Pasinger Fabrik Vermummte von Ilan Hatsor


 

 

 
Jeder Krieg ist Bruderkrieg

"'Wir werden entrechtet, gedemütigt, enteignet und die Welt schaut tatenlos zu, so die katastrophale Wahrnehmung des palästinensischen Volkes." (Zitat Programmheft) Wer ist das palästinensische Volk? Ist es die Hamas oder die Hisbollah? Sind es die Untergrundkämpfer der Intifada oder die einfachen Menschen, die täglich nach Israel reisen um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Sind es die Staatsfunktionäre, die mit großem Selbstverständnis Subventionsgelder der EU einfordern oder die Flüchtlinge in den Lagern, die ohne jegliche Hoffnung sind? So wenig wie es das palästinensische Volk zu geben scheint, so schwer fällt es, Partei zu ergreifen. Und wenn es gilt Partei zu ergreifen, so kann dies scheinbar nur gegen Israel geschehen. Seit Jahrzehnten vergießt das jüdische Volk arabisches Blut und wehrt jegliche Kritik mit dem Recht auf Selbstverteidigung und gegebenenfalls mit der Holocaust Keule ab. Wenn eines sicher ist, dann ist es wohl die Tatsache, dass wir Mitteleuropäer dem gänzlich ratlos gegenüber stehen.

Ausgerechnet ein jüdischer Autor schickte sich nun an, zu erklären und sogar zu versöhnen. Ilan Hatsors Kammerspiel ist in dem Hinterzimmer einer Metzgerei im besetzten Westjordanland angesiedelt. Dort betreiben drei Brüder ein Tribunal. Da'ud , der Älteste ist des Verrats angeklagt. Na'im, glühender Kämpfer in einem Intifada Komitee hat von den Anschuldigungen gegen Da'ud erfahren und versucht zu retten, was nicht zu retten ist. Der jüngste Bruder Khaled, voller Bewunderung für Na'im, wegen dessen Engagements für die Befreiung Palästinas ist hin und her gerissen zwischen Bruderliebe und politischer Idee. Bald wird erkennbar, dass Da'ud mit den israelischen Sicherheitsorganen zusammen gearbeitet hat. Sein Motiv: Er will menschenwürdig leben in einer intakten Familie mit einem gesicherten, wenn auch geringen Einkommen.

Alexander Netschajew inszenierte ein Kammerspiel in der Mausefalle. Wenngleich Ilan Hatsor einen alternativen Schluss angeboten hat, in dem er zur Verständigung zwischen den Völkern aufruft, bleibt der glaubhaftere Schluss der der Katastrophe.
Alexander Netschajew, Bühnenbilder und Regisseur in Personalunion, schuf einen kühlen Raum in dem das blutige Handwerk des Schlachtens verrichtet wird. Dort ließ er die Schauspieler sehr realistisch agieren. Er baute auf die durch den Text Hatsors provozierten Gefühle, die am Ende allerdings keine eindeutigen waren. Durch seine Spielfassung war das letzte Gefühl fatalistische Resignation. Dennoch machte dieses Stück Sinn, da der Begriff Bruderkrieg eine wirkliche nachvollziehbare Dimension bekam.

 

   
 

Tobias Ulrich, Martin Carnevali, Stefan Lehnen

© Max Ott

 

 

Im Ensemble überzeugte am ehesten Stefan Lehnen als Da'ud. Sein Plädoyer für das Leben erscheint das sinnvollste. Lehnen lässt keinen Zweifel daran, dass Da'ud überlegt gehandelt hat, dass ihm der Verrat zuwider war, dass er aber im Sinne einer, soweit möglich, selbstbestimmten Existenz dazu bereit war. Sein Scheitern ist nicht selbstverschuldet, sondern Resultat einer wahnwitzigen, sich jeglicher Rationalität entziehenden Kriegssituation.

Tobias Ulrich, der jüngste der Brüder, entwickelt im Laufe des Stückes die Figur Kahleds, eines verblendeten Kindes hin zum verzweifelten Träger letzter humanistischer Restideen. Martin Carnevali als Na'im, gestaltete den mittleren Bruder als einen Menschen, beseelt von einer Freiheitsidee, zu deren blutigem Instrument er letztlich verkam. Regisseur Netschajew gelang es über eineinhalb Stunden einen Spannungsbogen zu erzeugen, an dessen Ende leider keine wirkliche Botschaft stand. So übertrug sich auf das Publikum das Gefühl der Ausweglosigkeit und des Fatalismus. Einen wirklichen Durchbruch aus der Logik des Krieges gab es nicht und dieser kann nur sein, ein konsequenter vorbehaltloser Pazifismus, der nicht mit dem Wort Auschwitz gekippt werden kann.

Es ist in jedem Fall eine sehenswerte Inszenierung, da ein Problem, das wir nur aus den Nachrichten kennen, fühlbar wird.


C.M.Meier

 

 

 


Vermummte

von Ilan Hatsor

Tobias Ulrich, Martin Carnevali, Stefan Lehnen

Regie: Alexander Netschajew
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