Das blaue blaue Meer

Pathos  Das blaue, blaue Meer von Nis-Momme Stockmann


 

Was ist Leben?

Vier Betonsäulen begrenzten die Spielfläche. Zwischen diesen hingen Schaukeln von der Decke. Stahldraht und Betonblöcke verstärkten die Atmosphäre, wie sie zwischen ergrauten Wohnbauten herrscht. Ein Spielplatz für die Kinder und diesen Lebensraum zu nennen, veranschaulichte das Missverständnis der bedingungslosen Industriegesellschaft. Der Bewegungsraum ließ jegliche Natur vermissen, trennte die Körper von dieser und damit auch von ihrer eigenen natürlichen Art. Ein Hase, Haustier, suchte neugierig vergeblich nach einem Zuhause.

Auf dieser Bühne sind es szenische Momente, die zwischen Erklärung und Befindlichkeit kreisen und damit das Dilemma, die Spaltung der Spezies in Funktion und Ausgeliefertsein, in den Mittelpunkt stellen. Nis-Momme Stockmann, dessen Werke im deutschen Raum vielfach Auszeichnung und breite Beachtung finden, führt in dem Stück Aussichtslosigkeit vor Augen, wenn er die Schauspieler von „ ... der hat doch gar keine andere Wahl als komplett verrückt zu  werden ...“ sprechen lässt. Der Autor formuliert eine gebrochene Sprache, die sich in Wiederholungsschleifen aufhängt. So, wie in Passagen im Text immer wieder von den Menschen gesprochen wird, welche dem Vegetieren ein Ende setzten. „Meine Eltern sind schon lange tot, ihre Körper leben noch in dem Haus ...“ Hoffnung, das ist ein Wort aus einer anderen Welt, dessen Bedeutung sich zwischen den grauen Mauern verflüchtigt hat. Nackt, ohne Rückzugsraum sind die Figuren dem Sozialfeld und dem über sie gestülpten Klischee ausgeliefert. „... Konformitätsgravitation ...“  Und doch schillern auch dazwischen Träume.

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Jaqueline Jansen

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Darko sucht vergeblich nach Leben in diesem Raum. Felix Phönix Lehmann verkörperte glaubhaft die Angst eines Ausgeschlossenen vor der Welt. Unbeholfen, unerfahren, doch auch gleichzeitig neugierig erkundend, erspielte er facettenreich den jungen Mann in einem unwirtlich kleinen Umfeld.  In den Passagen, in denen seine innere Stimme (lebendig gesprochen von Jasper Vitus Schagerl) sich Gehör verschaffte, straffte sich seine Haltung und ein unmerkliches Lächeln trat in sein Gesicht, die für Momente eine innere Gegebenheit begreifen ließen. Doch die überwiegende Resignation erstickte ihn schon vor einem Leben.
Die Unruhe der Leere wurde mit lauter Musik übertönt, dem Versuch die Seelen in Schwingung zu halten. Regisseurin Constanze Hörlin, die gemeinsam mit Uli Pförtsch die Bühne gestaltete, hatte auf Tempo gesetzt, um dem szenischen Text zu Spannung zu verhelfen. Immer wieder wechselten die Bilder, Szenen, und doch, ein wenig weniger Aktion wäre mehr gewesen. Wogegen die Idee, der inneren Stimme des Protagonisten ein anderes Timbre zu verleihen, voll aufging und den Graben zwischen Möglichkeit und Tatsächlichkeit auftat. Die pure Tristesse wäre Realität gewesen und somit wurde ebenso deutlich, wie nahe die Figuren doch miteinander verbunden waren. Industiell erzeugte „ ... Konformitätsgravitation ...“  - Alle sind eins, eins steht für alle.
Christiane Dollmann, das typische Mädchen von nebenan. Sie machte unkompliziert mit oder zog sich zurück in die Poesie, den Bereich des artikulierten Gefühls. Aus dem Hintergrund trug sie stimmungsvoll Verse vor. Doch auch sie ein Opfer der äußeren Umstände.
Abhängen und schaukeln, an Fäden von oben baumeln. Das, und die Flasche Alkohol waren es, die das Bild eines Ausgegrenzten ausmachten. Jasper Vitus Schagerl gab den stumpfen Alkoholiker, der ausgeliefert perspektivlos lediglich von einer schwarzen Mütze gewärmt, auf dem Boden aus Beton hockte und dies als nackte Tatsachen vorstellte. Facetten der Selbstwahrnehmung und „Korn, Rum, Wodka, Bier“ wechselten einander ab. Souverän spielte er einen Weggetretenen.
Martina Schölzhorn nahm immer wieder die Hände vor Augen, formte ein Fernglas aus ihnen um in andere Welten, in eine farbige Zukunft zu blicken. Ein aufgeschlossenes Mädchen stellte sie mit feiner Präsenz dar, das sich einen eigenen Lebensraum schuf und Bezug suchte. „... lass uns doch in den Zoo gehen ...“, ein Ausflug den Darko jedoch vereitelte. Die träumende Motte flüchtete „... nach Norwegen. Da ist das Meer noch blau.“

Das Feuer mit dem die Macher dieser Aufführung für Theater brennen, leuchtete aus allen Poren. Und den Wänden blieb nur, dieses widerzuspiegeln. Ins rechte Licht gesetzt hatte dies Evi Gerteis mit entwickeltem Gespür für kunstvolle Bilder in ungewöhnlich feinem Farbspektrum und blanker Schwarz/Weiß Manier. Es ist also möglich auch Beton zu bespielen, wenn man aus der freien Welt kommt - Leben zu verbreiten. Lassen Sie sich anstecken ...

 

C.M.Meier

 


Das blaue, blaue Meer

von Nis-Momme Stockmann

Christiane Dollmann, Felix Phönix Lehmann, Jasper Vitus Schagerl, Martina Schölzhorn

 

Regie: Constanze Hörlin