüdiger Hacker und Gerd Lohmeyer taten das mit großartiger Abgeklärtheit und einem darstellerischen Instrumentarium, das von enormer Berufserfahrung zeugte.

In Becketts Stücken sind die Protagonisten häufig an der Schwelle des Todes, dabei zudem nicht selten immobil. Und wenn sie sich auf den Weg machten, zumeist war und blieb der Weg das Ziel, scheiterten sie. Ohne Aktion blieb zuletzt immer ein Bewusstsein, das langsam aber unaufhaltsam zerbröselte um schließlich im „Nichts“, das von der Sonne in Ermangelung einer Alternative jeden Tag aufs Neue beschienen wird, aufzugehen. Diese Dimension errang die wunderbare Inszenierung im Metropoltheater auch. Nur war sie im Gegensatz zu Becketts „Warten…“ deutlich lustiger, auch wenn die beiden immer wieder darüber räsonieren, ob sie sich nicht besser aufhängen. Den Witz nimmt Elmar Golem nicht auf, was für ihn spricht. Er sei an dieser Stelle dennoch erzählt. Das Reizvolle am Aufhängen begründet Wladimir in „Warten auf Godot“ mit dem Satz: „Dann geht noch mal einer ab.“ Estragon darauf: „Komm, wir hängen uns sofort auf.“

 

Wolf Banitzki

 


Zwei alte Mimen warten in der Kantine auf ...?

Eine Possenreißerei von Elmar Golem

Mit: Rüdiger Hacker und Gerd Lohmeyer
Stimmen aus dem Off: Viola von der Burg, Erik Hansen, Philipp Kolb

Regie: Rüdiger Hacker

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.