Pasinger Fabrik Drei Monate und ein Tag nach dem Roman Suicide von Stefan Lange


 

Selbst ist …

… die Kreatur stets auf sich und ein artgerechtes Gegenüber angewiesen. Die Achterbahn der Gefühle treibt sie zu den absurdesten Handlungen, und wären da nicht der Verstand, die Vernunft und die Regeln einer Gemeinschaft, so gäbe es kein Menschsein. Das ausgewogene Maß zwischen all den Komponenten zu finden, darum ringen die Menschen seit Jahrtausenden. Es scheint nicht so, als würde dies gelingen. Aggression, Sehnsucht, Gier, Verzweiflung, Mitleid, Sanftmut ringen im täglichen Kampf um Vorherrschaft. Besonders die Liebe, in Form von besitzergreifender Einvernahme und Machtanspruch, prägt. Vielfältig ist sie, die Liebe, wie die mangelnde, die falsch verstandene, die übertriebene, die unterdrückende. Immer hinterlässt sie tiefe Spuren die den Charakter - die Besonderheit, die Wohnstube und das Gefängnis des einzelnen - bilden, die Summe der Erfahrungen wiedergeben.

… ein Feld der Erinnerung. Auf der Bühne standen nur wenige Requisiten, die einen Wohnraum erkennen ließen. Im rechten Hintergrund an einem Tisch mit Laptop und Buch saß ein Mann, grauhaarig. Über/in seinem Kopf erschien auf der Projektionsfläche der Autor Stefan Lange, er erklärte sein Anliegen. Der Schauspieler, Erzähler am Tisch führte den Faden weiter und so erschien vor den Zuschauern das Theater der Erinnerungen. Die Geschichte der Begegnung von Stefan und Susanne im spanischen Sommer nahm ihren Anfang. Beide mit Problemen und Wünschen behaftet, finden in den Momenten der Zuneigung Freude. Stefan möchte mehr, mehr der beglückenden und befreienden Gefühle. Doch Susanne ist an einen anderen Mann gebunden und vor allem unentschieden. Die Welt möchte sie erfahren, Abenteuer, in der Beziehung sucht sie gewohnten Rückhalt und Heimat. Illusionen und Realität beginnen zu kollidieren.

Stefan Lange, der sich über ein Buch erfolgreich von seinem Leidensweg verabschiedet hatte, auf den eingespielten Videoaufnahmen zu erkennen. Er gab seine persönlichen Erlebnisse preis, wissend, dass er seine Erfahrungen mit vielen teilt. Man(n) erkennt sich. Ralph Schicha verkörperte den Autor auf der Bühne, mal als Erzähler, mal als innere Stimme, mal als Schatten des jungen Stefan, mal als Therapeut. Wie die Zwiegespräche im Kopf sind die Auseinandersetzungen mit Innen- und Außenleben. Ralph Schicha gab einfühlsam den ergrauten ruhigen überlegenden Mann aus der Mitte der Bevölkerung. Regisseur Guido Verstegen verfolgte ein klares Konzept, unaufwändig auf die Erinnerungen im Spiegel der Gefühle fokussiert. Mit dem Spiel des Lichts, mit dem Mittel der künstlerischen Pause und der Leinwand im Hintergrund differenzierte er die Nachtschwärze von Schmerz und Depression und Todessehnsucht, in der sich der Protagonist zu verlieren drohte.

Daniel Pfaffinger wie der junge Autor, ein verlorener junger Mann. Voll Neugier auf das Leben und doch schon davon gezeichnet, begab er sich vorsichtig immer wieder auf seine Suche nach Glück. Sein Gesicht und seine Körperhaltung drückten stimmungsgemäß sowohl den Schmerz, wie die Freude als Selbsterfahrung aus. Nach der Enttäuschung blieben ihm nur die Flucht in den Alkohol, die Flucht in Entzug und die Tabletten und die Gespräche. Allein auf sich gestellt und doch wie im Bühnengeschehen immer begleitet. Wie alleine ist alleine? Diese Frage beantwortete Daniel Pfaffinger mit seiner darstellerischen Präsenz. Die junge Susanne, zurückhaltend gespielt von Claudia Riedel, suchte die Nähe von Stefan, ihn bestärkend in seinen Schwächen wie Stärken. Alleine die Schwächen siegten, da sie ihrer eigenen Unentschiedenheit folgte. Denn auch das Muster der heilen Familie ist ein, den Charakter schwächendes. Die Beiden stellten exemplarisch ein Paar vor, wie es tausende gibt.

  lichtbuehne dreimonate  
 

Daniel Pfaffinger, Claudia Riedel, Ralph Schicha

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… die Sucht nach Befreiung und der Ausdruck von Gefühlen. Dieses Anliegen nutzen die Psychologen für ihr Geschäftsmodell. Was die Religion nicht mehr allein zu leisten vermag, wird heute wissenschaftlich begründet. Was nicht vergessen werden will, wird freigesprochen - in Vergebung gehuldigt. Dabei geht es doch immer nur darum, die Erscheinungsform eines Beweggrundes neu zu definieren. Die Qualität einer Emotion wird von dem Hormonhaushalt bestimmt, den Mensch selbst steuern kann. Dies bedarf jedoch einigen Wissens, einiger Erfahrung und der Bereitschaft diese Zusammenhänge anzunehmen und wäre ein Lehrauftrag. In einer von vielfältiger Unterdrückung geprägten Gesellschaft, die den einzelnen entmündigt, wird dem keine Beachtung geschenkt. Zudem würde damit das erprobte Machtmodell in Frage gestellt, was keinesfalls sein darf. So treibt die Gemeinschaft weiter übernommene überkommene Rituale, und tritt auf der Stelle.

… der Tod die einzige Form von Erlösung. Doch bis dahin sind die Erfahrungen grob und fein, bunt und vielfältig. Und, einzig wer dem Leben huldigt, erfährt es. Stets auf der Suche nach neuen, anderen und intensiveren, überschlägt sich die Psyche in ihren Kapriolen. Manche davon sind gesellschaftlich gefördert, andere geduldet, wiederum andere verboten (was diese interessanter macht). Nichts anderes ist das umtriebige Gefühlsleben, welches den Verstand in Schach hält und die Gemeinschaft. Doch ein Mensch zu sein ist mehr, mehr als gelebte tierische Natur. Der Geist, die Gedanken und sein Wollen führen ihn über die bloße Reaktion hinaus in die nächste Illusion. Guido Verstegen schuf mit der ansprechenden Inszenierung des Romans höchst realistisches Volkstheater. Aktuell ist es überdies, in einer Welt, in der es chic ist sich in den Gefühlen zu suhlen, in den eigenen oder in denen anderer. Ein glänzender Spiegel also auch für … Selbst wir.

C.M.Meier

 


Drei Monate und ein Tag

nach dem Roman Suicide von Stefan Lange

Daniel Pfaffinger, Claudia Riedel, Ralph Schicha

Regie: Guido Verstegen