Das Leiden anderer betrachten

Kammerspiele Spielhalle Das Leiden anderer betrachten von Susan Sontag


 

 

Wenn alles auch Geschäft ist

Zwischen Kommentaren zu Sitzungen der Polit- und Wirtschaftsräte, Börsenberichten und Sportnachrichten hat die Kriegsberichterstattung ihren gleichwertigen Platz. Die Mischungen der Nachrichten im Heute sind nach unterschiedlichen Prämissen sortiert und doch gleichen sie sich in einem Punkt: Es gilt möglichst viele Themen anzusprechen um möglichst viele unterschiedliche Interessen zu befriedigen. Also eine höchstmögliche Zuschauer-Quote zu erreichen. Nach eben dieser Anzahl der Zuschauer werden die Preise für die Werbung festgelegt, die zwischen den Nachrichten, den Kriegsbildern, den Gesundheitshinweisen und Kochtipps die Blätter und die Bildschirme gleichermaßen füllen. Dieser Mix hat längst die Sinne desorientiert, abgestumpft, zerstreut. Markennamen, Ländernamen, Städtenamen, Menschennamen … alles auch benutzt für Propaganda.

Susan Sontag, ihr Leben und Schaffen, von der begnadeten Essayistin bis zur kreativen Autorin kann sinnbildlich für den gesellschaftlichen Wandel in einem Jahrhundert stehen. Schrieb sie ursprünglich in den Siebzigern von der Abstumpfung durch die Bilder des Leidens, so äußerte sie viele Jahre später diese als einen Aufruf zu Aktion wahrzunehmen. Fraglos ein Wandel von einer auf die andere Seite des Problems, das Wenden einer Medaille.

Ein steril weißer Raum nahm das Publikum in der Spielhalle auf. Bettina Pommer hatte, durchaus sinnfällig, einen viereckiger Hörsaal, in dessen Mitte eine Wasserfläche glänzte, entworfen. Sieben Ebenen bildeten die Bühne, von denen die untersten mit Treppen verbunden waren. Gleich dem Leben, welches aus dem Wasser aufgestanden, Stufe für Stufe den Weg von Entwicklung und Erkenntnis offengelegt hatte. In dieser Versuchsanordnung inszenierte Regisseur Zino Wey den, von Reinhard Kaiser ins Deutsche übertragenen, Essay „Das Leiden anderer betrachten“. Gleich einem Vortrag gestaltete er den Text. Annette Paulmann, scheinbar geschlechtsneutral in Hemd und Hosen gekleidet, benannte die vielen Aspekte, welche das Thema so komplex machen. Von der Empathie als Volksbewegung, über die Jagd nach Sensationen bis zu Voyeurismus und Selbstdarstellung, sowie die Aussagekraft von Bildern und von Fotos per se reichte das Spektrum. Das Foto ist immer nur eine Momentaufnahme aus der Realität, es unterliegt der Fülle von Einflüssen und ist ohne Untertitel, also erklärender Tatsachenbeschreibung, nur allzu leicht der Missinterpretation ausgesetzt. Dies geschieht vor allem dann sehr oft, wenn es über Medien verteilt, zu Agitationszwecken genutzt wird. Recht und Unrecht trennt eine dünne unsichtbare Grenze. Die „Ikonen des Leidens“ sind ein in der christlichen Welt angebetetes, ja geradezu verherrlichtes, Symbol. Es verspricht den Unterdrückten Befreiung, natürlich erst im Jenseits. Denn im Leben erheben sich einige, spielen die Unterdrücker und wollen diesen Platz keinesfalls preisgeben. Radikal setzen diese ihre Vorstellungen um, spielen mit Recht. Mit weltweit bekannten Kriegsbildern belegt, wurde der Essay anschaulich. Die Projektion dieser Bilder erfolgte an die rechte obere Wandecke im Vortragssaal und gleichzeitig auf die Wasserfläche in der Mitte. Verstand und Gefühl geben ein und dasselbe Bild in unterschiedlicher Qualität wieder, ergänzen einander im Leben. Das brachte einen durchaus interessanten Aspekt ein. Die Übertragung des Essays auf die Bühne ist ein interessanter Anstoß zu einer intellektuellen Auseinandersetzung mit einer Alltagserscheinung. Diese kann den Einzelnen anregen über die eigene Haltung im Thema nachzudenken. „Das Bild schockiert – und darum geht es. Die Jagd nach möglichst dramatischen Bildern treibt das fotografische Gewerbe an, und gehört zur Normalität einer Kultur, in der der Schock selbst zu einem maßgeblichen Konsumanreiz und einer bedeutenden ökonomischen Ressource geworden ist.“ S. Sonntag. Ein äußerst sinnfälliger theatraler Aufklärungsversuch. Denn, eine gefühlsschwangere unbewusste Gesellschaft treibt auf der Erde ihr Unwesen. Sie findet sich zwischen ihren Emotionen hin und hergeworfen, und längst ist die Anordnung des Versuchs „Leben“ auf vielen Ebenen erkannt, doch von einem sinnstiftenden Umgang mit diesen, scheint sie wohl noch einige Generationen entfernt.

Die Aktualität sich mit dem Thema – Kriegsberichterstattung – auch auf dem Theater auseinanderzusetzen ist zweifellos durch die vielen Kriegs- und Krisenherde gegeben. Doch was nützt es, sich mit den Auswirkungen zu beschäftigen, statt das Problem offenzulegen? Die industrielle Produktion von Waffen ist ein geldeinträgliches Geschäft, die Techniken werden immer ausgefeilter, immer zerstörender. Die Berichterstattung für die Medien beschäftigt Tausende weltweit. Beides folgt der Logik eines ideologisch systemischen Denkens. Die zahllosen Faktoren für Krieg sind bekannt und die Kitzel des Grauens und der Machtbesessenheit sind zwei urzeitliche Bewegungskräfte, die, bei aller modernen Aufgeklärtheit und allem Wissen, eine enorme Gefolgschaft erfahren. Dagegen steht allein: „Stell dir vor es ist Krieg und keiner kämpft mit.“

Eine Einsicht nach der Kriegsberichterstattung Sinn macht stammt von Christoph Reuter (Spiegel): „Unsere Recherchen sind keine Frontberichte, sondern eher forensische Erkundungen … Manchmal helfen so unscheinbare Details wie die Topographie eines Ortes, um zu klären was dort geschehen ist. … Wenn wir nicht mehr hingehen, können wir nur noch glauben.“ Dem Beobachter kommt also die Rolle des vermittelnden Aufklärers zu. Ohne diese blieben Mauern, Zäune, Gräben, Vorurteile und Dogmen für die Ewigkeit manifestiert.

 

C.M.Meier




Das Leiden anderer betrachten

von Susan Sontag

Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Kaiser

Annette Paulmann

Regie: Zino Wey