Metropoltheater Die Wiedervereinigung der beiden Koreas von Joël Pommerat


 

Es lebe auch die Illusion

Joël Pommerat gehört heute zu den wichtigsten europäischen Theatermachern. Der Schulabbrecher hatte bereits im Alter von zwölf Jahren sein theatrales Erweckungserlebnis als Besucher des „Festivals d'Avignon“. So ging er bereits im Alter von achtzehn Jahren der Profession des Schauspielers und Autors nach. Doch bald schon erkannte er, dass sich seine Vorstellungen nicht mit denen des tradierten Theaters in Einklang bringen ließen und so arbeitete er zielgerichtet daran, neue Formen der Arbeit und des Theaters zu schaffen. Noch nicht einmal dreißigjährig gründete er seine eigene Theatergruppe mit Namen „Compagnie Louis Brouillard“, die ausschließlich seine Stücke spielte.
Pommerats Arbeitsweise ist eine kollektive, die Darsteller sind seine Co-Autoren und so nennt er sich selbst einen „auteur de spectacle“ (Autor der Aufführung). Der Erfolg gab dem Theatermacher recht in seinem Anspruch und so ist er alljährlich auf vielen wichtigen Theaterfestivals vertreten, wird aber auch international häufig zu Gastspielen eingeladen.

Grob gesagt könnte man Pommerats Arbeitsweise als die Suche nach dem wirklichen, nicht literarischen Menschen bezeichnen und auf „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“, von Jochen Schölch im Metropoltheater auf die Bühne gebracht, trifft das im Besonderen zu. Das Stück mit dem etwas irreführenden Namen besteht aus zwanzig kurzen Szenen, die nicht miteinander korrespondieren und auch inhaltlich in keiner Beziehung stehen. Gemein haben die Szenen das Thema Liebe, Freundschaft und Verbundenheit. Sie sind aufgeladen durch das Hervortreten fundamentaler menschlicher Eigenschaften und Verhaltensmuster und die meisten Szenen sind Verkürzungen großer menschlicher Dramen auf das Minimum einer Begegnung oder eines Schlüsselmoments.

Grundtenor der Szenen ist häufig das Scheitern. So platzt eine Hochzeit, weil die Schwester der Braut dazwischentritt und den Mann für sich reklamiert. Zwei Freunde geraten aneinander durch einen einzigen falschen Zungenschlag. Der Geist eines Mannes tritt unvermittelt zwischen ein Paar das sich seiner sicher war. Eine Prostituierte prellt sich um ihren Lohn, weil sie sich selbst auf das „Gratis“ herunterhandelt. Ein Priester beendet eine jahrelange Beziehung zu einer Prostituierten, weil er „eine Frau kennengelernt“ hat. Seine Schäbigkeit beschert ihm ein Fegfeuer. Und der Satz, alles wird gut, wenn wir uns nur lieben, wird plötzlich und ohne jede Erklärung ad absurdum geführt, weil Liebe allein nicht reicht! Um den Titel zu erklären: Er steht als Metapher für die Schwierigkeiten und der Großartigkeit des wieder Zusammenkommens zweier Menschen, die auseinander geraten sind.

  Die Wiedervereinigung der b  
 

v.l. Nikola Norgauer, Vanessa Eckart, Eli Wasserscheid, Lucca Züchner

© Jean-Marc Turmes

 

Nach den überaus kurzweiligen zweieinhalb Stunden (eine zwanzigminütige Pause) mochte man meinen, zu einer neuen Weltsicht gelangt zu sein, verbunden mit dem Glauben, die Welt auf jungfräuliche, bislang ungekannte Weise erfahren zu haben. Ein Indiz für die Außergewöhnlichkeit dieser Weltsicht war das häufige Vorkommen des Wortes „Wahnsinn“ als Indiz dafür, dass eine Verschiebung der Perspektive die Welt um ein Vielfaches überraschender, aber auch komischer macht. Und wer könnte das besser ausstellen als Jochen Schölch, der in seiner Inszenierung gänzlich auf ein Bühnenbild verzichtete. Der gesamte Bühnenraum und -boden waren schwarz ausgeschlagen. Schwarze Quader oder Würfel dienten als Sitzgelegenheiten. Die Wahrnehmung des Publikums wurde beinahe ausschließlich und auf magische Weise dem Licht unterworfen (Hans-Peter Boden). Zwei Liegestühle und zwei Kissen setzten in zwei Szenen Farbakzente. Aufwendig indes waren die Kostüme von Sanna Dembowski, die von großer Hochzeitsrobe über Joggingschlabberlook bis zu weißen Engelsgewändern reichten.

Immerhin hatten die neun Darsteller siebenundzwanzig Frauen- und vierundzwanzig Männerfiguren zu realisieren. Diese Tatsache führt die Kritik wieder einmal in ein Dilemma, denn einige wenige Leistungen herauszustellen hieße, andere zurückzusetzen. Wie inzwischen gewohnt, lieferten alle Darsteller ein wunderbares Ensemblespiel ab und kreierten zugleich einprägsame und originelle Charaktere. Sowohl handwerklich, als auch inhaltlich bei minimalistischer und dabei wirkmächtiger Ästhetik kann diese Inszenierung wieder einmal als ein eindrucksvolles Theaterereignis verbucht werden. Chapeau!

Eine wesentliche Qualität resultiert natürlich aus dem Inhalt, oder den Inhalten der einzelnen Szenen, die jede für sich eine geradezu banale Handlung aufwies, durch das Auge und die Feder des Autors (oder der Autoren) allerdings auf eine höhere Bewusstseinsebene gehoben wurde. Das Adjektiv „philosophische„ ist ganz bewusst vermieden worden, da es den Leser erschrecken und vom Besuch abhalten könnte. Es ist unbedingt ein überwiegend heiterer Abend, das sei versprochen. Einige Szenen haben zwar tragödischen Charakter, erzeugen aber nie Schlimmeres als Melancholie. Diese Haltung ist in Zeiten von Weltuntergangsstimmung und Depression überaus begrüßenswert. Das Leben wird nicht ausgeblendet, sondern angenommen unter gleichzeitiger Berücksichtigung, dass man oft, allzu oft scheitert. Das nennt sich Realismus.

Und was ist schlecht daran, trainiert Scheitern doch unser emotionales Immunsystem, macht uns stärker und ausgeschlossen werden kann das Glück, zumeist Liebesglück nun wahrlich nicht. Die Frage, ob die Liebe eine immerwährende Illusion ist, kann und wird nicht beantwortet. Wozu auch. Wir sind ohnehin nur flüchtige Gäste in der universalen Existenz. Da hat es gute Gründe, dass es so etwas wie Illusionen gibt, vorausgesetzt, sie machen uns nicht komplett blind und blöd. Man stelle sich einmal vor, wir wären traum- und illusionslos auf nüchternste Weise unserem Alltag ausgeliefert. Besser nicht!

Wolf Banitzki

 


Die Wiedervereinigung der beiden Koreas

von Joël Pommerat
Deutsch von Isabelle Rivoal

Mit: Butz Buse, Vanessa Eckart, Paul Kaiser, Nikola Norgauer, Hubert Schedlbauer, Thomas Schrimm, Dascha von Waberer, Eli Wasserscheid, Lucca Züchner

Regie: Jochen Schölch