Spielhalle UA Mjunic Disco nach Texten von Rainald Goetz, Thomas Meinecke, Andreas Neumeister


 

 

 
Dont’t stop the dance

Stefan Puchers „Mjunic Disco“ war eine Zeitreise durch die Diskothekenlandschaft Münchens und damit durch das Lebensgefühl der Jugend in den 90ern. Es ist nicht „Sex & Drugs & Rock and Roll“, obgleich es sich auf den ersten Blick so anfühlt. Rock and Roll oder R&B sind nicht das Treibende, sondern der unstillbare Drang nach Sex, Sozialisation und Selbstdarstellung. Die Tanzarenen sind Laufstege der Eitelkeiten und Begierden. Es wird in Augenschein genommen, was konsumiert werden will und soll. Die Songs sind sehnsuchtsvoll und melancholisch zugleich; das Erwachen aus dem Drogenrausch ist ernüchternd. Und dennoch startet man Abend für Abend wieder durch, kifft, schnieft und wirft ein. Im Dämmerlicht des Bewusstseins wird Kasse gemacht und die Reste werden konsumiert, obwohl man den Weg nach Hause kaum findet. Es wird gelabert, schöngeredet, hofiert und plötzlich stellt man fest, dass man den Beginn des Koitus gar nicht bemerkt hat. Fatal, denn trotz „bewusstseinserweiternde Drogen“ löst sich das Bewusstsein unaufhaltsam auf. Alles Lüge, alles Selbstbetrug; doch diese Einsicht rückt immer mehr in die Ferne. Und wenn da Einer oder Eine alles „Scheiße“ findet, weil er oder sie aus diesem Alptraum nicht mehr zurückfindet, wird beschwichtigt und noch ein Line gezogen.

Im Grunde ist es ein erschütterndes Bild unendlichen Verlorenseins, das sich in der 80 Minuten-Collage aus Musik, Texten und, nein, Spielszenen findet sich nur eine, bestenfalls zwei, vermittelt. Einige Zitate stammen aus den 70er, zum Beispiel von Neil Young und ELO. Es mutet seltsam wie ein Remake von Jack Kerouacs „On the Road“ an. Und hier ist der fatale Irrtum dieser Lebensweise begründet. Die einstigen Rebellen gingen „on the road“, um der Enge des (spieß-) bürgerlichen Daseins zu entfliehen. Die Discogänger hingegen suchen den Rückzug in die Enge des Rituals. Es wird gelabert, es wird sich gespreizt und es wird gedröhnt. Grund für diese verzweifelte Suche nach Leben ist die Saturiertheit der liberalen Gesellschaft. Der Traum von der Selbstentfaltung verkümmert zu sinnlichen Gier. Der Geist wird im Glitzern der Discokugel ausgedünnt. Wer kann das Essentielle dieser Lebensart definieren? Es kann nur ein trauriges Fazit sein.

Bert Neumann zeichnete für den Raum verantwortlich. Wer „XY BEAT“ und „They shoot horses, don’t they?” im Werkraum sah, fragt sich vermutlich, was Herr Neumann an diesem Raum neu gestaltet hat. Einige Caféhaustische mit Stühlen, Musikanlagen und Instrumente allenthalben, ließen auf eine sehr pragmatische und weniger auf eine künstlerische Lösung schließen. Tabea Brauns Kostüme immerhin verliehen dem ganzen ein wenig Discoflair. Die Videoinstallationen von Meika Dresenkamp leisteten, ein wenig unkonkret zwar, das ihrige, um das Lebensgefühl der Discogeneration zu vermitteln. Doch immerhin gestalteten die Bilder die von den Darstellern deklamierten Vorgänge schlüssiger. Wenn dieser Abend kurzweilig war, dann vornehmlich durch die Musik (Musikalische Leitung: Christopher Uhe), aber auch durch die Authentizität der vorgetragenen Texte von Rainald Goetz, Andreas Neumeister und Thomas Meinecke. Es sind Erlebnisberichte, die stark dokumentarischen Charakter haben. Tieflotend sind sie nicht, eher beschreibend. Viele Befindlichkeiten schwingen mit, doch sie schließen nicht wirklich auf im Sinn einer analytischen Erkenntnis. Immerhin erhellen die verbalen Banalitäten den geistigen Zustand der Protagonisten. Die Texte sind naturalistisch und somit durchaus gewichtig. Sie spiegeln Werteverfall.
 
 
Bemerkenswert waren die musikalischen Fähigkeiten der Darsteller. Lena Lauzemis könnte sich ihre Meriten gegebenenfalls auch als Frontfrau einer Rockband verdienen. Thomas Schmauser spielte Trompete und Gitarre; Peter Brombacher Keyboard, ebenso Marc Benjamin. Komplettiert wurde die Band durch die Musiker Martin Rühle (drums) und Ivica Vukelic (git). Thomas Schmauser hatte in dieser Inszenierung wohl den reichhaltigsten Part, zumal seine Spielweise der „Coolness“ der literarischen Protagonisten am ehesten entsprach.

Was Stefan Pucher auf die Spielfläche des Werkraums brachte, war nicht Theater im herkömmlichen Sinn, sondern es waren Fragmente von einem Leben, das dem Großteil des Bürgertums vorenthalten blieb und bleibt. (Man nimmt keine Drogen! Oder doch?) Er gab einen Einblick in eine Kulturnische, die wohl auch als eine der letzten Bastionen sinnmeidender Jugend gilt. Es war ein entlarvender Abend, dem es allerdings, wegen fehlender Schlüsse, an Nachhaltigkeit mangelte. Theater als moralische Anstalt war es wohl weniger. Vielmehr war es ein Unterhaltungsprogramm, in dem ein anderes Unterhaltungsprogramm hinterfragt wurde, ohne jedoch Antworten zu geben. Unterhaltsam war es unbestritten.

 
Wolf Banitzki

 

 

 


Mjunic Disco

nach Texten von Rainald Goetz, Thomas Meinecke, Andreas Neumeister

Marc Benjamin, Peter Brombacher, Lena Lauzemis, Martin Rühle, Thomas Schmauser, Christopher Uhe, Ivica Vukelic

Regie: Stefan Pucher
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