Metropoltheater  Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke von Joachim Meyerhoff

 

Wie spielt ein Nilpferd Effi Briest?

Joachim verlässt mit zwanzig Jahren nach dem Unfalltod des Bruders seine Heimatstadt Schleswig in Norddeutschland, um in München eine Zivildienststelle in einem Krankenhaus anzutreten. Ein starkes Motiv für diese Wahl waren seine hormondurchtränkten Vorstellungen vom Schwesternwohnheim. Es gab aber noch einen anderen, recht verhaltenen Wunsch, nämlich, den Beruf des Schauspielers zu ergreifen. Also bewirbt er sich an der Otto Falckenberg Schule und wird, zu seiner großen Überraschung, angenommen. Immerhin hatte er nicht einmal, wie gefordert, drei Vorsprechrollen erarbeitet. Er bietet lediglich einen Auszug aus Büchners „Dantons Tod“ an. Dabei hat er absolut keine Vorstellung, wie er den Danton spielen und sprechen soll. Egal, er überzeugt. Joachim muss feststellen, dass er sich in München mit seinem kargen Salär kein Zimmer, geschweige denn eine Wohnung leisten kann, und so zieht er vorübergehend in der Nymphenburger Villa der Großeltern ein. Der Großvater, ein emeritierter Philosophieprofessor, und die Großmutter, eine Schauspielerin im Ruhestand und ein wahre Diva, freuen sich aufrichtig, als ihr „Lieberling“ bei ihnen einzieht. Aus dem „Vorübergehend“ werden drei Jahre und in den drei Jahren absolviert Joachim seine Schauspielausbildung.

Doch die drei Jahre haben es in sich. Da sind erst einmal die Großeltern, die ihren Alkoholismus zu einer Hochkultur gemacht haben. Joachim kann sich den Ritualen nur schwerlich entziehen und so wird auch seine Leber hart geprüft. Und dann ist da die Ausbildung zum Mimen, die häufig in skurrilen und aberwitzigen Aktionen gipfelt, aus denen Joachim nur einen Schluss ziehen kann: Er ist völlig unbegabt. Diese Feststellung ist natürlich nicht sehr glaubhaft, denn bei Joachim handelt es sich immerhin um den Schauspieler, Regisseur und Autor Joachim Meyerhoff, der an so renommierten Häusern wie dem Maxim Gorki Theater Berlin und dem Wiener Burgtheater engagiert war. Heute ist er Ensemblemitglied des Deutschen Schauspiels Hamburg. „Ach, diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke“ ist Bestandteil des dritten Teils von Meyerhoffs inzwischen vierteiligen autobiografischen Romanwerks „Alle Toten fliegen hoch“. Regisseur Gil Mehmert schrieb eine dramatische Fassung und brachte das Werk nun auf die Bühne des Metropoltheaters. Heraus kam eine Komödie, die im weiteren Sinne Theater auf das Theater brachte. Das ist immer eine sichere Bank, zumal hier noch dazukam, dass dem Münchner Publikum Einblicke in die Schauspielerschmiede der Münchner Kammerspiele gewährt wurden.

  Ach diese Luecke  
 

James Newton, Thorsten Krohn, Lucca Züchner

© Jean-Marc Turmes

 

„Ach diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle!“ ist einer der großartigsten Seufzer in der deutschen Literatur. Er stammt von Goethe und wird von Werther geseufzt, ehe der sein Leben aushaucht. Angesichts der tragikomischen und grotesken Erlebnisse Joachims, reizt schon der Titel zum Lachen, denn nichts ist der Inszenierung weniger eigen als Pathos. Die Probenzeit indes stand unter keinem guten Stern, denn der Darsteller des Joachim, James Newton, übernahm die Rolle 10 Tage vor der Premiere. Newton leistete Gewaltiges, denn die immerhin zweieinhalb Stunden dauernde Vorstellung wurde zu einem großen Teil von ihm geschultert. Er erzählte immer wieder den Fortgang der Geschichte und spielte in jeder Szene, in die seine Erzählung mündete. Respekt und Nachsicht für die seltenen Haspler!

Regisseur Gil Mehmert ließ es richtig krachen. Und da Schauspieler am komischsten sind, wenn sie kräftig chargieren, da die Eitelkeit sie wie der sprichwörtliche Hafer sticht, ließ er sie kräftig knattern. Herausragend dabei waren Thorsten Krohn als Großvater Hermann und Lucca Züchner als die divenhafte Großmutter. Thorsten Krohn kamen dabei noch die Rollen des martialischen Aikido-Lehrers und des spastisch zuckenden Schulleiters zu. Diese physische Eigenart erklärte sich durch übermäßiges Hören von Jazzmusik. Lucca Züchners zweite Rolle war die der Schauspiellehrerin. Forsch und gelegentlich auch nicht frei von Sadismus überforderte sie Joachim und natürlich auch die anderen Studenten permanent. So konnte das Urteil über seine erste Rolle, als Nilpferd „Effi Briest“ zu spielen, nur vernichtend sein.

Die Unterrichtsmethoden leisten ein Übriges, um die Verwirrung komplett zu machen. „Und hier, mein lieber Held, immer schön locker bleiben. Mach das Löchlein weit!“ lässt Meyerhoff die in die Jahre gekommene, sich aber betont jugendlich gebende Blondine, deren Haare in ständiger Bewegung waren, sagen, wobei sie dem verklemmten Schüler über den Hintern strich. Ihre letzte Ansage an den Absolventen lautete schließlich: „Draußen ist es interessant, drinnen ist es spannend.“ Und genau dieser Satz ließ denn auch die „Lücke“ bildhaft werden.

Christl Weins Bühne (Sie gestaltete auch die Kostüme.) war eine Podestbühne auf der Bühne mit einem in die Tiefe verschiebbaren Vorhang. War der Vorhang hinten, war der Zuschauer hinter oder auf der Bühne. Wurde er nach vorn geschoben, saß der Zuschauer als Zuschauer davor. Das war ebenso einfach wie gelungen. So wurden die Szenen im Hause der Großeltern immer zu intimen Vorstellungen, den Vorhang im Hintergrund und das Theater, resp. die Schauspielschule außen vor. In der Schauspielschule ging es indes sehr turbulent bis chaotisch zu. Die jungen Darsteller Vanessa Eckart, Lean Fargel, Sophie Rogall und Nicolas Wolf gingen in bestem Ensemblespiel auf, ohne dass die Charaktere dabei diffus wurden. Kongenial musikalisch, oder besser, rhythmisch begleitet wurde das Spiel von dem Percussionisten Stefan Noelle. Hinzu kamen wunderbare szenische Lösungen wie beispielsweise die Darstellung eines unter Wasser befindlichen Nilpferdes. Verblüffend einfach.

Es war ein unterhaltsamer und sehr kurzweiliger Abend, der das Publikum sichtlich und hörbar erheiterte und so wollte der Premierenapplaus nicht enden. Was soll man sagen? Metropoltheater halt!

 

Wolf Banitzki

 


Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke

von Joachim Meyerhoff
Bühnenfassung von Gil Mehmert

Vanessa Eckart, Lean Fargel, Thorsten Krohn, James Newton, Sophie Rogall, Nicolas Wolf, Lucca Züchner / Live-Musik Stefan Noelle

Regie: Gil Mehmert
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