Pathos Somewhere else but now


 

Leben oder fast leben


Leben bedeutet Teil der unmittelbar sinnlichen Erfahrung zu sein. Es beginnt außerhalb der aufgebauten Schutzräume und der gewohnten Pfade. Es braucht Sehnsucht, dieses erfahren zu wollen und Mut sich ihm auszusetzen. Die virtuelle Welt ist ein Ort für Illusionen, ein Ort des Nachvollzugs und der vorgespiegelten Erlebnisse jenseits des realen Miteinander. Die Beobachtung steht hier im Mittelpunkt, die Beobachtung des Wissenschaftlers, die Beobachtung des interessierten Followers und anderer. Es ist vergleichbar mit dem Zustand kollektiver Versenkung in die Sphären, die Seelen, einzelner. Las man früher für diese Erfahrung ein fantasievolles Buch, so schaut man nun einen Film oder  folgt als Fan dem Blogg eines Wagemutigen im Internet. Bewegter als  die starren Buchstaben ist dies absolut, und fertige Bilder erscheinen als reale Wahrnehmungen für den Betrachter.
Der Australier Aaron Austin-Glen wagte den Schritt aus dem gewohnten Umfeld in London, um eine Reise mit dem Fahrrad nach Hause, im letzten Teil durch die NullarborPlain zu machen, den Schritt über die gewohnten Grenzen zu erweiterter Welt- und Selbsterfahrung. Die Theatergruppe Pandora Pop gestaltete gemeinsam mit dem Abenteurer einen künstlerischen Nachvollzug des Trips mit besonderen Schwerpunkten. Was ist Zeit und wie erfahren wir diese? Was kann Einsamkeit bedeuten und wie vermitteln wir Erlebnisse? So wurde aus dem Reisebericht eine szenische Performance.

Alles begann in der Wohnecke mit Polsterstuhl, Stehlampe, Labtop und beleuchtetem Globus. Das Studieren von Reiseführern verband die Künstler, als der Abenteurer seinen Einstieg vortrug und im Hintergrund der Film mit der Abschiedsszene lief. Umarmungen, Menschen standen  im Kreis auf einem, von Glasfassaden umringten betonierten Platz. Die ersten 160 Kilometer waren wohl die anstrengendsten – der Weg von London nach Dover zur Fähre. Dann brauchte es weitere 5000 Kilometer bis sich nach einer besonderen Begegnung das Gefühl von Freiheit einstellte, hinter dem Bosporus am Schwarzen Meer. „What the hell am I doing?“ 354 Tage und 14.000 Kilometer durch 20 Länder war Aaron unterwegs, stets verfolgt von seinen Freunden, via Facebook, Instagram, Vimeo …

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Aaron Austin-Glen

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Die Zuschauer im Pathos in München erlebten sowohl Szenen der Reise, als auch Szenen aus dem Innenleben des Abenteurers mit. Landkarten, Fotos und Kurzvideos färbten die weiße Rückwand der Bühne, ganz ähnlich wie die vier Farben der Pixel des Digitalen. Doch anders als im puren Internet agierten auf der Spielfläche die Darsteller. Auf dem Fahrrad sitzend, kräftig in die Pedale tretend, erzählte Aaron Austin-Glen vom Beginn und den ersten Erfahrungen mit sich in der puren Natur. Deutlich erschien hier die Entfernung des modernen Menschen zu seiner Herkunft. Der Weg in sie zurück dauerte immerhin 5000 Kilometer. Noch tiefer in die abstrakten Dimensionen des Mentalen und Emotionalen gingen die Texte, welche Pandora Pop (Dramaturgie Martina Missel) einbrachte. Künstlerisch aufgearbeitete Empfindungsreisen und Sammlungen von Eindrücken, gleich der Nachbearbeitung der, von Aaron übernommenen Berichte, setzten immer wieder Schwerpunkte. Die kleine Runde um das flackernden Lagerfeuer, die 76 Fotos von Sonnenuntergängen, die Kaffeetassen in Istanbul aus denen eine per Livestream zugeschaltete Freundin die Zukunft las. Mittels einer wundervollen Idee veranschaulichte Pandora Pop wie eine solche Glaskugel über einem Smartphone aussehen kann. Die Durchquerung der ersten Wüste im Iran setzte Gunnar Seidel in Ausdruckstanz um. Verloren in dunkler Nacht, Einsamkeit jenseits des gewohnten Lebendigen. Wie sehr sich doch die Strukturen von Dascht-e Lut und Mars gleichen, auf dem die gewohnte Dimension Zeit ein anderes Gefühl auslöst. Die Erfahrungen des Menschen sind unmittelbar an seine Umgebung gebunden, sie erschließt immer weitere Dimensionen von Wirklichkeit durch wechselnde Realität. Erst die Leere, der Gegensatz zu Fülle der Natur, vervollständigt die blühende Schöpfung.

Die Performance ist eine überaus kunstvoll facettenreiche Erweiterung der Weltreise. Die Videos, die Bilder, die original Requisiten wie Fahrrad und Zelt, die Gedankengänge des Akteurs und der in Echtzeit – now - Beobachter über Bildschirme, all dies ließ auch das Publikum teilhaben an diesem Abenteuer – somewhere else – in München. Erlebenswert. Auf jeden Fall erlebenswert, nicht nur für Travelfans.


C.M.Meier

 


SOMEWHERE ELSE BUT NOW

Ein performativer Reisebericht von Pandora Pop und Aaron Austin-Glen


Anne Winde-Hertling, Aaron Austin-Glen, Norman Grotegut, Gunnar Seidel