Metropoltheater King Charles III von Mike Bartlett
Hinter den Kulissen
Elizabeth II, die Königin von England ist tot. Und da man sie inzwischen für unsterblich hielt, ist die Überraschung und Verwirrung groß. Aber, wie heißt es so schön: „The Queen is dead, long live the King!“ Und der neue König ist der ewige Prince of Wales, Charles. Wer hätte das noch für möglich gehalten? Gemäß dem royalen Protokoll ist er es nicht erst nach der Krönung, sondern bereits mit dem Ableben der Königin. Man nennt das Erbfolge. Umgehend findet sich der englische Premierminister ein, um einem Gesetz, dass vom Unter- und Oberhaus abgesegnet ist, mit der Unterschrift des Königs Rechtskraft zu verleihen. Ein formaler Akt, mehr nicht. Doch Charles wittert hinter dem Gesetz zum Schutz der Privatsphäre eine Beschneidung der Pressefreiheit. Er weigert sich, fordert eine nochmalige Behandlung des Themas im Parlament und Nachbesserungen. Was Charles indes nicht begriffen hat ist, dass es sich mehr oder weniger um eine simple Funktionskontrolle durch die politische Macht handelt. Es liegt nicht in seinem Ermessen, die Entscheidungen der Politik an seinen eigenen ethischen Maßstäben zu prüfen. Er soll lediglich tun, wofür man ihn mit seinem royalen Existenzrecht und seinen Privilegien ausgestattet hat, nämlich zu funktionieren. Sein wir doch mal ehrlich, die britische Monarchie ist eine sehr teure Folkloreveranstaltung, die sich aber immerhin rechnet. Der Fanclub in Großbritannien ist eine Institution und die Zahl der armen Geister weltweit, die sich am royalen Glamour ergötzen, weil sie scheinbar kein eigenes Leben haben, ist gewaltig. Diese Soap läuft so erfolgreich, dass ein Ende nicht absehbar ist.
Doch zurück zu Charles, inzwischen der Dritte in der Historie, der nunmehr seit einem halben Jahrhundert davon träumt, einer der bedeutendsten Könige in der Geschichte zu werden. Er hat den Test nicht bestanden und flugs geht das Parlament daran, die minimalen und zumeist nur auf Repräsentation zielenden königlichen Rechte weiter zu beschneiden, um den royalen Segen für derartige Gesetze schlichtweg überflüssig zu machen. Was aber glaubt man, tut jemand, der endlich mit beinahe 70 Jahren die Krone erringt? Klein beigeben? Ganz und gar nicht. Charles, der anerkannte und geschätzte Ökobauer, schlüpft in seine sehr bunte Uniform als Oberbefehlshaber, marschiert ins Parlament und löst selbiges auf. Spätestens jetzt, so meint man, bricht sich der britische Humor Bahn und die absurden Wendungen à la Monty Python fegen das Publikum von ihren Stühlen. Doch weit gefehlt, und es ist schwer zu glauben, aber Autor Mike Bartlett meint es tierisch ernst und lässt die Geschichte in einem Königsdrama Shakespeareschen Ausmaßes gipfeln. So wird Charles am Ende vom eigenen Sohn William, die schöne Herzogin Katherine souffliert, zur Abdankung gezwungen. Und auch Rebell Harry findet nach einem kurzen und für den Zuschauer mehr oder eher weniger berührenden, zugleich nicht sonderlich glaubhaften Ausflug ins wahre Leben wieder in die Spur und in seine royalen Gemächer zurück. Es zerreißt einem das Herz, angesichts solcher Widrigkeiten, „die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks“, die die Royals erdulden müssen. Da kann es schon mal zu Wahnvorstellungen kommen, und wie im „Hamlet“, in dem des Prinzen Vaters Geist auf den Zinnen der Burg erscheint, wandelt Lady Diana durch die nächtlichen Gemächer, wimmernd ihr Schicksal beklagend. Erschütternd, erschütternd dämlich.
Noch erschütternder indes ist, dass dieses Werk ausgerechnet seinen Weg auf die Bühne des Metropoltheaters fand und damit den Nimbus der künstlerischen Unbesiegbarkeit, den Jochen Schölch und seine Mitstreiter seit 1998 errichteten, zur Legende machte. Philipp Moschitz, der zuletzt mit „Abschiedsdinner“ und „Alice“ andeutete, die gediegene Tradition des Metropoltheaters zukünftig mitzugestalten, vertraute wohl zu sehr auf den in der Werbung gepriesenen „Shakespearean Style“, der sich einzig in der Form als Fünfakter und dem von Shakespeare verwendeten Blankvers manifestierte. Was die dramatische Größe des Konflikts anbelangt, so bedeutet der Vergleich mit dem großen Elisabethanischen Dichter nicht zuletzt eine Herabwürdigung desselben. Auch wenn die heutige Königin Englands Elisabeth heißt, haben wir noch längst kein Elisabethanisches Zeitalter. Wir haben das Zeitalter der Soaps, der Banalitäten, des Entertainments auf niedrigstem Niveau, in dem alienhafte Mediengestalten als Kenner von Königshäusern die Welt mit Einblicken in die Unterwäsche, die Essgewohnheiten und die Darmtätigkeiten oder die Kleiderschränke der Blaublütigen beglücken. Immerhin blaues Blut scheint auszureichen, um in diesen Figuren großartige und bedeutende Menschen zu vermuten.
Michael Vogtmann, Butz Buse, Tillbert Strahl © Jean-Marc Turmes |
Leider wird genau diese Schublade in der Metropoltheaterinszenierung bedient, wenn Kammerdiener, Pressesprecher oder Securitybeamter, allesamt (und mehr) von einem wunderbaren Butz Buse gespielt, vor den Majestäten in natürlicher Unterwerfung buckeln. Es gibt Menschen, die beeindruckt das. Natürliche Unterwerfung gibt es im Tierreich! Oder wenn Jessica Edward (Diana Marie Müller), die farbige und reizende Freundin Prinz Harrys, vom gänzlich typfremden James Newton gespielt, mit überwältigtem Erstaunen ein bürgerliches „Wow, William und Katherine.“ haucht im Angesicht des geschniegelten William (Adi Hrustemović) und der blonden Katherine (Nathalie Schott). Zweihundert Jahre nach der Aufklärung sollten derartige Bilder eigentlich Abscheu erzeugen. Vor Darmparasiten ekeln wir uns doch auch. Und was sind die feudalistischen Rudimente anderes?
Philipp Moschitzs künstlerischer Ansatz lässt sich erklären mit: „Hinter den Kulissen“. Dafür hat ihm Thomas Flach eine Bühne geschaffen, die genau das im wörtlichen Sinn umsetzt. Gezeigt wird die Rückseite des Bühnenbildes, dessen Vorderseite die Pracht des Buckingham Palace suggeriert. Immerhin wird der Palast so auch als Theaterbühne begriffen, was der Wahrheit durchaus nahe kommt. In den Fenstern und hinter den Türen erkennt man das ausgestellte Exterieur der Royalen Repräsentanz. Wenn ein Regisseur eine Handlung in den Kulissen ablaufen lässt, meint er damit auch immer das Innenleben der Protagonisten. In der Werbung ist das wie folgt angekündigt: „Bartlett zeigt die königliche Familie mit all ihren Freuden, Sorgen und Konflikten vor dem Hintergrund großer politischer Vorgänge im Land“. Kein Mensch mit gesundem Verstand kann ernsthaft annehmen, dass er jemals ehrliche und aufrichtige Einblicke erhalten kann. So wie das Bild von der vordergründigen monarchistischen Welt eine Illusion ist, sind auch alle Hintergründe eine Illusion, denn ein penibel arbeitender Apparat steuert diese Inszenierung, in der auch die „investigative Presse“ integraler Bestandteil ist.
Nein, diese Inszenierung trägt ebenso wenig zur Wahrheitsfindung bei wie die literarisch ambitionierte Vorlage. Vielmehr ist das Stück in seinem künstlichen Pathos peinlich und die Inszenierung bleibt weit hinter den Leistungen der Metropoltheaterinszenierungen, wie wir sie lieben gelernt haben, zurück. Michael Vogtmanns König ist ein aufgeblasener König Lear, wenn er sich darauf beruft, von Gott berufen zu sein, bei dem man allerdings zuvor den Stöpsel gezogen hatte. Diese Figur hielt nicht einmal den Kontrast von Ursula Berlinghofs Camilla aus, deren Vernunft- und Realitätsbezogenheit aus einer gänzlich anderen Welt zu kommen schien. Wacker schlugen sich indes Tillbert Strahl als Premierminister Tristan Evens und Edith Konrath als Monica Stevens, Führerin der Opposition. Ihnen oblag es als aalglatte und hartgesottene Politprofis effizient zu sein, was nicht zuletzt bedeutete, Gefühle außen vor und einzig das Kalkül walten zu lassen. Dazu bedurfte es keines aufwendigen Spiels. Bedeckt halten ist die Devise in der Politik. In der gut zweistündigen Inszenierung (eine Pause) verschmolzen die Geschichten der einzelnen Figuren nicht zu einen organischen Ganzen und so blieben Längen nicht aus.
Es ist zu vermuten, dass die Wahl des Themas für den Autor von der Verkäuflichkeit des Werkes nicht unabhängig gedacht worden war. Es scheint aufgegangen zu sein, denn welcher Royalist ist nicht augenblicklich in Erregung versetzt, wenn ihm ein Blick in die Zukunft der Windsors offeriert wird. 85 % der Kinobesucher, der Stoff wurde verfilmt, waren höchst zufrieden mit dem Werk! Bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung des Metropoltheaters, dieses absurde Werk auf die Bühne zu bringen, nicht von ähnlichen Erwägungen geleitet war. Wenn man dem Metropoltheater eines mit Sicherheit bescheinigen kann, dann, dass es noch nie auf Sympathien bezüglich des Themas angewiesen war. Die künstlerische Qualität hat noch jedes Thema bühnenfähig gemacht. Dieses Mal hat das leider nicht funktioniert.
Wolf Banitzki
King Charles III
A Future History Play von Mike Bartlett
Deutsch von Rainer Iwersen
Ursula Berlinghof, Butz Buse, Adi Hrustemović, Edith Konrath, Diana Marie Müller, James Newton, Nathalie Schott, Tillbert Strahl, Michael Vogtmann Regie: Philipp Moschitz |