Residenz Theater Moliéres Misanthrop in der Fassung von Botho Strauß


 

 
Die Inszenierung mit dem "Pling"

Selten wurde in einem Theaterstück die Welt so deutlich in Schwarz-Weiß gezeichnet wie in Molières "Le Misanthrope" und selten kam ein Dichter der Wahrheit über das menschliche Wesen damit so nahe. Dabei ist das Stück nur eines aus dem Katalog der Laster, den der französische Dichter für die Nachwelt in aller Verbindlichkeit, wie die Spielpläne dieser Welt beweisen, verfertigte. Die Frage, warum die Stücke Molières so wirkungsvoll sind, beantwortete ein anderer großer Franzose: Jean Anouilh. "Dank Molière ist das wahre französische Theater das einzige, wo man nicht die Messe liest, sondern wo man lacht wie die Männer im Krieg - die Füße im Schmutz, die warme Suppe im Bauch und die Waffe in der Hand - über unser Elend und über unser Entsetzen."

Molière schuf mit seinem Alceste einen Menschen, der in seinem Anspruch nicht unter dem höchstmöglichen Ideal bleiben wollte, und stellte den "Rest der Menschheit" damit in ein unerträgliches Spannungsfeld. Der Ansatz, obgleich im Text auf überzeugendste Weise konkret, war ein philosophischer. Und genau darin unterschied sich der Dichter, wie Voltaire festhielt, von seinen Zeitgenossen: "Molière hatte Corneille, Racine und La Fontaine das Verdienst voraus, Philosoph zu sein." Kurioserweise strebte Molière gar keinen philosophischen Exkurs über das menschliche Wesen an. Dieses Stück war vielmehr eine ironische Selbstreflexion, in der Molière, im Leben wie auch auf der Bühne, den Alceste verkörperte und in der seine kokette Ehefrau Armande Béjart die Célimène gab. Molière liebte die Frau, die ihm unentwegt Hörner aufsetzte.
 
   
 

Anne Schäfer, Juliane Köhler, Matthias Lier, Jens Harzer, Mark-Alexander Solf, Marina Galic, Dirk Ossig, Thomas Loibl

© Thomas Dashuber

 

 

Nun wurde dem Publikum nicht der reine Molière zur Anschauung gebracht, sondern "Molières Misanthrop" in der Fassung von Botho Strauß. Das ist beileibe nicht dasselbe und bedarf einiger Anmerkungen. Botho Strauß erschien Anfang der 1970er Jahre am Theaterfirmament. Peter Stein hatte sich gerade angeschickt, mit der Inszenierung der Klassiker gleichsam Kritik an den Klassikern zu üben. Die erste Zusammenarbeit war die Inszenierung der Strauß-Fassung von Ibsens "Peer Gynt". Die Theatergeschichte nennt es einen Geniestreich und verweist auf die von Strauß entwickelte besondere Perspektive. Georg Hensel formulierte es wie folgt: "Der Zuschauer wurde in eine Distanz gerückt, die ihn durch die Komik des Antiquierten, durch die vorgetäuschte Einfalt der Darbietung bezauberte und die ihn zugleich zur kritischen Beurteilung der Vorgänge anregte - die Lust am Spiel und die Lust des Denkens fielen zusammen." Auf Strauß geht der Begriff "Neue Sensibilität" zurück, die nichts anderes bedeutet, als die Emotionalisierung des politischen Agitations- und Belehrungstheaters.

Dass dieser Text jeden enthusiasmiert, der Theater liebt, steht außer Frage. Im Residenz Theater verführte er nun den Chefdramaturgen Hans-Joachim Ruckhäberle zu einem Ausflug ins Fach Regie. Und da Dramaturgen vornehmlich dem Text huldigen, wurde es denn auch eine äußerlich recht karge Geschichte. Stefan Hageneiers Bühnenbild verdiente diese Bezeichnung kaum. Es war vielmehr ein Torso, die Andeutung eines Bühnenbildes. Ein schwarzer Vorhang begrenzte die Bühne im Hintergrund bis auf die halbe Höhe. Davor wurden Stühle arrangiert. Aus den Arrangements wurde nur selten deutlich, um welchen Ort es sich handelte. Der Salon Célimènes war erahnbar, wenn sich die Gesellschaft um sie scharte. Man spielte im freien Raum, eher unverbindlich, und eine konkrete Suggestion von Ort und Zeit blieb aus. Die Szenenwechsel erfolgten jeweils nach einem eindringlichen "Pling". Auf- und Abgänge, die leider nur Auf- und Abgänge waren, entzauberten so die wenigen Anflüge von Atmosphäre. Überhaupt fehlte der Inszenierung dieses Stücks, das sich für die hemmungslose Spielart der Commedia dell'Arte geradezu empfiehlt, die Sinnlichkeit. "Die Lust am Spiel und die Lust des Denkens fielen", um es mit Hensel zu sagen, leider nicht "zusammen".

Allein, der Text von Strauß erwies sich als unverwüstlich und trug über die zwei Stunden hinweg. Hinzu kam die Besetzung, die besser kaum sein konnte. Jens Harzer brachte als Alceste überzeugend "die vorgetäuschte Einfalt der Darbietung" ein, von der die Strauß-Texte leben. Genau dieser Aspekt ist ein ausgeprägtes Mittel in Harzers darstellerischem Repertoire. Die daraus resultierende, häufig sehr überraschende Komik war nie zweidimensional. Marina Galics Célimène hingegen erschien sehr zurückgenommen, geradezu defensiv. Damit betonte Regisseur Ruckhäberle einen Aspekt, der als "soziales Handeln" verstanden werden soll. Dieses soziale Handeln ist verbunden mit Ängsten und Zwängen, den bestmöglichen Effekt im sozialen Kontext zu erzielen. Leider rückte die Darstellerin damit in den Schatten des von unwidersprochener Komik schäumenden Jens Harzer.

In Molières Vorstellungen sollte das Stück unentschieden enden. Der in seiner ideellen Maßlosigkeit verhaftete Alceste wurde ebenso der kritischen Bewertung des Zuschauers anempfohlen wie die Verkommenheit der Gesellschaft. In der Residenz Theater-Inszenierung vermag jedoch kaum eine Figur wirklich gegen den von Harzer gestalteten Alceste zu bestehen. Thomas Loibl brillierte mit wenigen Gesten und einer verhaltenen Mimik als Oronte, Gegenspieler des Alcestes. Als hochgradig karikierten Protagonisten des eitlen, selbstverliebten, dümmlichen Möchtegernpoeten agierte er allerdings in einem ganz anderen komödiantischen Fach. So gewann Harzer mit den Argumenten des Alcestes eine gewaltige Übermacht.

Dabei verbirgt sich im Stück von Molière/Strauß eine überzeugende, weil menschliche Lösung. Wenn sich Philinte, Alcestes Freund (Mark-Alexander Solf), und Éliante, Célimènes Cousine (Anne Schäfer), zum ewigen Bund in die Arme stürzten, bewiesen sie eine Einsicht, zu der Alceste in seiner selbstverliebten Verbohrtheit nicht gelangte. Es ist die fehlende Einsicht in Tatsache, dass einige menschliche Schwächen unausrottbar sind. Bei Ruckhäberle hatte diese Schlüsselszene eher marginalen Charakter. So blieb der Geschmack von einem unbeugsamen Heroismus zurück, als Jens Harzer verkündete: "Ich will mir ein Stück Erde suchen, weit entfernt, wo man die Freiheit hat, so ernst zu sein, wie man muss."


Wolf Banitzki

 

 


Moliéres Misanthrop

in der Fassung von Botho Strauß

Sibylle Marina Galic Juliane Köhler, Anne Schäfer, Jens Harzer, Matthias Lier, Thomas Loibl, Dirk Ossig, Mark-Alexander Solf, Fred Stillkrauth

Regie: Hans-Joachim Ruckhäberle
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.