Pasinger Fabrik Tiny Kushner von Tony Kushner


 

 

 

Welcome to Amerika?

 

Die Radikalität mit der Tony Kushner einige grundlegende Miseren anspricht, ist typisch für den Gesellschaftsgeist der Großmacht. Die künstlerische Konsequenz mit der Nikolai Bogdanov die vier Einakter – Tiny Kushner – auf die Kleine Bühne der Pasinger Fabrik brachte, liegt nicht zuletzt in seiner, von den Vorfahren geerbten, Ursprungskraft. Tony Kushner, geboren in Manhattan, verkörpert den intellektuellen kritischen amerikanischen Geist und wurde als solcher mit einer Vielzahl von Preisen bedacht. Nikolai Bogdanov, Muttersprache Russisch, erhielt seine Ausbildung an der Universität für Theater, Film und Fernsehen in Kiew. In der Aufführung, hier in München in der Mitte Europas, fanden Osten und Westen zu einem sinnbildhaften Zusammenwirken besonderer Qualität. Die ansprechend artifiziellen Bilder, die auf der Bühne entstanden, veranschaulichten wie längst durch die Öffnung der Grenzen, die neue Globalisierung – welche der Schmelztopf USA bereits seit drei Jahrhunderten widerspiegelt - Identität und kultureller Ursprung sich verlieren, vermischen, Mensch sich auf den Existenzgrund zurückgeworfen findet.

 

Weiße Luftballons besetzten die Stühle des Zuschauerraums ...

 

Die Show beherrscht eine Gesellschaft. Alles ist Show, wird zu Show gemacht, verkommt in eine Show. Drei weiße Plattformen hingen über der Bühne. Der Entertainer Dominik Fenster führte professionell über die Regieanweisungen an Geschehen und Ort. Auf dem Mond hatte die große mulittalentierte Lucia Pamela ihre letzte Platte aufgenommen und hier begegnete sie, bereits jenseitig, Geraldine, Königin von Albanien. Verena Puhm und Beate Pitronik führten höchst weiblich frisch vor Augen, wie aus gelebter Geschichte, aus tragischem Schicksal universelle Unterhaltung entstehen kann. Amerika: alles reine Fantasie und die Behauptung von Happy End ...

 

Hendryk kommt seit fünf Jahren zu Esther. Längst ist die Beziehung über das konventionelle Verhältnis hinaus gewachsen, zumal ihre Lebenshaltungen einander gleichen, sich bedingen, ja befördern – die lesbische Psychoanalytikerin und ihr schwuler Patient. Klaus Ebert verkörperte existentiell anrührend einen in sich gespaltenen uneinigen Mann, der sich in der Liebe seines Freundes sonnte, aber auch den Kontakt, den Sex mit Esther suchte. „Wir sind ambivalent.“ T.K. Beate Pritroniks Esther war eine rational fortschrittliche Figur, und hing doch verzweifelt ihrer Bestimmung an. Was nützt das Wissen „Jede Liebe ist Übertragung.“ T.K., wenn im Innern eine Lücke klafft.  ...  Homophonie, Homonymisch, Homophobie ... Homo - spielt mit der eigenen Seite – entwickelt bisweilen Angst vor der anderen Seite. Sei es in einer gegengeschlechtlichen Person, sei es wohl auch in sich selbst. Im Hintergrund schwebten zurückgenommen die Partner, Verena Puhm als Dymphna und Dominik Fenster als Billybock. Ohne Seele sind die Einpoligen, die in sich Spannungslosen, die in die Mitte der Gesellschaft drängen und diese zersetzen. Ein Schlüssel zum Zerfall liegt hier – so legte die Psychoanalytikerin Esther am Ende des Aktes Hendryk den Schlüssel mit der Botschaft „Bitte abschließen.“  an die Brust. Symbolisch ...

 

 

  TinyKushner  
 

Verena Puhm, Beate Pitronik, Klaus Ebert

© N.Bogdanov

 

 

 

Was tun, wenn der Gesellschaftsvertrag nach Rousseau, auf den auch die amerikanische Verfassung aufbaut, nicht eingehalten wird? Das Spiel um Steuerhinterziehung und Steuertyrannei ist wohl von zeitloser Gültigkeit. „Man zahlt Steuern und wartet dann 27 Minuten auf die U-Bahn. Wozu zahlt man Steuern?“ T.K. In „Ostküstenode an Howard Jarvis“ brillierten Dominik Fenster und Verena Puhm in 13 verschiedenen Rollen. In kurzen Abständen wechselten sie nicht nur Kleidung und Habitus, sie wechselten auch in verschiedene sich doch differenziert unterscheidende Figuren. Nicht nur in diesen Szenen agierten Darstellung, Regie, Technik (Video: Lev Tyves / Bühne u. Kostüm: Kerstin Junge) und Stück  (Dramaturgie: Konstanze Messing) auf hohem künstlerischem Niveau. Der Index tendenziell steigend. Es herrscht der oftmals erprobte Mechanismus der Aktien: „Wenn viele Menschen arbeiten, fallen die Kurse. Arbeiten wenige, dann steigen die Kurse.“ T.K. ...

 

Die fadenscheinigen – „fad“ im Sinne von langweilig und bedeutungslos, „scheinig“ im Sinne von mit einem falschen Heiligenschein versehen – Argumente der ehemaligen Präsidentengattin Laura Bush bildeten den Kern eines wohlfährigen Besuchs bei irakischen Kindern. Nur, es waren die Seelen der im Krieg gemetzelten Toten, die gekleidet in hübsche Schlafanzüge vor dem Himmel ausharren, auf Erlösung warten. Beate Pitronik spielte unauffällig differenziert eine scheinbar in sich gefestigte Person im öffentlichen Rampenlicht, welche sich des Nachts an ihrer Lieblingslektüre und den Worten des „Großinquisitor“ von Fjodor M. Dostojewski festhielt, welche somit über kein eigenes Gewissen verfügte und deren Mann ungesundem dumpfem Schlaf huldigte. Drei Engel begleiteten Laura Bush, ein guter, ein böser und ein blutiger. Sie schwebten im Hintergrund und flüsterten der Frau die entscheidenden Glaubenssätze zu. „Es ist doch egal, ob andere den Fehler auch machen.“ T.K. Welch eine klein bigotte Welt ...

 

Weiße Luftballons besetzten die Stühle des Zuschauerraums ... Gleich unschuldigen Seelen konnte das Publikum der facettenreichen, den Kern hervor stellenden,  Inszenierung folgen und manche Erkenntnis aus den, mit spielerischer Leichtigkeit dargebotenen, Ausführungen ziehen. Die pointierten Texte Tony Kushners glänzten auch in der Übersetzung von Frank Heibert, sprachlich wie intellektuell. Traditionell geprägtes Theater as it’s best ...

 

 


C.M.Meier

 

 

 

 

 


Tiny Kushner

von Tony Kushner

Deutsch von Frank Heibert
Dominik Fenster, Klaus Ebert, Verena Puhm, Beate Petronik

Regie: Nikolai Bogdanov