Schwere Reiter  Germania I - Dinkelhofen von Stefan Kastner


 

 

Musterbeispiele mustergültiger Mustererfüllung

Germania - du Land der bestimmenden Göttinnen und der entmannten Götter. In tausenden Balladen und Arien gepriesen, verheert von unzähligen Kriegen und fehlgeleitet von unsäglichem Unverstand stehst du ehern, erträgt deine Bevölkerung das Leid dieses, ihres selbstgewählten Schicksals mitten in Europa. Wie anders, als mit Humor, ließe sich dem Elend begegnen, geht es doch vornehmlich um friedvolles Miteinander und Wohlgefühl und Entspannung, wie uns täglich vor Augen gehalten wird. Lachen verbindet, auch wenn die Umstände längst zum Heulen sind. Stefan Kastner verfügt über eine gesunde Portion Mutterwitz, den er aufschlussreich ins Szene setzte. „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern.“, schrieb der Dichter der Freiheit Friedrich Schiller und meinte dies wohl in idealistisch humanistischem Sinn, weniger denn in Beschränkung auf gemeinsame naturgegebene Verhaltensmuster. Es liegt wohl in der Natur von Schreibern eine Weltsicht ihrer Zeit zu verbreiten, anzuregen. Doch das Zeitalter der Klassik ist vorbei und heute, im Clinch mit Griechenland und der Wiege der Klassik, inmitten einer ganz allgemein ausufernden Öko-Bewegung, betet man brüderlich die natürlichen Anlagen an - Mutter Natur.

„Den Zeiten die da kommen Retter aufzubewahren, ist meine Aufgabe, die mir von Ihm gegeben ist.“, so sprach die Göttin auf Golgatha. Gemäß ihrer Aufgabe entschied sie, dass Daniel nicht bei seiner Mutter, der Königin von Byzanz aufwachsen solle, sondern in Frankfurt am Main. Eine weise Entscheidung, wie sich später an den Erziehungsmaßnahmen der Königin erkennen lässt, und doch pflegt das Schicksal die Wege vorzugeben, denen nicht zu entkommen ist. Wie in der klassischen griechischen Tragödie folgt der Faden der Handlung den Prinzipien – These, Antithese, Synthese. Stellten einst die selbstherrlichen Götter die Thesen auf, so nutzen die aktuell regierenden Göttinnen diese nach Laune, befolgen oder verwerfen sie. Macht es Unterschied unter Bevaterung oder Bemutterung zu leiden? Wenig.

Am Beginn der tragischen Komödie begibt sich die Königin mit ihrem zweitgeborenen Sohn Rainer auf die Suche nach Daniel. Sie ziehen durch den vorderen Orient, von Alexandria bis Karthago und schon der Wiedererkennungseffekt der verschiedenen Stadttore, welche den durchaus realistischen Bühnenhintergrund bildeten, zauberten das erste Lächeln auf die Gesichter des Publikums. Inge Rassaerts und Uli Zentner verkörperten äußerst glaubhaft, wie sie als Mutter und Sohn unter einer Decke steckten. Während sie reisten, wuchs Daniel in Frankfurt auf. Eine Begegnung mit dem Philosophen Adorno (trocken und steif gegeben von Stefan Kastner), in dessen Kreis er Aufnahme gefunden hatte, veranschaulichte die Fähigkeit Daniels in die Metaphysik einzutauchen. Mühelos überwand Philipp Brammer den Kasten, das Symbol des Manifesten. Und ebenso leicht folgte er den Freunden in die Politik. Ein zukünftiger Retter, ein Auserkorener? Doch zwischen Traum und Fussball erstreckt sich das Feld der Realtiät. Isabell Kott spielte eine Wegbegleiterin auf diesen verschlungenen Pfaden. Sie schwankte unzweideutig haltlos zwischen stabilisierenden Aufenthalten und ihren Vorstellungen von tätiger Zukunft. Grandios gab Dominik Wilgenbus die Figur des Freundes Blumenthal. Besonders differenziert zeichnete dieser den Habitus des Fachmannes im Bereich Musik, der mit Belehrung und Theorie Sachverstand vorzutäuschen in der Lage war und den wenigen Tönen, welche er der Flöte entlockte, weitreichende elementare Bedeutung zusprach. Aufmerksam lauschte ihm Susanne Schroeder (Daniels Frau), bis sie schamhaft und doch entblößt in eine Affäre stolperte. Dazu sang der Chor der Nachbarinnen von Beziehungsweisheiten, während die Faschingsprinzessin und die Tanznadel-Anwärterinnen über die Bühne zogen. Wenn das kein zerlegender Blick ist auf ...

   Dinkelhofen  
 

Stefan Kastner

© Franz Kimmel

 
 
Das Ringen um Anerkennung, den Preis, die Auszeichnung, ersetzt körperliches Ringen, den Kampf nur ungenügend. Das erfuhr der Bürgermeister von Dinkelhofen, einer aus der gescheiterten Liga der Patriarchen, der mit den selbstgebackenen Autobahnauffahrten ins Weltkulturerbe aufgenommen werden wollte. Michaela May krempelte mannhaft die Hemdsärmel hoch, schwang das Nudelholz und so ganz nebenbei sorgte sie in der Amtsstube für unehelichen Nachwuchs. Das Kind großziehen wird Rainer, der sich sexuell emanzipiert von der Mutter löste, um einer jüngeren Mutter nahe zu sein, mit ihr eine Grenze zu überschreiten. Die Götter haben die Welt längst unter sich aufgeteilt, in ihrem Sinne eingeteilt und Frauen vor ihren Karren, die Ökonomie (Das Wort beginnt übrigens auch mit „Öko“, wie Ökologie, was durchaus zu Verwechslungen führt.) gespannt, um sich über die Bühnen ziehen zu lassen.

Germania – ein Land in dem Bäckermeister Architekten spielen, Naturexperten von der Medienwirtschaft propagiert und Wirtschaftwissenschaftler sich durch ihren eigenen Thesen vorführen – zeigt ein buntes Spektrum im Bereich der Fehlbesetzungen. So kam es wohl auch, dass im fortgeschrittenen Handlungslauf teigiger Brei Abflüsse verstopft und die vorprogrammierten Überschwemmungen tatsächlich eintreffen. Doch zur Abwendung der völligen Katastrophe werden die auserwählten modernen Retter eingesetzt, die theoretisch Helden sind und praktisch höchstens Gullydeckel in Dinkelhofen bewegen können. Es geht nur mit der Natur, keinesfalls gegen diese oder in offensichtlichen Fehlschlüssen. Teig eignet sich nunmal nicht zu Brücken- und Straßenbau.

Stefan Kastner hat einen genauen Blick auf das Dickicht der vielfältigen Leiden geworfen, er tat dies mit der volkseigenen Gründlichkeit. Und, wäre da nicht seine außergewöhnliche Portion Humor und seine bildhafte Umsetzung, welche diese Inhalte anregend unterhaltsam vor das Publikum brachte, es zeigte ein Desaster. So endete Germania I mit: Wohlverdientem begeistertem Applaus für Darsteller, Chor, Autor und Regie.



C.M.Meier

 

 


Germania I - Dinkelhofen

von Stefan Kastner

Susanne Schroeder, Stefan Merki, Sarah-Lavinia Schmidbauer, Inge Rassaerts, Philipp Brammer, Uli Zentner, Dominik Wilgenbus, Isabel Kott, Stefan Kastner, Michaela May, Melanie Renz, Dominique Marchand, Lotte Kößler, Anne Gericke, Christina Neudecker, Angelika Hornsteiner

Müttergesangsverein München: Bettina Armbruster, Susanne Barth-Ilg, Sandra Danyluk, Eva Düchs, Katrin Eisenblätter, Dominique Marchand, Christella Fischer, Anne Gericke, Renate Grote-Giersch, Angelika Hornsteiner, Margarita Martin Huéscar, Cornelia von Kapff, Lotte Kößler, Christina Neudecker, Mai Nguyen, Bettina von Staden, Evelyn Voigt-Mueller, Moni Willenbrink, Uli Wimmer

Regie: Stefan Kastner
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.