Matropol Theater Der Elefantenmensch von Bernard Pomerance


 
 
Die "Freakshow" geht weiter …

Die Geschichte vom Elefantenmensch ist eine wahre. Sie war zudem eine noch dramatischere, als von David Lynch in seinem gleichnamigen Film (1980) oder im Theaterstück von Bernard Pomerance erzählt. Die horrible Begebenheit kann im Programmheft nachgelesen werden. Nur soviel: John Carey Merrick litt unter einer seltenen Mischung aus dem Proteus-Syndrom und Neurofibromatose. Diese Krankheit führte zu extremen Wucherungen und Entstellungen, die ihm die Titulation "Elefantenmensch" einbrachte. Merricks Lebensweg, der nur 28 Jahre lang war, führte ihn durch alle Höllen dieser Welt. Er war geschundenes Schauobjekt auf Jahrmärkten und gehätschelt in den feinen Salons der viktorianischen Ära. Der Arzt Dr. Treves nimmt Merrick aus medizinischem Interesse am London Hospital auf, um ihn zu studieren. Mit großem Erstaunen, und das ist der eigentlich Plot der Geschichte, stellt der Arzt fest, dass Merrick ein hochsensibles und intelligentes Wesen ist, das die Bibel kennt und sich an Shakespeares Texten labt. Merrick stirbt am 11. April 1890 nach seinem einzigen Theaterbesuch, als er seinem unstillbaren und selbstmörderischen Bedürfnis folgt, liegend zu schlafen.

Der Autor Bernard Pomerance, der mit diesem Stück Weltruhm erlangte, verzichtete weitestgehend auf die Ausstellung der Leiden Merricks. Sein Ziel war es, die Gesellschaft als unfähig zu entlarven, das "Andersartige", es handelt sich immerhin um ein menschliches Wesen, zu respektieren. Ob Merrick auf den Jahrmärkten angeekelt bestaunt, oder in den feinen Salons des viktorianischen Zeitalters gönnerhaft getätschelt wurde, immer handelte es sich um unmenschliche Sensationslust und Voyerismus. Warum also dieses Stück, fragt man sich, handelt es sich doch um eine Ausnahmeerscheinung. Bei genauerem Lesen des Programmheftes findet sich eine Fährte: "Merricks Skelett wird bis heute vom London Hospital aufbewahrt. Der US-Popstar Michael Jackson soll dem Krankenhaus 1986 eine Million Dollar für die sterblichen Überreste des Elefantenmenschen geboten haben." Ja, die "Freakshow" geht weiter, und genannter Popstar hat sich selbst zum Ausstellungsstück gemacht. Wer noch über ein natürliches Wahrnehmungsvermögen und ein natürliches moralisches Empfinden verfügt, der wird feststellen, dass die "Freakshow" ein wesentlicher und akzeptierter Bestandteil unserer Kultur geworden ist. Gil Mehmerts Inszenierung am Münchner Metropol Theater rückt diesen Gedanken dezent, aber mit Nachdruck in den Vordergrund.
 
   
 

Tobias Beyer, Thorsten Krohn, Schirin Kazemi, Nathalie Schott Patrick Lammer, Konstantin Moreth

© Hilda Lobinger

 

Das Stück, eine rasante Szenenfolge, spielt in einer angedeuteten Zirkusarena, für die Gil Mehmert und Gerit Jurda verantwortlich zeichneten. So wurden alle gesellschaftlichen Orte, ob Jahrmarkt, Krankenhaus, Theater, Vorstandszimmer oder Merricks letzte Zuflucht im hintersten Trakt des Hospitals zum Bestandteil theatralischer Ausdeutung. Die musizierenden Schauspieler erhoben viele Vorgänge durch schmissige Begleitung mittels "Circus Songs" (The Tiger Lillies) in den Stand von Attraktionen, was nicht selten starkes Unbehagen erzeugte.


Das Stück ist mehr als nur eine Herausforderung, denn es ist mit großen Risiken behaftet. Wie stellt man glaubhaft einen "Elefantenmenschen" dar? Regisseur Mehmerts Lösung war durchaus akzeptabel. Das Angesicht seines Merrick-Darstellers Konstantin Moreth war nur kurz von der Elefantenmann-Maske bedeckt. In dem Augenblick, in dem das menschliche Wesen sprechend sichtbar wurde, verschwand sie. Moreth spielte zwar immer noch eine entstellte Figur, aber sein sensibler Gesichtsausdruck und seine intensive Darstellung suggerierten glaubhaft die ungeheure Entstellung. Wie heißt es am Theater so treffend? Der König wird durch das Volk gespielt. So auch der "Elefantenmensch". Tobias Beyers stimmungsvolles und sehr präzises Spiel des Dr. Treves vervollkommnete das Bild vom vermeintlichen Monster um die menschliche Komponente. Der historische Treves war, wie seine Zeitgenossen, nicht frei von wissenschaftlichen und anderen Eitelkeiten. Doch die Inszenierung verlieh ihm überzeugend humanistische Züge. Am deutlichsten spiegelte Thorsten Krohn den Zwiespalt menschlichen Verhaltens angesichts einer so unerhörten Erscheinung. Als Klinikdirektor Carr Gomm spielte er alle Facetten des in seiner Stellung verhafteten Erfolgsmenschen. Mitgefühl und spekulative Erfolgssucht wechselten ebenso schnell, wie die rasanten Auf- und Abgänge der sieben Darsteller, die ein Vielzahl von Rollen zu bewältigen hatten.

Dem Metropol Theater ist es wieder einmal gelungen, eine sinnvolle Inszenierung auf die Bühne zu bringen, die Zeitgeist durch starke emotionale Akzente entlarvt und überwindet. Vielleicht betrachten die Zuschauer dieser magischen Inszenierung die "normale" Medienwelt mit geschärftem Blick. Dann werden Sie nämlich entdecken, wie viel "Freakshow" im heutigen Alltag steckt.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Der Elefantenmensch

von Bernard Pomerance

Tobias Beyer, Schirin Kazemi, Thorsten Krohn, Patrick Lammer, Konstantin Moreth, Nathalie Schott

Regie: Gil Mehmert
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