Residenztheater In Agonie von Miroslav Krleža


 

 

Keine Gründe für Hoffnung

Die Parallelen zu „Die letzten Tage der Menschheit“ von Karl Kraus waren unübersehbar, wenngleich sich Kraus, bei vielleicht zehnfachem Umfang des Dramas (knapp 650 Seiten), nur auf die Kriegsjahre des 1. großen Weltenbrandes des 20. Jahrhunderts beschränkte. Er stellte seinem Drama eine Warnung voran, die, wie auch bei Miroslav Krležas Trilogie, das schier Unbegreifliche fassbar machte: „Theatergänger dieser Welt vermöchten ihm nicht standzuhalten. Denn es ist Blut von ihrem Blute und der Inhalt ist von dem Inhalt der unwirklichen, undenkbaren, keinem wachen Sinn erreichbaren, keiner Erinnerung zugänglichen und nur in blutigem Traum verwahrten Jahre, da Operettenfiguren die Tragödie der Menschheit spielten.“ Das trifft haarfein auch auf die Trilogie "Die Glembays", "Galizien" und "In Agonie" zu. Allein, Miroslav Krležas Dramen, von Martin Kušej in einem gut sechsstündigen Abend auf die Bretter des Residenztheaters gebracht, sind weniger detailversessen und greifen historisch weiter als das dramatische Monstrum von Kraus.

In "Die Glembays" entwickelte der 1893 in Zagreb (seinerzeit K.u.K. Monarchie Österreich-Ungarn) geborene Miroslav Krleža die gesellschaftliche Ausgangssituation für den 1. Weltkrieg. Der nach sechszehnjähriger Abwesenheit heimkehrende Sohn Leo stellt in wütenden Attacken die dekadenten und maroden Familienverhältnisse an den Pranger. Krleža skizzierte ein komplexes Gebilde an schuldhaften Verstrickungen und gesellschaftlich bedingten Abhängigkeiten, aus denen sich die meisten Protagonisten nur durch Suizid oder Tod lösen konnten. Leo selbst gelang dies nicht, denn auch er war am Ende nicht der Held, der die gesellschaftlichen Missstände überwinden konnte. Ein Herzinfarkt des Vaters führte zum familiären Kassensturz. Man konnte nur noch einen umfänglichen Bankrott erklären. Doch dann kamen die Mobilmachung und die Kriegserklärung Deutschlands an Russland. „Das wird uns retten!“ Man hatte der Rendite wegen auch in die Rüstung investiert.

In "Galizien" beschrieb Krleža den Wahnsinn des ersten „industriell“ geführten Krieges der Menschheitsgeschichte, der „leider“ wenig effizient war, verglichen mit heutigen Kriegen, weil die Macher noch ihrer feudalen Kaste, und hier kommt das Operettenhafte ins Spiel, verhaftet waren und nicht hinreichend neoliberal, also wirtschaftlich, dachten. Doch diese Überlegungen sind im 2. Drama eher marginal, denn Krleža ging es vornehmlich um die Dehumanisierung des Individuums, um die Verrohung und Pervertierung, die heute, wie Kraus es in seinem Vorwort beschrieb, kaum „denkbar, keinem wachen Sinn erreichbar“, und die dennoch Realität war. Erörtert wurde das Thema an der Person des Musikers Horvat, der als Kadett Dienst tun musste und der in einem perfiden Racheakt gezwungen wurde, das Todesurteil an einer alten Frau zu vollstrecken. Krleža, selbst zeitweise von dieser Problematik betroffen, handelt dabei auch gleich das Verhältnis von Kunst und Dissidenz ab.

"In Agonie" spielte im Modesalon der Baronin Laura Lenbach, die nach dem Krieg versuchte, sich eine Existenz aufzubauen. Boykottiert wurde sie dabei von ihrem Ehemann, einem abgehalfterten Offizier, der, ganz Kind seiner Kaste, nicht bereit war, seinen Anteil an der gemeinsamen Existenz zu erbringen. Er trank und verspielte das Geld seiner Frau. Sie hatte eine Affäre mit dem Juristen Dr. Ivan Edler von Križovec. Als sich der Baron Lenbach das Leben nahm, hoffte die junge Frau auf eine Zukunft mit ihrem Geliebten. Doch der entpuppte sich ebenso als ein Betrüger, der nicht gewillt war, sein Wort einzulösen und der sich mittels „juridischer“ Sophistik so unverbindlich wie möglich gab. Am Ende griff die Baronin selbst zur Pistole.

  InAgonieGlembays  
 

Die Glembays - Sophie von Kessel, Manfred Zapatka, Johannes Zirner, Arthur Klemt, Gerhard Peilstein

© Thomas Aurin

 

Regisseur Martin Kušej trat vor Beginn der Münchner Premiere vor das Publikum, um eine Verletzung von Sophie von Kessel zu entschuldigen, die ihre Rollen ungeachtet dessen bravourös spielte. Dabei versprach Kušej sehr selbstbewusst bestes Theater, denn: ‚er mache nur bestes Theater’. Er versprach tatsächlich nicht zuviel. Die sechs Stunden (inklusive zwei Pausen a 30 Minuten) waren spannend und kurzweilig. Gespielt wurde in beeindruckenden historischen Kostümen von Heide Kastler. In den unterschiedlichsten Bühnenbildern von Annette Murschetz agierten die 16 Darsteller in 31 Rollen (Statisterie nicht inbegriffen). Dabei ging es längst nicht so unübersichtlich zu, wie man vermuten könnte, denn das jeweilige Drama wurde vornehmlich von den Protagonisten getragen, die die Konflikte ausfochten. Die Nebenrollen assistierten hilfreich. Für "Die Glembays" hatte Frau Murschetz einen in Karmesinrot gehaltenen Salon entworfen, der überladen war mit Sitzmöbeln aus der Belle Epoche. Die Möbel standen so eng, dass der wütende Johannes Zirner in der Rolle als verlorenen Sohn Leo auch schon mal auf den Lehnen den Raum durchquerte. Manfred Zapatka als angeschlagener und in die Defensive getriebener Vater Ignaz verlieh diese Enge eher Halt, und dem unausweichlichen Sterben war sie im metaphorischen Sinn eher hinderlich. Sie hielt wie ein Korsett aufrecht, was längst hinüber war.

"Galizien" spielte in den Trümmern einer Grundschule, deren Boden übersät war mit Büchern, zu Bruch gegangenen Möbeln, Militärutensilien und den privaten Habschaften der Offiziere und Soldaten. Leichen von Kindern wurden nach und nach weggeräumt. Der Raum war in permanenter Dunkelheit gehalten. Aufschluss über das Grauen gaben die Geräusche (Musik: Bert Wrede), das entsetzliche Kanonendonnern und Gewehrknattern, gepaart mit einem unaufhörlichen Regen. Shenja Lachers Kadett Horvat war kein larmoyanter Duckmäuser, der seinem Widerpart Oberleutnant Walter, von Norman Hacker als ein Offizier gespielt, dem jegliche Menschlichkeit abhanden gekommen war, aufrecht entgegentrat. Der Showdown dieses Dramas beeindruckte vor allem wegen seiner absoluten Konsequenz.

Britta Hammelsteins Laura Lenbach in "In Agonie" war eine starke, aber müde und desillusionierte Frau, die ihrem Ehemann, den von Götz Schulte in aller Erbärmlichkeit gestalteten Baron Lenbach, kaum mehr als Verachtung und Gleichgültigkeit entgegenbringen konnte. Im blendend weißen, völlig sterilen Raum, einziges Utensil darin war ein Telefon, sezierten sich diese Menschen gnadenlos gegenseitig. Der „juridisch“ stets  korrekte Dr. Ivan Edler von Križovec war unbedingt eine Paraderolle für Markus Hering. Als sich Britta Hammelstein die Pistole an die Schläfe setzte, war es ebenso der Moment der Erlösung für das Publikum, dessen Ausdauer auf eine harte Probe gestellt worden war. Dennoch, es war großartiges Ensemblespiel, bei dem gewaltige Bilder gezaubert wurden, und darum auch unterhaltend.

Einziger Wehrmutstropfen war vielleicht, dass die Überfülle an Ideen, die in den erstaunlichen Texten von Miroslav Krleža stecken, dass die Doppeldeutigkeit der spielerischen Umsetzung, dass das Symbolhafte und das Metaphorische angesichts des Umfangs unmöglich bei einmaligem Anschauen rezipiert werden konnte. Zuviel blieb nur Ahnung. Und zurück blieb der etwas diffuse Eindruck, vieles nicht wahrgenommen zu haben. Immerhin aber blieb zuletzt der Eindruck, an etwas Großem und Großartigem beteiligt gewesen zu sein. Allerdings, eines wurde in diesem Menschheitsdrama mit Sicherheit nicht geliefert: Gründe für Hoffnung.

Schön wäre es, die einzelnen Dramen auf drei Abende verteilt noch einmal erleben zu können. Damit könnte man ganz sicher den Leistungen aller Beteiligten gerechter werden.

 

Wolf Banitzki



 

In Agonie
Trilogie - "Die Glembays", "Galizien" und "In Agonie"
von Miroslav Krleža

Jens Atzorn, Michele Cuciuffo, René Dumont, Gunther Eckes, Norman Hacker, Britta Hammelstein, Markus Hering, Sophie von Kessel, Arthur Klemt, Shenja Lacher, Franz Pätzold, Gerhard Peilstein, Tom Radisch, Götz Schulte, Manfred Zapatka, Johannes Zirner

Regie: Martin Kušej