Ode to Joy

Kammerspiele Spielhalle Ode to Joy von Rabih Mroué


 

 

Krieg der Bilder

Vor einer großen Leinwand, die die ganze Rückseite der Spielhalle, jetzt Kammer 2, bedeckte, standen drei sanft ausgeleuchtete Stühle. Vor der Leinwand war eine Kamera aufgebaut, deren Bilder direkt auf die Leinwand übertragen werden konnten. Lina Majdalanie, Manal Khader und Rabih Mroué betraten die Bühne und setzten sich auf die Stühle. Alle drei waren mit Tablets ausgestattet. Während der Performance (in Englisch, Arabisch und Deutsch mit Übertiteln) traten sie mit den Tablets an die Kamera und zeigten den Zuschauern, was sie sahen. Die Perspektiven verwandelten sich durch die manuelle Handhabung der Tablets, wurden kleiner, größer oder wanderten an die Seiten der Leinwand um anderen Projektionen Platz zu machen. Es wurden Diashows verbal kommentiert, Filmsequenzen und Interviews gezeigt, Dokumente eingeblendet. Visuell trickreich wurde dem Zuschauer vorgeführt, welche Potenzen dem Medium Bild innewohnen. Es wurde schnell augenscheinlich, das mit kaum einem Medium so sehr manipuliert werden kann. Und das war im Wesentlichen auch das Anliegen der Performance „Ode to Joy“. Der Titel zielt natürlich auf das von Beethoven im 4. Satz seiner 9. Sinfonie vertonte Schiller-Gedicht „Ode an die Freude“. Hintergrund dieser Idee war die Tatsache, dass bei Siegerehrungen deutscher Athleten während der Olympischen Spiele in München 1972 diese Ode gespielt wurde, weil die jeweils andere deutsche Mannschaft die Nationalhymne des oder der Ausgezeichneten nicht ertrug.

Die Performance begann mit einer Geschichte über Betten und sie endete auch mit einem Bett. In beiden Fällen gipfelten die Geschichten mit Gewalt und Zerstörung derselben. Dazwischen spannen die Akteure ein Netz aus Verbindungen zwischen fiktiven und realen Materialien, die die palästinensische Revolution und das damit verbundene Attentat palästinensischer Kämpfer auf die israelischen Sportler im Besonderen betrachteten und somit gleichsam die Situation im Nahen Osten im Allgemeinen beschrieben. Anhand zweier Bilder zeigten die Akteure auf, wie die Revolution ihren Anspruch als solche im Bewusstsein der Öffentlichkeit und die durchaus massenhafte Unterstützung weltweit in einem Augenblick verspielte. Fortan wurden die palästinensischen Freiheitskämpfer mit Terroristen gleichgesetzt.

  Ode-To-Joy  
 

© Judith Buss

 

Wer einigermaßen interessiert und bewandert in Zeitgeschichte ist, erfuhr grundsätzlich nichts wirklich Neues. Interessant und einigermaßen verstörend war allerdings die Tatsache, dass ein psychologisches Gutachten existierte, in dem mehr als zwanzig mögliche Szenerien zum Fortgang der Geiselnahme beschrieben waren. Beinahe sämtliche denkbaren Fälle traten auch ein und obgleich man damit rechnen konnte, hatten die Behörden keinerlei Vorkehrung getroffen. München hatte, um nicht an die unter der Schirmherrschaft Hitlers stehenden Spiele von 1936 zu erinnern, bei der Uniformen das Bild prägten, Polizeipräsenz bewusst vermieden. Sämtliche Aktionen der Polizei und Behörden außerhalb der israelischen Unterkünfte wurden von den Medien zeitgleich auf die Fernseher der Geiselnehmer im Innern übertragen. Und so endete die ganze Aktion folgerichtig in einem totalen Desaster. Eine wichtige Aussage der Performance war, dass der „Krieg gegen den Terror“ nach dem Attentat in München begann und nicht erst nach dem 11. September 2001. Tatsächlich wurde nach diesen Ereignissen in der Münchner Conollystraße der Etat für Sicherheit um 200 % aufgestockt. Bei heutigen Großveranstaltungen kommt annähernd die Hälfte des Gesamtetats für Sicherheit zum Einsatz. (Rabih Mroué im Programmheft)

Für den libanesischen Künstlers Rabih Mroué sind die Medien zuerst ein Propagandainstrument. In seinen Bildfolgen verwies er deutlich darauf, wie leicht Manipulation sein kann. Die geschickte Desinformation reicht aus, um Unwahrheiten wahr werden zu lassen und umgekehrt. Dabei unterschätzt er allerdings auch nicht das Wahrheitspotential von Bildern. Das wurde deutlich, als dem Zuschauer eine (fotografisch inszenierte) Porträtserie von PLO-Kämpfern präsentiert wurde. Diese Männer waren keine eiskalten Killer oder Terroristen. Ihre Augen spiegelten vielmehr Liebe und Zärtlichkeit für Dinge, die ihre Heimat ausmachten, die sie bis heute nicht bekommen haben.

Die Palästinensergebiete sind derzeit die (pro Kopf) am höchsten subventionierten Krisengebiete. Von Revolution ist längst nicht mehr die Rede; die Zweistaatlichkeit scheinbar eine Illusion. Von den Milliarden, die zum Großteil von der EU bereitgestellt werden, kommt wenig oder nichts an bei den bedürftigen Menschen, die, so scheint es die Geschichte zu wollen, keine Zukunft haben. Die Führer der Hamas oder wie die militärischen Organisationen alle heißen, habe die Revolution längst in ein Geschäftsmodell umgewandelt. Und Israel unternimmt nichts, um diesen Zustand zu ändern. Mit ihrer Siedlungspolitik forcieren sie die unauffällige Vertreibung der Palästinenser. Doch darüber berichten die Medien, die sich gleichsam in einem permanenten Kriegszustand befinden, denn die Schlachten der Bilder laufen mit gewaltigem technischem Aufwand auf Hochtouren, nur mehr marginal. Es müssen ständig neue Bilder her, aufregendere, schockierendere, denn selbst die Medien sind ein Geschäft, das sich rechnen muss.

Auch die zweite Premiere an einer Spielstätte der Münchner Kammerspiele machte deutlich, dass das Konzept des neuen Intendanten mehr Politisierung und weniger tradierte Formen präferiert. Auch wenn der Abend ein spannender war, das Bedürfnis nach ausgefeilter künstlerischer, die Sinne belebende und die Bauchintelligenz befördernde Ästhetik spielte eine deutlich untergeordnete Rolle. Die starke Botschaft dominierte. Bisher fühlt sich das neue Theater nach harter Arbeit an. Schluss mit der bürgerlichen Gemütlichkeit? Theater als Insel der Glückseligen war gestern, soviel ist sicher. Beeindruckend war unbedingt, dass die Akteure des Abends den Applaus nicht entgegennahmen. Sie erschienen nicht zur Verbeugung. Das meint: Sie wollten nicht gefallen, sondern ihre Botschaft vermitteln. Respekt!

 

Wolf Banitzki

 


Ode to Joy

von Rabih Mroué

Lina Majdalanie, Manal Khader, Rabih Mroué

Regie und Bühne: Rabih Mroué