Kammerspiele Neues Haus  Farm Fatale von Philippe Quesne


 

Weltenwende

Es geht um nichts Geringeres, als um den „Weltuntergang“. Und schon hat sich der Mensch wieder seiner eigenen Aufgeblasenheit überführt, denn er ist keineswegs imstande, die Welt untergehen zu lassen. Er ist im Stande, seine und viele andere Spezies auszurotten, vom Planeten zu tilgen. Den Planeten juckt das gar nicht. Der macht einfach weiter. Insofern sollten wir nicht die „Schöpfung“ beklagen, sondern unsere eigene Dummheit. Doch folgen wir einmal der Annahme, dem Menschen sei die Selbstauslöschung gelungen, dann hätten wir einen Zustand, den man mit „Tabula rasa“ bezeichnen könnte.

Philippe Quesne hat genau dieses Bild für seine Inszenierung an den Münchner Kammerspielen im Neuen Haus gewählt. Alles ist jungfräulich weiß. Und er hatte eine Farm als Topos gewählt. Die ist bevölkert von Vogelscheuchen. Eine wunderbare Idee, stehen sie doch gleichsam als Ausdruck für das menschliche Bestreben, seinen Lebensraum nicht mit den gefiederten Erdenbewohnern teilen zu müssen aus Angst, Einkommenseinbußen zu erleiden. Nun haben die Vogelscheuchen überlebt und sie müssen sich das Desaster anschauen, das der Mensch ihnen hinterlassen hat. Sie lauschen den Vögeln, die immer weniger werden, weil die Insekten, ihre Nahrungsgrundlage, beinahe ausgestorben sind und müssen erleben, wie diese tot vom Himmel fallen.

Eine fünfte Vogelscheuche stößt zum Quartett auf der Farm und sie tauschen sich aus, wie der Untergang der menschlichen Wesen stattgefunden hat. Alle Schicksale spiegeln sich in den aktuellen politischen und ethischen Diskussionen. Allerdings hat auf der Bühne „the most worst case“ bereits stattgefunden. Friedlich geht es zu auf der Farm, man musiziert miteinander, denn die Geräusche, die nicht mehr da sind, weil ihre Verursacher ausgestorben sind, müssen durch andere Geräusche ersetzt werden. Und dann, ganz ohne Grund und ohne Vorwarnung, taucht ein Ei auf. Nicht irgendein Ei, sondern das Ei. In Ihm ruht alle Hoffnung, davon ist man überzeugt, wenngleich niemand zu sagen vermag, warum. Also baut man dem Ei, es bleibt nicht das einzige, ein Haus, bettet es mit den anderen und geht schließlich mit diesem Haus auf die Reise, auf eine Odyssee, an deren Ende vielleicht die Rettung steht.

Philippe Quesne, der die Inszenierung, das Konzept, die Bühne und auch die Kostüme in Personalunion gestaltete, schuf ein Theaterereignis, das künstlerische und philosophische Tiefe aufwies, das berührte und das vor allem sehr, sehr komisch war. Die fünf Darsteller waren gänzlich unkenntlich gemacht durch Masken und Kostüme, wobei auch hier rückschlüssig der Mensch definiert wurde. Der hatte sie als Monster erschaffen, damit sie seinen niederen Zielen zu Diensten sein sollten. Sie waren lieblos mit Stroh gestopft und dadurch unförmig, mit Buckeln und Beulen, zudem äußerst liderlich gekleidet und beschuht, so dass sie auch in ihren Bewegungen eingeschränkt waren. Alles ging sehr behutsam vonstatten, wodurch die Figuren ihren Schrecken verloren und äußerst harmlos erschienen. Ihre Stimmen waren elektronisch verfremdet, so dass sie sehr kindlich wirkten. Die Bewegungsabläufe waren penibel durch choreografiert, so dass auch die geringste Bewegung oder Äußerung enorme Wirkung erzeugte. Leben gab es auf der Bühne auch, allerdings ließ es sich nicht näher definieren. Ein haariges Etwas bewegte sich und reagierte auf Zuwendung und Ansprache.

  Farm Fatale  
 

Gaëtan Vourc'h, Julia Riedler, Leo Gobin, Damian Rebgetz, Stefan Merki

© Martin Argyroglo

 

Selbst wenn die Scheuchen zusammen musizierten, war es eine Musik, die auf den ersten Eindruck hölzern und mechanisch klang, die aber dennoch einen Charme entfaltete, der sich in absoluter Übereinstimmung mit den Bewegungsabläufen und den Erscheinungen der Figuren befand. Es war eine ganz eigene Welt, die der Vogelscheuchen, obgleich sie doch sehr durch den Menschen geprägt waren. Von wem hätten sie auch sonst lernen sollen, wenn nicht von ihren Herren und Meistern. Und so verwunderte es nicht, dass bei einer Konfrontation mit „Turbo-Kühen“ erst einmal Mordlüsternheit aufflackert. Moralische Bedenken wurden weggewischt, denn schließlich gehört man ja zu den Guten. Letzten Endes blieb es dann aber doch bei einem Rap-Battle.

Eine besonders bemerkenswerte Szene war das Interview mit der Bienenkönigin Magarete. Dabei erfuhren die Zuschauer, dass Bienen kein Englisch sprechen. Ihre natürliche Sprache ist Schwizerdütsch. Wen wundert´s?! Magaretes Auskünfte waren sehr aufschlussreich. Sie litt sehr unter Einsamkeit, denn ihr Volk war ausgestorben. Auf die Frage, wie sich denn die Fortpflanzung zukünftig gestalten würde, gestand die Königin, eine vielleicht etwas sonderbare Beziehung zu Pilzen zu haben. Was wissen wir Menschen schon von den Überlebensstrategien anderer Arten…?

Die Botschaft des Abends war grob zusammengefasst: „Go green before Green goes!“ Die Idee, Vogelscheuchen zu den Protagonisten zu machen, war schlichtweg grandios. So bekam die Theatralik eine zusätzliche Ebene und die Spielsituation etwas Zirzensisches. Philippe Quesne füllte den Raum mit Wesen, die klüger, sympathischer und liebenswerter waren als der Mensch an sich. Dabei fällt ein, es ist nicht der Mensch an sich, wie ein bedeutender bayerischer Philosoph von der Bühne der Münchner Kammerspiele verkündete, denn der ist eigentlich in seinem Wesen gut. Es sind vielmehr die Leute, die so unerträglich sind. Mit denen musste man sich an diesem Abend indes nicht herumschlagen. Darum verließ man das Theater auch mit einem sehr guten Gefühl, denn die Vogelscheuchen waren lustiger anzusehen, sie waren witziger und sie kamen nicht so staubernst daher wie die aktuellen ökologischen Bewegungen. Es mag schwer vorstellbar sein, dass Vogelscheuchen humorvoller sind als Menschen. Das liegt allerdings nur daran, dass lebendige Vogelscheuchen nicht vorstellbar sind. Schade eigentlich.

Es war ein kurzweiliger Theaterabend, der weitestgehend in englischer Sprache absolviert wurde, der aber dennoch nie Unverständnis auslöste. Einmal mehr wurde zudem deutlich, wie magisch, wie prickelnd das Spiel mit Masken sein kann. Die Reduktion der Körperlichkeit brachte zudem ein größeres Maß an Gestaltung mit noch geringeren gestischen und mimischen Mitteln mit sich. Das war wirklich sehenswert. Und als die Darsteller bei der Verbeugung die Masken lüfteten, wurde schlagartig deutlich, das haben exzellente menschliche Schauspieler vollbracht. (Abgesehen von dem haarigen undefinierbaren Wesen, das sich am Ende auch verbeugte.) Ihnen allen gebührt höchstes Lob.
Philippe Quesnes „Farm Fatale“ endete als Roadmovie und damit blieb alles offen. Doch im Verlauf der Vorstellung wurde auf märchenhafte Weise Hoffnung erzeugt, die, angesichts der Probleme, absurd anmutet. Aber das Verhalten der Menschen, das die Welt in diese Schieflage gebracht hat und weiterhin bringt, ist ebenso absurd. Also, vielleicht ist diese Absurdität der Grund dafür zu glauben, dass der Mensch es doch noch gerichtet bekommt.

Wolf Banitzki

 


Farm Fatale

von Philippe Quesne

Mit: Leo Gobin, Stefan Merki, Damian Rebgetz, Julia Riedler, Gaëtan Vourc'h

Inszenierung/Konzept/Bühne/Kostüme: Philippe Quesne