Metropol Theater Tage wie Nächte von Josef Rödl


 

 
Elegie über das Vergessen

Eine Frau wird von ihrem Sohn in ein Haus geführt. Es ist ihr Zuhause, doch sie kann sich nicht erinnern. Ihr Geburtstag steht bevor. Als der Sohn der Mutter ihr Alter verrät, ist sie erstaunt. Sie fühlt sich fremd, da sie ihr Zimmer nicht mehrt findet. Sie beharrt darauf, dass es verschwunden ist. Immer wieder bedeutet der Sohn ihr, sie solle sich entspannen und einen Griesbrei essen, der sich leicht essen lässt. Es will nicht gelingen. Wo ist der Ehemann? Der ist tot, seit 15 Jahren. Alles ist unfassbar und dann plötzlich ein Wiedererkennen, ein Lichtblick in der unheimlichen Düsternis des Vergessens. Es ist gut, das Erinnern zu üben. Dann wird es besser, meint der Sohn. Mitnichten. Der vorgeschriebene Weg ins Nichts muss gegangen werden. Dabei gibt es noch ein gelegentliches Erinnern. An den Großvater beispielsweise: Opa das Schwein, der gute Logistiger, der Fahrkarten in die Gaskammern verteilte. Auch der Ehemann ersteht auf, im Auto und ohne Führerschein. Immerhin ein guter Ort, die Ehefrau zu verführen hinter verschlossenen Garagentüren. "Sich erinnern ist Leben im Leben. Tage ohne Erinnern sind Tage wie Nächte.(...)" und so lebt die alte Frau noch einmal in kurzen Sequenzen des Erkennens.

Josef Rödls Stück erzählt Geschichten, die man so oder anders bereits kennt.
Dennoch entfaltet das Drama eine zwingende Magie, denn die Blickwinkel aller beteiligten Personen verschmelzen zu einer erschütternden Einsicht über das Leben und seine zuweilen tragische Vergänglichkeit. Die Hilflosigkeit bekommt archaische Größe und lässt die Kreatur in seinem natürlichen Kontext sichtbar werden.

Der dramatische Entwurf sieht zwei mögliche Spielarten vor. Es kann mit zwei Darstellern gespielt werden oder aber auch nur mit einem. Der Autor Rödl verführte den Regisseur Rödl zur spannenderen, weil riskanteren Variante. Dies konnte nur gelingen, weil er in Thomas Meinhardt einen hervorragenden Schauspieler zur Seite hatte, der allein sieben Rollen spielte. Meinhardt entwickelte eine unhektische, über weite Strecken getragene Spielweise, die es ihm ermöglichte, alle Rollen sehr deutlich und für das Publikum jederzeit verständlich zu gestalten. Als demente Mutter spiegelte er das Erstaunen eines Menschen über die bekannte und doch unbekannte Welt. Ängste vor dem Verlorensein wurden fühlbar. Als Sohn hingegen war ihm die Anspannung ins Gesichte geschrieben, die Verzweifelung eines Sisyphos nicht überhand nehmen zu lassen. Er lieh den anderen Kindern der alten Frau die Stimmen der Intriganz, Lieblosigkeit und des Egoismus.

Sein Spiel und der unprätentiöse, doch artifizielle Text verschmolzen zu einem magischen Spektakel am Rande des Abgrunds. Sätze wie: "Kinder, das ist Mutterliebe. Kinder sind mein Vertrag. Eine Vereinbarung gegen Vereinsamung, gegen alle Plag'" entblößten Zeitgeist und verliehen dem Stück die notwendige gesellschaftliche Relevanz. Dabei gab es durchaus heitere und komische Momente, die allerdings der bedrückenden Monumentalität eines gesellschaftlichen Problems nie ins Gehege kam.

Die Bühne von Thomas Flach, eine Andeutung des Wohnhauses, war Spielraum für die Haltlosigkeit von Überliefertem. Die wenigen konkreten Gegenstände schufen über den philosophischen Ansatz hinaus konkrete Atmosphäre. Tobias Zohners Lichtgestaltung beförderte perfekt den Wechsel der Zeiten, Orte und Personen.

Das Publikum erlebte im Metropol-Theater eine Inszenierung, die ohne Aufbietung multimedialer Mittel oder zusätzlicher Regietricks die Anfälligkeit des menschlichen Bewusstseins erahnen ließ. Und es erlebte einen Thomas Meinhardt, dessen schauspielerische Fähigkeiten verblüfften, anrührten und in jeder Situation überzeugten.
Wieder einmal gelang es dem Metropoltheater, durch ästhetische Solidität, einen starken Text und gutes Schauspiel in den Bann zu schlagen. Zurück blieb eine elegische Traurigkeit und eine große Nachdenklichkeit.

 
Wolf Banitzki

 

 


Tage wie Nächte

von Josef Rödl

Thomas Meinhardt

Regie: Josef Rödl