Metropol Theater Der wunderbare Massenselbstmord von Arto Paasilinna


 

 

Und täglich lockt der Marder ... (?)

Ein Suizid ist nicht lustig. Ein Massensuizid könnte es werden. In welchem Land würde sich vermutlich so eine dramatische Geschichte abspielen? Richtig, in Finnland. Denn: „Die Melancholie ist der ärgste Feind des Finnen. Sie ist sogar noch schlimmer als die (frühere) Sowjetunion...“

Am Morgen nach Johannis flüchtet sich Onni Rellonen in eine Scheune, um sich den Gnadenschuss zu geben. Sein Leben ist unerträglich. Vier Konkurse hat der „Geschäftsmann“ schon fabriziert. Doch er hat Pech gehabt, denn der Ort ist bereits von Hermanni Kemppainen, Oberst der Finnischen Streitkräfte, der sich gerade aufhängen will, besetzt. Man redet miteinander, verschiebt den (unausweichlichen) Selbstmord und zieht sich erst mal auf die Datscha von Onni zurück. Man sauniert, trinkt, angelt, philosophiert und kommt schließlich zu dem Schluss, dass ein organisierter Massenselbstmord kostengünstiger und zudem auch frei von Dilettantismus wäre, denn Oberst Hermanni besitzt Führungsqualitäten. Eine Annonce wird geschaltet. Mehr als sechshundert Todeskandidaten melden sich. Bald wird deutlich, dass sich das Arbeitspensum nicht bewältigen lässt. Eine Sekretärin wird angestellt, eine 33-jährige Lehrerin, die ebenfalls des Lebens überdrüssig ist. Wie geht man ein derartiges Problem an? Erst einmal wird ein Seminar einberufen, so der Ratschlag der Lehrerin. Das Seminar bleibt nicht folgenlos. Die Presse hat Wind davon bekommen. Ein Grüppchen bricht aus und beschließt, noch vor Ort Suizid zu begehen. Die Staatsmacht greift ein. Einer anderen kleinen Gruppe mit den bereits bekannte Personen gelingt die Flucht im Nobelreisebus mit „zwischengekühltem Motor“ gen Norden. Das Nordkap ist ein guter Ort, sich samt Bus von der Klippe in den gemeinschaftlichen Tod zu stürzen. ...

Die Geschichte des finnischen Autors Arto Paasilinna steckt voller Wahrheiten, Ironie, Anarchie und Leben. Das Menschliche – Allzumenschliche obsiegt. Wie das aussieht? Das sollte sich der Leser unbedingt im Metropol Theater selber anschauen. Ulrike Arnold inszenierte den Chaosreigen trefflich – menschlich. Das Wunderbare: Die Inszenierung (wie auch das Stück) liefert gute Rezepte zur Flucht aus Depression und Todessehnsucht. Das Leben kann eigentlich so einfach sein, wenn man nur alle Repressionen ignoriert oder ihnen bewusst ausweicht. Genau das geschieht, wenn man sich in den Verwaltungs- und Planungsakt eines Massenselbstmordes begibt. Zugegeben, es kommen nicht alle durch; das wäre ja auch zu einfach. Aber was soll’s: Warum nicht mal in die Schweiz reisen. Das ist auch ein sehr schönes Land.

Eine weiße Bretterwand und eine gleichfarbene Bank davor, mehr brauchte es nicht, um sich in einer Scheune zu erschießen oder zu erhängen, ein Seminar abzuhalten, die „absolut beste Sauna“ zu besuchen oder im Bus durch Finnland und Norwegen zu reisen. (Bühne: Julia Ströder) Das Stück wurde durchgängig, sehr sachlich und nüchtern, kommentiert von Elisabeth Wasserscheid und Ulrich Zentner. Dabei erfuhr man Wissenswertes zum Thema. Bereits die Kommentare entbehrten in ihrer Darbietung und in ihrem Inhalt nicht einer gewissen Komik.

 

  massenselbstmord  
 

Anastasia Papadopoulou, Thomas Wenke, Elisabeth Wasserscheid, Oliver Losehand

© Hilda Lobinger

 

 

Die beiden Protagonisten der Geschichte, Oliver Losehand (Geschäftsmann Onni Rellonen) und Thomas Wenke (Oberst Hermanni Kemppainen), erschienen an sich schon überaus komisch, denn eigentlich waren sie ja Untote. Schließlich war es nur ein Frage der Zeit, wann der Zustand des Jenseitigen herbeigeführt wurde. Doch selbst in diesem Zustand schleppten beide sämtliche Unarten mit sich, die ihnen schon zu Lebzeiten das Dasein vergellt hatten. Anastasia Papadopoulou als Lehrerin/Sekretärin stand ihnen in ihrer hysterisch-pädagogischen Spielart nicht nach.

Sämtliche Darsteller übernahmen zudem unterschiedlichste Rollen von vermeintlichen Todeskandidaten. Unbedingt erwähnenswert ist die Leistung von Elisabeth Wasserscheid, die unlängst schon in „Emma in Love“ (Stadttheater Oblomow) auffällig geworden ist. Diese Darstellerin erzwingt nicht nur durch ihre Präsenz die Aufmerksamkeit des Betrachters, sie verfügt überdies über ein erstaunliches Repertoire darstellerischer Facetten. Doch wie im Metropol Theater üblich, gelingt den Regisseuren stets eine ausgewogene Ensembleleistung. So auch in dieser Produktion.

Regisseurin Ulrike Arnold bescherte den Besuchern einen überaus heiteren Abend, der dennoch auf Tiefsinn nicht verzichtete. Was kann man mehr erwarten. Dass der Suizid in unserer heutigen Gesellschaft ein Thema ist, kann als gesichert genommen werden. Dass die Verschiebung der Perspektive in Richtung Komik ein probates Mittel sein kann, gilt ebenso. Suizidgefährdete Menschen stecken zumeist in Sackgassen. Eine Therapie könnte beispielweise sein, dass sie sich einen weit entfernten Ort für den Suizid aussuchen sollten. Die Reise dorthin kann Wunder wirken.

Nachtrag: Ein Marder spielt gleichsam eine nicht unerheblich Rolle. Welche? Nun, so recht vermag der Kritiker das auch nicht zu sagen.

 

Wolf Banitzki

 

 


Der wunderbare Massenselbstmord

von Arto Paasilinna

Bearbeitung: Katharina Schöfl

Oliver Losehand, Anastasia Papadopoulou, Elisabeth Wasserscheid, Thomas
Wenke, Ulrich Zentner

Regie: Ulrike Arnold
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