„Munich Central“ Gleis 11 von Christine Umpfenbach
Schöne neue Welt
Es ist wieder soweit: Die Kammerspiele schwärmen aus, auf der Suche nach unbekannten Welten im bekannten Stadtraum. Für die laufende Spielzeit wurde das Viertel um den Hauptbahnhof als Spielfeld ausgewählt. Unter dem programmatischen Titel „Munich Central“ sind verschiedenste Aktionen und Interventionen versammelt, unter anderem Theaterstücke, Konzerte oder Stadtführungen der etwas anderen Art. Ein Theater und sein Publikum begeben sich auf Erkundungsgang.
Den Anfang macht Christine Umpfenbach, die mit ihrem Dokumentartheaterstück „Gleis 11“ an die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftswunders erinnert. Umpfenbach, die als Regisseurin von Projekten wie „Fluchten 1-4“ oder der „Win Place Show“ viel Erfahrung im Umgang mit Laiendarstellern hat, nimmt das Publikum mit auf eine Reise der besonderen Art. Sie lässt ehemalige Gastarbeiter an dem Ort ihre Geschichte(n) erzählen, an dem sich vor Jahrzehnten ihr weiteres Schicksal in Deutschland entschied: Ein ehemaliger Luftschutzbunker unter dem Hauptbahnhof diente von 1960 bis 1973 als Umschlagplatz für die südeuropäischen Gastarbeiter, die zu Tausenden mit Sonderzügen nach München gebracht wurden. Erst dort erfuhren sie das letztendliche Ziel ihrer Reise, entscheidend war die Nummer auf dem Arbeitsvertrag. Auch heute ist Gleis 11 Sammel- und Ausgangspunkt des Abends. Einmal mehr steht eine bunt gemischte Menschenmenge auf dem Bahnsteig und harrt – ausgestattet mit Koffern und Arbeitsverträgen – der Dinge, die da kommen. Einzig die Anwesenheit der Alten und Kinder ist nicht „originalgetreu“, da nur junge, gesunde Arbeitnehmer gefragt waren.
Die Reise des Publikums in die bundesrepublikanische Vergangenheit beginnt mit einem Abstieg in empfindlich kühle Kellerräume. Da sind die vermeintlichen Zuschauer längst Teil des Spiels. Dementsprechend weckt der Anblick der Menschenmenge, die mit Koffern und Taschen in kahlen Kellerräumen verschwindet, unangenehme Assoziationen, ebenso die folgende Aufforderung, sich des Gepäcks zu entledigen und in einem weiteren Raum zu versammeln. Neonlicht und nackte Betonwände – willkommen in Deutschland!
Es ist wieder soweit: Die Kammerspiele schwärmen aus, auf der Suche nach unbekannten Welten im bekannten Stadtraum. Für die laufende Spielzeit wurde das Viertel um den Hauptbahnhof als Spielfeld ausgewählt. Unter dem programmatischen Titel „Munich Central“ sind verschiedenste Aktionen und Interventionen versammelt, unter anderem Theaterstücke, Konzerte oder Stadtführungen der etwas anderen Art. Ein Theater und sein Publikum begeben sich auf Erkundungsgang.
Den Anfang macht Christine Umpfenbach, die mit ihrem Dokumentartheaterstück „Gleis 11“ an die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftswunders erinnert. Umpfenbach, die als Regisseurin von Projekten wie „Fluchten 1-4“ oder der „Win Place Show“ viel Erfahrung im Umgang mit Laiendarstellern hat, nimmt das Publikum mit auf eine Reise der besonderen Art. Sie lässt ehemalige Gastarbeiter an dem Ort ihre Geschichte(n) erzählen, an dem sich vor Jahrzehnten ihr weiteres Schicksal in Deutschland entschied: Ein ehemaliger Luftschutzbunker unter dem Hauptbahnhof diente von 1960 bis 1973 als Umschlagplatz für die südeuropäischen Gastarbeiter, die zu Tausenden mit Sonderzügen nach München gebracht wurden. Erst dort erfuhren sie das letztendliche Ziel ihrer Reise, entscheidend war die Nummer auf dem Arbeitsvertrag. Auch heute ist Gleis 11 Sammel- und Ausgangspunkt des Abends. Einmal mehr steht eine bunt gemischte Menschenmenge auf dem Bahnsteig und harrt – ausgestattet mit Koffern und Arbeitsverträgen – der Dinge, die da kommen. Einzig die Anwesenheit der Alten und Kinder ist nicht „originalgetreu“, da nur junge, gesunde Arbeitnehmer gefragt waren.
Die Reise des Publikums in die bundesrepublikanische Vergangenheit beginnt mit einem Abstieg in empfindlich kühle Kellerräume. Da sind die vermeintlichen Zuschauer längst Teil des Spiels. Dementsprechend weckt der Anblick der Menschenmenge, die mit Koffern und Taschen in kahlen Kellerräumen verschwindet, unangenehme Assoziationen, ebenso die folgende Aufforderung, sich des Gepäcks zu entledigen und in einem weiteren Raum zu versammeln. Neonlicht und nackte Betonwände – willkommen in Deutschland!
Adalet Günel, Nilgün Dikmen © Andrea Huber |
Unter Anleitung zweier Megafon-bewehrter Herren sowie mehrerer freundlicher Hostessen in plastikastigem 60er-Jahre-Outfit (Kostüme: Judith Hepting), werden die Zuschauer in appetitliche Postleitzahlen-Grüppchen aufgeteilt. Das seit den 1960er Jahren erprobte System erfüllt auch heute seinen Zweck – Raumwechsel und Neugruppierungen verlaufen vorwiegend reibungslos. Nun ist die Bühne frei für die eigentlichen Protagonisten: In neun Räumen erzählen ehemalige Gastarbeiter, ein Vertreter des Landesarbeitsamtes und zwei Caritas-Mitarbeiter von ihren Erlebnissen auf bzw. unter dem Bahnhof. Die mit einfachsten Mitteln (Bühne: Jil Bertermann) ausgestatteten Räume dienen als Rahmen für Geschichten von Liebe, Hoffnung, Angst und Trauer. Kurze Miniaturen aus dem Leben Fremder, die für einen kurzen Moment trügerisch nah rücken. Dazu spielt der Kassettenrecorder schrammelige Musik, auch ein Blick ins private Fotoalbum ist möglich. Jonas Imbery (Gomma) gibt mit seiner Soundcollage aus den Rhythmus des Abends vor – sobald es wieder einmal Zeit für einen Ortswechsel ist, schallen Zugsignale durch die Kellerräume. Das Stationendrama zu einem weniger bekannten Aspekt der deutschen Gesichte entfaltet sich. Ganz im Sinne des Dokumentartheaters inszeniert Christine Umpfenbach dezidiert aber nie übertrieben. Es bleibt genug Luft für Unvorhergesehenes, Fragen und die Persönlichkeit der Zeitzeugen. Auch Paul Brodowskys aus zahlreichen Interviews zusammengestelltes Textgespinst erhält durch ihre Präsenz eine besondere, unmittelbare Qualität. Es sind Geschichten mit Ecken und Kanten, die an diesem Abend einem mehrfach wechselnden Publikum erzählt werden, ausschließlich traurig sind sie jedoch nicht. Wenn Nicolo und Elisabeth Pau zweisprachig davon erzählen, wie sie sich am Stachus kennen und lieben lernten, ist das entzückend. Ein weiteres Highlight auch die mitreißend präsentierte Geschichte der Freundschaft von Adalet Günel und Nilgün Dikmen, die die Ausreise aus der Türkei und alle Höhen und Tiefen des Lebens überstand.
Damit man es sich in seinem Zuschauerleben nicht zu bequem einrichtet, wird wiederholt die Perspektive geändert und man selbst zum Arbeitssuchenden in der Fremde. In guten Momenten lässt „Gleis 11“ für kurze Zeit die Grenzen zwischen Zeitzeugen, Theaterbesuchern und Schauspiel-Profis verschwimmen. Dazu trägt auch die zunehmende Kälte bei, die sich mit fortschreitender Stunde bemerkbar macht und daran erinnert, dass der Aufenthalt im Bunker nicht unbedingt immer ein Vergnügen war. Der Theaterabend dagegen durchaus. Herzlicher Applaus für die Darsteller.
Tina Meß
Damit man es sich in seinem Zuschauerleben nicht zu bequem einrichtet, wird wiederholt die Perspektive geändert und man selbst zum Arbeitssuchenden in der Fremde. In guten Momenten lässt „Gleis 11“ für kurze Zeit die Grenzen zwischen Zeitzeugen, Theaterbesuchern und Schauspiel-Profis verschwimmen. Dazu trägt auch die zunehmende Kälte bei, die sich mit fortschreitender Stunde bemerkbar macht und daran erinnert, dass der Aufenthalt im Bunker nicht unbedingt immer ein Vergnügen war. Der Theaterabend dagegen durchaus. Herzlicher Applaus für die Darsteller.
Tina Meß
Gleis 11
von Christine Umpfenbach
Hatzinikolaou Assimakis, Dionysia Chatzinota, Nilgün Dikmen, Adalet Günel, Ethem Koçer, Makbule Kurnaz, Georgios Metallinos, Mongia Müller, Faruk Önder, Nicolo und Elisabeth Pau, Anna Razc, Dragana Sojic, Kurt Spennesberger, Milica Stjepanovic, Eleni Tsakmaki, Walter Weiterschan u.a. Regie: Christine Umpfenbach |