Residenztheater Kabale und Liebe von Friedrich Schiller


 

 

Liebe in Unzeiten

Die Welt ist aufgeteilt in eine innere und eine äußere. Auf der Bühne des Münchner Residenztheaters wurde diese dualistische Welt simpel und mühelos von Stéphane Laimé in seinem Bühnenbild definiert. Ein dreh- und begehbarer, jedoch nicht einsehbarer Würfel mit einer Außenhaut aus streng und kleinkariert strukturiertem Schaumgummi stellte die innere Welt vor. Die Struktur schien undurchdringlich wie eine visuelle trutzhafte Panzerung. Kaum sichtbar waren Türen eingelassen, durch die nur die Auserwählten oder ihre Adlaten gelangten und das häufig nur mit Mühe, denn diese Welt muss geschützt werden vor denen, die keinen Zugang haben sollen, weil sie der falschen Partei, des falschen sozialen Standes oder der falschen Einkommensklasse angehören. Alles was sich außerhalb des Würfels befand, war äußere Welt. Wichtigstes Merkmal dieser Welt war, dass sie nur aus „verbrannter Erde“ bestand. Asche bedeckte den Bühnenboden. Die wuchtige Symbolik, nur Behauptung vorerst, hatte durchaus auch etwas beängstigendes.

Wie sollte es nun gehen, ein bürgerliches Trauerspiel, das gut zwei Jahrhunderte auf dem Buckel hat, glaubhaft und unterhaltsam ins Heute zu transponieren. So schwierig war das gar nicht, wie sich schnell herausstellte. Die Welt hat sich ohne Frage verändert, doch besser ist sie darum nicht geworden. Was Schiller in seiner tragischen Liebesgeschichte erzählte, war mutige Zeitkritik, aber auch eine Analyse des menschlichen Wesens. Die Liebe zwischen dem adligen Major Ferdinand von Walter und der bürgerlichen Tochter des Stadtmusikanten Miller scheitert auch, doch nicht nur, an den sozialen Schranken der Zeit. Mag die Dünkelhaftigkeit in der heutigen harmoniesüchtigen Gesellschaft zwar kein allzu offenes Thema sein, so gibt es doch immerhin ein stummes Einverständnis in ein Regelwerk, das ebenso perfide funktioniert. Die moderne Sozietät ist gespalten in arm und reich, in Bildungsbürger und bildungsferne Schichten, auch in Landsleute und Fremde. Dafür, dass der Adel seine degenerativen Posen heute ebenso pflegt wie zu Schillers Zeiten, liefert die Burdapresse beredte Bilder. Was für eine Vielzahl der Bürger Unterhaltung darstellt, ist für etliche blaublütigen Protagonisten elitär zynisches und menschenverachtendes Weltverständnis. Sie müssen die Guillotine ja auch nicht mehr fürchten.

Regisseurin Amelie Niermeyers ambitionierte Arbeit leistete im Ergebnis deutlich mehr, als man gemeinhin von einer zeitgenössischen Inszenierung von „Kabale und Liebe“ erwarten würde. Sie griff über das Schicksal der zarten Luise Miller und ihrem geliebten Ferdinand hinaus und stellt die Frage nach dem Wesen von Liebe. Heraus kam, dass Liebe, so absolut sie von Luise und Ferdinand eingefordert wird, immer auf Unzeit stoßen muss. Diese Liebe war, ist und bleibt ein Idee und führt zu einem Idealismus, über den viele Zeitgenossen schmunzeln, weil er wegen der zahllosen Zwänge, die der heutige Erdenbewohner ausgesetzt ist, unzeitgemäß erscheint. Absurd an diesem Vorgang ist jedoch, dass gerade diese Schmunzler sich wie jeder andere auch nach eben dieser Liebe sehnen.

  KabaleResi  
 

Andrea Wenzl, Michael Klammer

© Matthias Horn

 

Beweis dafür, dass es Frau Niermeyer vornehmlich um die Problematik Liebe ging und sie die Kabalen mehr oder weniger als dramaturgisches Vehikel nutzte, war der Schluss. Ihr Drama endete mit dem Tod der Liebenden und nicht mit der Selbstüberstellung des Präsidenten Walter an die Justiz. Handelte es sich dabei vielleicht auch um die tiefere Einsicht darüber, dass diese Schillersche, geradezu apotheotische Form von Rechtsbewusstsein, in dem moralisches und juristisches Recht kongruent wird, auch nur ein unerfüllbarer Idealismus ist? Wenn ja, was bleibt dann noch? Es bleibt die Flucht in den religiösen Glauben an Liebe und Gerechtigkeit als Minimalforderung, um die lebenswichtigen Ideale nicht irgendwann ermüdet abzutun, wie es heute nicht selten geschieht, und einem umfänglichen Fatalismus zu huldigen.

Amelie Niermeyer vermittelte ihre sinnfällige Botschaft auf wundervoll leichte und über weite Strecken auch komödiantische Weise. Sie hat das Schillersche Drama kräftig geklopft und sich des Inszenierungsstaubs entledigt. Dabei konnten zumindest zwei Figuren ziemlich neu entdeckt werden. Eine der überzeugendsten Leistungen des Abends bot Götz Schulte als Vater Miller. In vielen Inszenierungen wurde diese Figur als strenger, in Selbstdisziplin faltig gewordene Vorzeigebürger gegeben, dessen bürgerliche  Integrität nicht selten stocksteif und moralinsauer daher kam. Schultes Miller hingegen war ein leidenschaftlicher, vor Liebe zu seiner Tochter überquellender Mann, der erst am Ende an seiner Ohnmacht zerbrach. Eine weitere Figur, die es neu zu entdecken gab, war Shenja Lachers Wurm. Sie ist im Trauerspiel ein moralisch niedriger, feiger, subalterner Geselle, der soviel Rückgrad hat wie ein Wurm. Das lag wohl auch in der Intention Schillers, als er ihm den Namen gab. Lacher behielt die Lächerlichkeit der Erscheinung wie bei Schiller beschrieben zwar bei, erhob den Mann aber zu einem echten Spielmacher, der sehr wohl um die Gefahren wusste, in die er sich mit seinen Intrigen brachte. Amelie Niermeyer legte ihm die Worte eines anderen großen Intriganten der Weltliteratur in den Mund, gemeint ist Jago, Widerparts von Shakespeares Othello. So endet denn auch einer seiner hasserfüllten Monologe mit dem Satz: „Der Neger muss weg.“

Das machte in zweierlei Hinsicht Sinn. Wurm bekam auf diese Weise ein wirkliches Format und andererseits ist Darsteller Michael Klammer tatsächlich farbig. Klammers Ferdinand war frisch, fröhlich und verträumt, trug nicht den altbekannten Waffenrock, der ihn in die Konventionen seines Ranges und seines Standes schnürte. Sein Spiel war voller Temperament und befreit. Der Text lässt, man höre und staune, alles das auch zu. Andrea Wenzl gab ihrerseits eine Luise, die nicht von dieser Welt zu sein schien. Getragen auf den Luftkissen der Liebe, um das Wort Schwingen zu vermeiden, und von den Armen Ferdinands wurde sie zum zerbrechlichen Gegenstand der Ränke und Intrigen. In ihrem Vermögen lag es ohnehin nicht, die Vorgänge zu steuern. Ungeachtet dessen wusste sich Andrea Wenzl zu behaupten, als sie sich mit Hanna Scheibes Lady Milford messen musste. Diese Rolle ist eine der wunderbarsten Frauenrollen in der Literaturgeschichte. Auch sie ist ein tragische Figur, weiß aber ihre Würde aus dem Sumpf feudaler Verwesung zu retten. Hanna Scheibes Milford hatte etwas von einer gestürzten, doch darum nicht gebrochenen Königin.

Für die Komik im Stück war bislang hauptsächlich die Figur des Hofmarschall von Kalb, gespielt von Miguel Abrantes Ostrowski, zuständig. In Frau Niermeyers Inszenierung wurde deutlich, dass Kalbs Erscheinung (über den Text) eine recht platte und zweidimensionale Komik beinhaltet. Schiller karikierte und denunzierte den dekadenten Adel mit dieser Rolle. So bestand Ostrowskis Aufgabe darin, das/den lächerliche(n) Kalb zu spielen. Ernstzunehmender Repräsentant seiner Klasse ist im Stück ohnehin nur der Präsident von Walter. Guntram Brattia gestaltete ihn je nach Bedarf jovial, bösartig, verschlagen oder offen machtlüstern und sich in seinen Untaten gefallend. Moderne Politik blitzte hier und da auf.

Die Inszenierung war ein wirkliches Erlebnis, spannungsgeladen, überraschend und voller neuer Facetten. Wer sich von der Genrebezeichnung „Ein bürgerliches Trauerspiel“ bislang abschrecken ließ, dem sei versichert, dass er einen kurzweiligen, tiefgründigen und komödiantischen Abend erleben kann. Auf die wundervolle Sprache Schillers sei ebenfalls unbedingt noch einmal verwiesen. Es gelang ein modernes, inhaltlich zeitgemäßes und in der Tragik anrührendes Werk, das sich auch durch seine Eignung empfiehlt, jüngeren Besuchern Geschmack auf Klassik zu machen.

 

Wolf Banitzki



 

 


Kabale und Liebe

von Friedrich Schiller


Guntram Brattia, Michael Klammer, Miguel Abrantes Ostrowski, Hanna Scheibe, Shenja Lacher, Götz Schulte, Andrea Wenzl

 

Regie: Amelie Niermeyer