Metropol Theater Jesus von Texas nach dem Roman von DBC Pierre


 
 
Gott hat viele Söhne ...

und Kreuzigungen finden täglich statt, auf die eine oder andere Weise. Weil es keinen Gott gibt. Gäbe es Gott, würde dieser die Menschen hungern lassen, die Menschen leiden lassen? Wohl kaum. "Es gibt keinen Gott, nur das Rudel Menschen mit ihren Bedürfnissen, die kreuz und quer sich verbreiten", so der zum Tode verurteilte Lasalle zu Vernon Gregory Little vor seinem Weg ans Kreuz. "Gib ihnen wonach sie verlangen, mische mit ..."

Der Junge Vernon sitzt wie Lasalle in der Todeszelle eines amerikanischen Gefängnisses, wartet auf sein Ende. Der Zufall, ein menschliches Bedürfnis, die Rachegelüste der Stadtbewohner und die Sensationsgier der Medien hatten ihn dahin gebracht. Der Zufall: Der Lehrer sandte ihn mit einem Auftrag aus der Klasse. Ein menschliches Grundbedürfnis zwang ihn zu einem ungeplanten Aufenthalt. Als er zurückkam, hatte sein bester Freund sechzehn Mitschüler und zuletzt sich selbst erschossen. Die Menschen der Stadt Martirio in Texas brauchen einen Sündenbock. Die Medien stürzen sich auf den Fall. Vernon, sucht seinen Weg in dieser typisch amerikanischen Kleinstadt zwischen einer übereifrigen Debuty, einer verstörten Mutter, einem vorsätzlichen Betrüger und einem perversen Psychiater aufrecht wie die Helden der Western es taten. Einen Paradigmenwechsel, den der selbsternannte Fernsehmoderator Eulalio Ledesma vorschlägt, lehnt er ab. Erst im Angesicht seines Kreuzes beherzigt Gregory Vernon Little Lasalles Worte.

Für alle in der Geschichte bemühten Vorgänge und seien sie noch so absurd, gibt es Beispiele aus der Realität. Sie drängen sich geradezu auf. Massenmord in einer Schule, Sensationsgier, Macht der Medien, Vermarktung von Hinrichtungen ... dies alles unterliegt bereits auch einem gewissen Selbstverständnis. Es scheint, als würde die Gesellschaft auf diese, den Alltag der Bedeutungslosigkeit unterbrechenden Geschehnisse, nicht mehr verzichten wollen, sie ja geradezu heraufbeschwören. Tatsachen werden unter pragmatischen Gesichtpunkten verschoben, verbogen und "zurechtgerückt", um einen gewünschten Effekt zu erzielen - Paradigmenwechsel als Lebensprinzip. Das menschliche Dasein per se wird auf diese Weise ad absurdum geführt. Denn diese Denkungsart kann dazu führen, dass ein Unschuldiger hingerichtet wird, im nächsten Atemzug jedoch derselbe Unschuldige durch die Analyse von Fäkalien gerettet werden kann. Henry Miller wusste: "Amerika ist ein Albtraum mit Klimaanlage.", und DBC Pierre weiß dies auch.

DBC Pierre, alias Peter Warren Finlay, kann als weitgereister Mittvierziger auf ein vielfältig bewegtes Leben zurückblicken und es gibt wohl nur sehr wenige Erfahrungen, die in seinem Erlebnisspektrum fehlen. Sein Blick ist scharf, seine Darstellungsweise rebellisch, die Wiedergabe der Gesellschaft und der Charaktere gnadenlos. Konstantin Moreth, der für die Bühnenfassung des Romans verantwortlich zeichnet und Regie führte, verstand es ausgezeichnet, durch diese Vorgabe Theater im Stil von Tennesee Williams auf die Bühne zu bringen. Ihm gelang eine berückende psychologische Betrachtung der amerikanischen Gesellschaft.

Die Inszenierung lebte vom Einfallsreichtum des Regisseurs, einem das Mark treffenden Bühnenbild, Martirio Texas pur, überzeugenden sechs Schauspielern die ausnehmend glaubhaft neunundzwanzig Rollen verkörperten (einen hervorheben würde bedeuten die anderen zurückzusetzen) und last but not least einem souveränen Golo Euler als Vernon Gregory Little. Es gelang ihm, dem sensiblen fünfzehnjährigen Jungen stimmig Gestalt und in dessen Nöte dimensionalen Einblick zu geben. Die Poesie des Textes tat darüber hinaus Welten auf.

Geboten wurde eine realitätsnahe Geschichte ... sehenswertes Theater - vor allem für eine Gesellschaft die ganz gerne dem "Amerikanischen" huldigt.

 
 
C.M.Meier

 

 


Jesus von Texas

nach dem Roman von DBC Pierre

Bühnenfassung von Konstantin Moreth

Golo Euler, Susanne von Medvey, Stefan Lehnen, Barbara Lackermeier, Nadine Germann, Mathias Klie, Thomas Kollhoff

Regie: Konstantin Moreth
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