Metropol Theater Die Bayerische Ilias von Hans-Jörg Schuster
Aufschlussreich
Es ist wunderbar, dass sich eine Begebenheit, die gut dreitausend Jahre zurückliegt, einer solchen Beliebtheit erfreut. Die Rede ist vom Trojanischen Krieg. Historiker datieren den Krieg im Brustton der tiefen Überzeugung, dass es sich um eine Realität handelte, auf das 13. oder 12. Jahrhundert v.Chr. Wenn es jedoch um den Anlass für diesen Krieg geht, so sprechen die Wissenschaftler plötzlich von mythischen Gründen und benennen dafür die Entführung der Helena, Ehefrau des stolzen Atriden Menelaos, König von Sparta, durch den Prinzen Paris von Troja. Mit großem Eifer wurde das mythische Troja gesucht, und, wie viele Historiker meinen, gefunden, nämlich auf dem Hügel Hissarlik im Nordwesten der heutigen Türkei.
Dass die Zahl der Übereinstimmungen mit den Beschreibungen Homers, dessen Ilias als erste und verlässlichste Quelle gilt, eigentlich gegen Null geht, scheint von untergeordneter Bedeutung zu sein. Dabei kann man getrost davon ausgehen, dass dieser Krieg (in dieser Form und an diesem Ort) nicht stattgefunden hat. Es handelt sich um großartige Literatur des überragenden und genialischen Dichters Homer, in die Berichte aus mehreren Jahrhunderten, aus unterschiedlichen Kulturkreisen und unterschiedlichste erzählten und aufgeschriebenen Quellen einflossen. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Ilias hat eine Vorgeschichte, in der erzählt wird, wie Aphrodite sich den (Zank-) Apfel der Eris (Göttin der Zwietracht) unter den Nagel reißt. Es geht um die altbekannte Geschichte vom „Urteil des Paris“. Der Apfel mit der Inschrift „Kallisti“ sollte „Der Schönsten!“ überreicht werden. Aphrodite stellte Paris die Begegnung mit der Schönsten aller Frauen, Helena, in Aussicht und dem schlicht gestrickten Burschen schwanden schnurstracks die Sinne.
Paris kam nun Nach Troja und wurde von Menelaos mit vorzüglicher Gastfreundschaft empfangen. Bald schon stieg er Helena nach, sie ergab sich seinem Werben und beide brannten nach Troja durch. Auf Bayerisch kommentiert, hörte sich das aus dem Munde von „Menelaus“ folgendermaßen an: Und wiar i dann hoamkimm, was, moanst, war passiert? Hat der lumpig Trojaner mei Helen‘ verführt! […] A Kriag muaß da gmacht werdn, des, moan i, waar guat!
Auch Bruder Agamemnon, hier Agamenon geheißen, brennt auf einen Krieg gegen die „lumpig“, aber vor allem reichen Tojaner. Der listenreiche Odysseus wird angeheuert. Der hatte allerdings durch ein Orakel Wind davon bekommen, dass die Geschichte ein wenig aus dem Ruder laufen und länger dauern würde und meldete sich krank. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemnacht, denn der Musterungsarzt befand ihn für KV. Dumm gelaufen. Aber Odysseus machte das Beste draus und avancierte bald zum Propagandaminister. Parallelen waren durchaus beabsichtigt.
Nun soll die blutige Geschichte, die ja jedem humanistisch gebildeten Menschen bekannt ist, nicht weiter erzählt werden. (Erstaunlich eigentlich, welche Inhalte humanistische Bildung hat.) Der Besuch des Vortrags im Metropoltheater hingegen sei dringend empfohlen, da der Zuhörer und Zuschauer eine Menge neuer Details erfährt, die bis dato unbekannt waren. Nirgendwo in der Geschichte war z.B. bislang zu lesen, dass Achilles eine Schwäche für Schmalznudeln hatte. Sehr interessant sind auch die neuen Erkenntnisse zum Tod des trojanischen Priesters Laokoon. Woher kam die Schlange, die ihn tötete? Sehr überzeugend war auch die Begründung, warum die Trojaner das hölzerne Pferd in die Stadt holten. Dass es sich dabei um ästhetische Gründe handelte, ist eine völlig neue Dimension in der Geschichtsschreibung. Dass der trojanische Krieg nur zehn Jahre dauerte, war übrigens dem Bauamt zu danken, welches die Bewilligung zum Bau des Trojanischen Pferde in nur wenigen Wochen erteilte.
Rüdiger Hackers Vortrag, er agiert im Stile alter Bänkelsänger, musikalisch von Maria Hafner begleitet, war so zwingend, das man fast auf die Idee kommen könnte, die Ilias sei von einem Bayern erdacht worden. Sein Name: Hans-Jörg Schuster. Wer Schusters Verse aus dem Mund von Rüdiger Hacker erfahren hatte, mochte zudem meinen, Dichter Schuster sei dabei gewesen. Mit großer Überzeugungskraft, einer sattsinnlichen Sprache und derben Witz erschuf er die antiken Helden neu, ein wenig bayerisch halt, aber darum umso glaubhafter und spannender. Einmal mehr entpuppte sich bayerische Lebensart als internationale, denn sowohl die Griechen, als auch die Trojaner ließen gern ein kräftiges ‚Prosit auf die Gemütlichkeit’ erschallen.
Rüdiger Hackers Kunst des Vortrags umfasste alle Oktaven bayerischer Befindlichkeit und bayerischen Charakters. Mal donnernd, mal jammernd, mal winselnd, mal verhöhnend, mal gradlinig, mal hinterfotzig durchmaß er stimmgewaltig einen zehnjährigen Krieg. Maria Hafner unterstützte ihn beispielsweise mit der musikalischen Lobpreisung von „Griechischem Wein“. Es waren die Momente des Aufatmens im Schlachtengetümmel. Wie schwer es Frau Hafner fiel, ihr bayerisches Temperament zu zügeln, bewiesen die Momente, in denen verschämte Jodler ihrer Kehle entschlüpften.
Es war ein rundum gelungener, sehr unernster Abend, an dem auf der Bühne des Metropoltheaters ein Biergarten eingerichtet worden war. So gerieten die Zuschauer nicht in die Verlegenheit, dass sie der Pawlowsche Reflex plagte, wenn die Griechen und die Trojaner in ihren Hofbräuhäusern sinnesfreudig prassten. Man konnte selbst gepflegt Brotzeit halten und sein Bierchen trinken. Ohne Einschränkung kann gesagt werden, „Die Bayerische Ilias“ war Theater der (nicht unbedingt nur feinen) Sinne. In Bezug auf den Bildungsauftrag, den ein Theater ja naturgemäß hat, kann gesagt werden, dass Aufschlussreiches über einen altbekannten Krieg vermittelt wurde. Dank für die zum Teil recht erstaunlichen Erkenntnisse.
Wolf Banitzki
Die Bayerische Ilias
von Hans-Jörg Schuster
Rüdiger Hacker und Maria Hafner |