Residenztheater Pünktchen und Anton nach Erich Kästner
Grandios!
Kästners 1931 erschienene Kinderroman „Pünktchen und Anton“ hat sich als eine der modernsten und zugleich flexibelsten Geschichten in der deutschsprachigen Kinderliteratur erwiesen. Sie wurde 1953 in der Regie von Thomas Engel und 1999 in der von Caroline Link verfilmt. Isabel Kreitz machte aus dem Roman 2009 eine Comicfassung und Ivan Eröd schrieb das Libretto für Thomas Höfts Kinderoper, die am 8. Mai 2010 uraufgeführt wurde. 2011 kam die Bühnenfassung von Volker Ludwig unter dem Titel „Pünktchen trifft Anton“ auf die Bretter des Berliner Grips-Theaters. Ausgerechnet in den letzten zwei Dezennien erlebte Kästners Kinderroman, dessen reale Hintergründe in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu finden sind, ein wahre Renaissance. Das verwundert allerdings nicht wirklich, wenn man sich die Geschichte einmal anschaut. Darin geht es um zwei Kinder, die trotz unterschiedlichster sozialer Herkunft Freundschaft schließen. Pünktchen entstammt eine sehr reichen Unternehmerfamilie. Sie kennt keine soziale Sorgen und sie ist noch naiv genug, dem armen Anton, dessen Mutter krank ist und die er als Kind miternähren muss, auf Augenhöhe zu begegnen. Die Freundschaft der beiden fordert ihnen einige Mutproben und Loyalitätsbeweise ab, die die Kinder, anders als die meisten Erwachsenen, souverän meistern.
Kästner, stets ein sozial denkender und empfindender Mensch, der dem süßen Leben dabei wahrlich nicht abhold war, schuf eine Kinderliteratur, die über ihre Zeit hinaus wirksam blieb. Deren Modernität wird durch zwei wesentliche Säulen getragen, durch einen unerschütterlichen Humor, der den Betrachter vor Sozialkitsch und Larmoyanz bewahrt, und durch seine humanistische Grundhaltung, die unaufdringlich und eingängig moralische Werte vermittelt. Es sind die Tugenden wie Freundschaft, Mut, Ehrlichkeit, Mitgefühl u.a., die die Protagonisten zu Helden machen und die mit ihrem Handeln auch die Welt der Erwachsenen ein wenig besser machen, indem sie diese an ihren Wertekanon erinnern, der gelegentlich durch den Alltag in Vergessenheit geraten war. Dabei sind die Geschichten in Kästners Werken selten mehr als der Alltag. Das Wunderbare an diesen Geschichten ist, dass sie die Kinder mehr zu bewegen vermögen, als alle Fantasy-, Action- und Superhelden zusammen.
Der beste Beweis dafür ist die Inszenierung des Romans am Münchner Residenztheater in der Bearbeitung von Thomas Birkmeier. Dem Autor gelang es, und Kästners Vorlage ließ das problemlos zu, die ohnehin schon sehr sozialkritische Geschichte mit einigen heutigen Elementen weiter aufzuladen. So ist Herr Pogge, Pünktchens Vater, kein Schirmfabrikant wie bei Kästner, oder Direktor einer Strumpffabrik wie in Engels Verfilmung, sondern Besitzer einer Supermarktkette, ein Wirtschaftbereich, der wegen rigider Ausbeutungsmethoden in den letzten Jahren in Misskredit geraten war. Antons Mutter, Frau Gast, eigentlich studierte Ethnologin und Afrikaforscherin, hatte wegen einer Krankheit ihren Job in eben einem dieser Poggeschen Supermärkte verloren. Um das Hauchaltsgeld ein wenig aufzustocken und um der vermeintlich todkranken Frau noch einen letzten Urlaub in Italien zu ermöglichen, sammelt Anton nachts im Bahnhofsviertel Pfandflaschen. Frau Pogge ist bei Birkmeir nicht nur eine vergnügungssüchtige Lebefrau, sondern eine engagierte und stets von den Medien begleitete Kämpferin gegen den Hunger in Afrika. Sie veranstaltet pausenlos exklusive Benefits–Partys, wo man für exotische Stämme in Afrika gegen deren Armut „anfrisst“. Heimische Armut allerdings gibt es für sie nicht. Die ist, wie sie meint, nur vorgetäuscht von Menschen, die einfach zu faul zum Arbeiten sind. Am Ende kommen Frau Pogge und Frau Gast zusammen, denn zweitere spricht die Sprache der Afrikaner, um die sich erstere kümmern will. Unverändert geblieben ist die Räubergeschichte des „Teufels“ Robert und Pünktchens Erzieherin Fräulein Andacht. Es gab auch keinen Grund daran etwas zu ändern, denn eine Verbindung zwischen halbseidenem Milieu und den Villen von Grünwald braucht nicht erdichtet zu werden.
Kästners 1931 erschienene Kinderroman „Pünktchen und Anton“ hat sich als eine der modernsten und zugleich flexibelsten Geschichten in der deutschsprachigen Kinderliteratur erwiesen. Sie wurde 1953 in der Regie von Thomas Engel und 1999 in der von Caroline Link verfilmt. Isabel Kreitz machte aus dem Roman 2009 eine Comicfassung und Ivan Eröd schrieb das Libretto für Thomas Höfts Kinderoper, die am 8. Mai 2010 uraufgeführt wurde. 2011 kam die Bühnenfassung von Volker Ludwig unter dem Titel „Pünktchen trifft Anton“ auf die Bretter des Berliner Grips-Theaters. Ausgerechnet in den letzten zwei Dezennien erlebte Kästners Kinderroman, dessen reale Hintergründe in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts zu finden sind, ein wahre Renaissance. Das verwundert allerdings nicht wirklich, wenn man sich die Geschichte einmal anschaut. Darin geht es um zwei Kinder, die trotz unterschiedlichster sozialer Herkunft Freundschaft schließen. Pünktchen entstammt eine sehr reichen Unternehmerfamilie. Sie kennt keine soziale Sorgen und sie ist noch naiv genug, dem armen Anton, dessen Mutter krank ist und die er als Kind miternähren muss, auf Augenhöhe zu begegnen. Die Freundschaft der beiden fordert ihnen einige Mutproben und Loyalitätsbeweise ab, die die Kinder, anders als die meisten Erwachsenen, souverän meistern.
Kästner, stets ein sozial denkender und empfindender Mensch, der dem süßen Leben dabei wahrlich nicht abhold war, schuf eine Kinderliteratur, die über ihre Zeit hinaus wirksam blieb. Deren Modernität wird durch zwei wesentliche Säulen getragen, durch einen unerschütterlichen Humor, der den Betrachter vor Sozialkitsch und Larmoyanz bewahrt, und durch seine humanistische Grundhaltung, die unaufdringlich und eingängig moralische Werte vermittelt. Es sind die Tugenden wie Freundschaft, Mut, Ehrlichkeit, Mitgefühl u.a., die die Protagonisten zu Helden machen und die mit ihrem Handeln auch die Welt der Erwachsenen ein wenig besser machen, indem sie diese an ihren Wertekanon erinnern, der gelegentlich durch den Alltag in Vergessenheit geraten war. Dabei sind die Geschichten in Kästners Werken selten mehr als der Alltag. Das Wunderbare an diesen Geschichten ist, dass sie die Kinder mehr zu bewegen vermögen, als alle Fantasy-, Action- und Superhelden zusammen.
Der beste Beweis dafür ist die Inszenierung des Romans am Münchner Residenztheater in der Bearbeitung von Thomas Birkmeier. Dem Autor gelang es, und Kästners Vorlage ließ das problemlos zu, die ohnehin schon sehr sozialkritische Geschichte mit einigen heutigen Elementen weiter aufzuladen. So ist Herr Pogge, Pünktchens Vater, kein Schirmfabrikant wie bei Kästner, oder Direktor einer Strumpffabrik wie in Engels Verfilmung, sondern Besitzer einer Supermarktkette, ein Wirtschaftbereich, der wegen rigider Ausbeutungsmethoden in den letzten Jahren in Misskredit geraten war. Antons Mutter, Frau Gast, eigentlich studierte Ethnologin und Afrikaforscherin, hatte wegen einer Krankheit ihren Job in eben einem dieser Poggeschen Supermärkte verloren. Um das Hauchaltsgeld ein wenig aufzustocken und um der vermeintlich todkranken Frau noch einen letzten Urlaub in Italien zu ermöglichen, sammelt Anton nachts im Bahnhofsviertel Pfandflaschen. Frau Pogge ist bei Birkmeir nicht nur eine vergnügungssüchtige Lebefrau, sondern eine engagierte und stets von den Medien begleitete Kämpferin gegen den Hunger in Afrika. Sie veranstaltet pausenlos exklusive Benefits–Partys, wo man für exotische Stämme in Afrika gegen deren Armut „anfrisst“. Heimische Armut allerdings gibt es für sie nicht. Die ist, wie sie meint, nur vorgetäuscht von Menschen, die einfach zu faul zum Arbeiten sind. Am Ende kommen Frau Pogge und Frau Gast zusammen, denn zweitere spricht die Sprache der Afrikaner, um die sich erstere kümmern will. Unverändert geblieben ist die Räubergeschichte des „Teufels“ Robert und Pünktchens Erzieherin Fräulein Andacht. Es gab auch keinen Grund daran etwas zu ändern, denn eine Verbindung zwischen halbseidenem Milieu und den Villen von Grünwald braucht nicht erdichtet zu werden.
Meike Kapp, Friederike Ott, Götz Argus, Ulrike Willenbacher © Thomas Dashuber |
Bühnenbildner Christoph Schubiger schuf mit seinem Entwurf nicht nur einen hervorragend funktionierenden Spielraum, sondern eine wahrhaft grandiose Illusion, die nicht nur die Kinder begeisterte. Auf der Drehbühne waren vier Orte dargestellt: Das Poggesche Haus innen und außen, die Schule Antons, das Bahnhofsviertel mit dem Bistro „Sommerlatte“ und der triste Wohnblock der Gasts. Die einzelnen Topoi waren nicht nur angedeutet, sondern präsentierten sich durch aus dem Bühnenboden herabgelassene Prospekte vollkommen in ihrer Ganzheit. Dabei war auffällig, wie viel Liebe von den Machern auf die Details verwendet wurde. Es fielen in den Nächten am Hauptbahnhof Sternschnuppen vom Himmel. In Fenstern ging Licht an oder aus und in einem flackerte sogar ein Fernseher. Christoph Schubiger tat gut daran, so aufwendig zu arbeiten. Das zeugte von großem Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein. Vielleicht folgte er aber auch nur seinem eigenen Spieltrieb und erfüllte sich selbst einen Wunsch. Ein schöner Gedanke!
In diesem wunderbar suggestiven Ambiente entwickelten die Darsteller des Residenztheaters ein ausgefeilt natürliches, maßvolles und eingängiges Spiel. Allen voran naturgemäß Frederike Ott als Pünktchen und Frank Pätzold als Anton. Beiden gelang eine fulminanten Jugendlichkeit, ohne dass sie auf billige Gags setzten, mit denen man die Kinder fraglos hätte verführen können. Tom Radisch komplettierte die Gruppe der Kinder als rotzlöffeliger Klepperbein mit Berliner Akzent, - ob gewollt oder nicht, eine wunderbare Verbeugung vor Kästner. Ulrike Willenbacher steuerte zur Charakterkomik ein nervig-schrilles, blaustrümpfiges, stocksteifes Fräulein Andacht bei, gänzlich ihrem angebeteten Robert verfallen. Götz Argus gab den halbseidenen Zampano des Bahnhofsviertel als pomadig-propperen Platzhirsch in Zuhältermanier. In seiner stimmlich-donnernden Robustheit war er bestens geeignet, den Bösewicht vorzustellen. Um so größer war der Spaß, als die dicke Berta ihn im Finale mit der Bratpfanne niederstreckte. Er ging zu Boden wie ein Held in einer Wagneroper. Einer solchen schien auch Berta entsprungen zu sein. Katharina Pichler leistet im Stück einen Großteil der Komik. Als Italienerin mit mediterranem Temperament spielte sie sowohl stimmlich wie auch körperlich weit ausholend, ohne auch nur ein einziges Mal zu überziehen. Diese Gefahr bestand auch bei Michaela Steiger als mediensüchtige Weltenretterin mit großer Realitätsferne. Sie spielt ihren Part der Frau Pogge aufwendig und doch maßvoll, und als eine der wenigen Personen, die im Stück eine Sinneswandlung vollzieht, gelangen ihr berührende Momente. Gerhard Peilsteins Unternehmer Pogge war ein in sich zurückgezogener Mann, der in seiner Arbeit lebte und sich mit der Realität in der Familie nur schlecht arrangieren konnte. Seine Hilflosigkeit überdeckte jedoch seine Vaterliebe nie und so ging er als überaus positive Figur durch, ähnlich wie Sophie Wendt als Antons Mutter. Sie war ein bescheidene Frau, die dennoch aufbegehrte, wenn es um ihre und die Würde ihres Sohnes ging.
Ein weiteres Highlight war die Musik von Rudolf Gregor Knabl. Die Songs kommentierten das Geschehen sinnfällig. Ähnlich wie im Roman von Kästner, der „Nachdenkereien“ eingefügt hatte, fassten die Songs die wesentlichen Feststellungen aus dem Spiel zusammen. Regisseur Thomas Birkmeir ist mit dieser Inszenierung ein ganz großer Wurf gelungen. Das bezeugten nicht nur die Kinder mit dem langanhaltenden Applaus. Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass diese Inszenierung eine der besten Arbeiten in München in der Spielzeit 2012/2013 sein wird. Als Erwachsener hat man sich an diesem wundervollen Theaterspätnachmittag einmal mehr daran erinnert, warum man das Theater liebt. Und bei den kleineren Zeitgenossen geht nun ganz sicher der Theatervirus um. Grandios! Glückwunsch allen Beteiligten!
In diesem wunderbar suggestiven Ambiente entwickelten die Darsteller des Residenztheaters ein ausgefeilt natürliches, maßvolles und eingängiges Spiel. Allen voran naturgemäß Frederike Ott als Pünktchen und Frank Pätzold als Anton. Beiden gelang eine fulminanten Jugendlichkeit, ohne dass sie auf billige Gags setzten, mit denen man die Kinder fraglos hätte verführen können. Tom Radisch komplettierte die Gruppe der Kinder als rotzlöffeliger Klepperbein mit Berliner Akzent, - ob gewollt oder nicht, eine wunderbare Verbeugung vor Kästner. Ulrike Willenbacher steuerte zur Charakterkomik ein nervig-schrilles, blaustrümpfiges, stocksteifes Fräulein Andacht bei, gänzlich ihrem angebeteten Robert verfallen. Götz Argus gab den halbseidenen Zampano des Bahnhofsviertel als pomadig-propperen Platzhirsch in Zuhältermanier. In seiner stimmlich-donnernden Robustheit war er bestens geeignet, den Bösewicht vorzustellen. Um so größer war der Spaß, als die dicke Berta ihn im Finale mit der Bratpfanne niederstreckte. Er ging zu Boden wie ein Held in einer Wagneroper. Einer solchen schien auch Berta entsprungen zu sein. Katharina Pichler leistet im Stück einen Großteil der Komik. Als Italienerin mit mediterranem Temperament spielte sie sowohl stimmlich wie auch körperlich weit ausholend, ohne auch nur ein einziges Mal zu überziehen. Diese Gefahr bestand auch bei Michaela Steiger als mediensüchtige Weltenretterin mit großer Realitätsferne. Sie spielt ihren Part der Frau Pogge aufwendig und doch maßvoll, und als eine der wenigen Personen, die im Stück eine Sinneswandlung vollzieht, gelangen ihr berührende Momente. Gerhard Peilsteins Unternehmer Pogge war ein in sich zurückgezogener Mann, der in seiner Arbeit lebte und sich mit der Realität in der Familie nur schlecht arrangieren konnte. Seine Hilflosigkeit überdeckte jedoch seine Vaterliebe nie und so ging er als überaus positive Figur durch, ähnlich wie Sophie Wendt als Antons Mutter. Sie war ein bescheidene Frau, die dennoch aufbegehrte, wenn es um ihre und die Würde ihres Sohnes ging.
Ein weiteres Highlight war die Musik von Rudolf Gregor Knabl. Die Songs kommentierten das Geschehen sinnfällig. Ähnlich wie im Roman von Kästner, der „Nachdenkereien“ eingefügt hatte, fassten die Songs die wesentlichen Feststellungen aus dem Spiel zusammen. Regisseur Thomas Birkmeir ist mit dieser Inszenierung ein ganz großer Wurf gelungen. Das bezeugten nicht nur die Kinder mit dem langanhaltenden Applaus. Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass diese Inszenierung eine der besten Arbeiten in München in der Spielzeit 2012/2013 sein wird. Als Erwachsener hat man sich an diesem wundervollen Theaterspätnachmittag einmal mehr daran erinnert, warum man das Theater liebt. Und bei den kleineren Zeitgenossen geht nun ganz sicher der Theatervirus um. Grandios! Glückwunsch allen Beteiligten!
Wolf Banitzki
Pünktchen und Anton
nach Erich Kästner
Michaela Steiger, Gerhard Peilstein, Friederike Ott, Franz Pätzold, Ulrike Willenbacher, Götz Argus, Tom Radisch, Wolfram Rupperti, Katharina Pichler, Sophie Wendt Regie: Thomas Birkmeir |