Wer hat Angst vor Virginia Woolf

Residenz Theater  Wer hat Angst vor Virginia Woolf? von Edward Albee


 

 

Jedem seine Hölle

Martin Kušej eröffnete die Spielzeit 2014/15 am Residenztheater mit Edward Albees Klassiker der Moderne „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Dieses Stück ist nicht nur ein „Schauspielerfest“, sondern auch eine „sichere Bank“, wenn es denn gelingt, es zu einem Schauspielerfest zu machen. Martin Kušej ist das wohl gelungen, wie der Applaus am Ende zeigte, denn Bibiana Beglau, frisch gekürte „Schauspielerin des Jahres“ (Kritikerpreis), schien die Rolle der Martha auf den Leib geschrieben zu sein. Und so lief sie denn in dieser Figur neben dem grandiosen Norman Hacker auch zu großer Form auf. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ ist im Kontext des Albee-Dramas eine moderne Metapher auf die Kinderliedzeile „Wer hat Angst vor dem großen, bösen Wolf?“ Als Albee sein wohl fesselndstes Drama verfasste, war Virginia Woolf, heute Inbegriff einer Nonkonformistin, nur wenigen Literaturinteressierten ein Begriff. Und so wuchs mit den beharrlich erfolgreichen Inszenierungen des Beziehungsdramas über eine bürgerliche Mittelstandsehe auch der Name der Dichterin mit und wurde in der bürgerlichen Scheinwelt zu einem bitterbösen Schatten, wie der des großen, bösen Wolfes.

Das Credo Virginia Woolfs: „If you do not tell the truth about yourself you cannot tell about other people.“ (The Leaning Tower), kolportierte Edward Albee, in dem er behauptete, in der modernen Gesellschaft könne man ohne falsche Illusionen kaum mehr überleben. Und so ist das ganze dreiaktige Drama eine einzige psychologische Schlacht, um die aus Illusionen gebauten Bastionen nieder zu reißen. Martha, Tochter des reichen Unipräsidenten, hat auf der obligatorischen Samstagsparty ihres Vaters ohne Wissen ihres Ehemannes George, Geschichtsprofessor an selbiger Provinzuniversität, Gäste eingeladen. Geladen ist der neue Mitarbeiter Nick, Biologe seines Zeichens, und dessen fade Ehefrau Honey. Noch ehe die Gäste eintreffen, eröffnen Martha und George das Gefecht. „Wenn sich Leute, die sich lieben, hassen, tun sie das auf unerhörte Art…“, schrieb Erich Kästner. Martha, eine wahre Furie, ist auf permanente Provokation und Streit gebürstet. Es gibt scheinbar keine der üblichen gesellschaftlichen Regeln mehr. Kein Hohn, keine Stich, keine Beleidigung ist zu arg, als dass man sie auslässt. Und so wird gehauen und gestochen, um die Persönlichkeit des anderen zu deformieren, zu demontieren und zu diskreditieren. Dabei fließt der Alkohol in wilden Strömen. Die ankommenden Gäste werden sogleich ins Boot geholt und los geht die Rafting Tour durch den seelenzerfressenden Alkoholfluss.

Als Albee sein Stück schrieb, litt die amerikanische Gesellschaft unter drei Phänomenen: Alkoholismus, quälende Ehegelöbnisse und, häufig aus den beiden resultierend, mentale und physische Impotenz. Um diese Hölle zu überleben, haben sich Martha und George Krücken geschaffen, die tatsächlich so etwas wie Regeln darstellen. Die wichtigste ist ihr gemeinsamer Sohn. Doch es liegt in der Natur der Dinge, dass die emotionale Gewaltspirale irgendwann nicht mehr zu stoppen ist. Und genau das geschieht in dieser Nacht. Es werden schließlich die letzten Illusionen zerstört. Auch Nick und Honey gehen nach einer höllischen Nacht nicht unbeschadet in den Sonnenaufgang. Ihr Leben, es ist längst in dieselben konventionellen Bahnen wie Marthas und Georges geglitten, erfährt gleichsam eine sehr unsanfte und verstörende Entzauberung.

Spätestens seit August Strindberg ist die bürgerliche Ehe dramentauglich und ein festes Thema in den Spielplänen dieser Welt. Doch kein Autor hat diese Thematik so radikal, kompromisslos und konsequent behandelt wie Edward Albee. Dabei ist das spezielle Sujet gewiss kein rein amerikanisches, auch wenn Albee mit der Namensgebung einen Topos definierte: Martha und George hießen auch die Washingtons. Es ist seit mehr als einhundert Jahren das Thema jeder bürgerlichen Gesellschaft. Tatsächlich hat die fortschreitende Befreiung der Menschen aus sozialen, politischen, religiösen und ökonomischen Zwängen vornehmlich dazu geführt, dass das Individuum zum ureigenen Gefängnis mutierte. Jeder schafft sich seine Höllen aus sich selbst heraus. Anstelle der äußeren Bedrohungen traten innere Ängste, die durchaus dazu geeignet sind, die Persönlichkeiten zu zerstören.

 
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v.l. Norman Hacker (George), Bibiana Beglau (Martha), Nora Buzalka (Honey), Johannes Zirner (Nick)

© Andreas Pohlmann

 

Martin Kušej ließ sich von Jessica Rockstroh eine Bühne entwerfen, die nackter und entblößender zugleich nicht sein konnte. Der weiße Spielraum bot keinerlei Deckung für die Darsteller. Einziger Hinweis auf das bisherige materielle Leben war ein großer (Glas-) Scherbenhaufen vor der Guckkastenrampe, der stetig wuchs. Hier fanden die leeren Flaschen ihr letztes Grab und mit jeder weiteren auch ein Teil der Seelen der Protagonisten. Kušej nutzte, wie bereits in „Das Leben der Petra von Kant“, sinnfällig die kaum zu überbietende Bedrohlichkeit des Materials. So war es kaum verwunderlich, dass in der Premiere auch Frau Beglaus Blut floss.

Bibiana Beglaus physische Direktheit ist den Münchnern inzwischen hinlänglich bekannt. Sie scheut keinen körperlichen Einsatz. Ihr Spiel war auch an diesem Premierenabend raumgreifend, laut, häufig ordinär. Die Weiblichkeit blieb dabei allerdings einige Male auf der langen Strecke des martialischen Gefühlsmarathons. Zwischentöne waren bei ihr eher selten. Ganz anders als bei Norman Hacker, der spitzfindig, intelligent zerstörerisch, bissig, angriffslustig, zynisch und verschlagen agierte. Seine Vielfarbigkeit im Spiel dominierte den Abend. Dagegen hatte es Johannes Zirner in der Rolle des Nick schwer, einen potenten Gegenspieler zu entwickeln. Die Athletik des durchtrainierten Boxers blieb Behauptung, denn bisweilen geriet das Spiel an den Rand des psychologischen Exzesses und da wäre eine physische Bedrohlichkeit durchaus eine beängstigende und spannungsfördernde Komponente gewesen. Nora Buzalkas Honey war im besten Sinne Klischee. Sie gab das unbedarfte, schwachsinnig kichernde, von innerer Unsicherheiten und Macken getriebene Weibchen. Sie war Weibchen und nur Weibchen, und ihre Deformationen traten im Spannungsfeld von auf einander einschlagenden Intellektuellen sehr schnell zutage. Das sorgte immerhin für einige Komik.

Wenn sich die beiden Paare bei einem letzten Glas Champagner gesittet voneinander verabschieden, heißt es: „Es war furchtbar. Es war auch komisch, aber eigentlich war´s furchtbar.“ Die Zeile „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ stand am Anfang des Spiels und auch am Ende. Doch am Ende war alles anders. Martha und George mussten sich mit dem Bruch ihrer Vereinbarungen eingestehen, dass da nichts mehr ist, keine einzige Illusion, die ihnen weiterhelfen könnte. Und so schloss sich der höllische Kreis mit der Rückkehr zu ihrer Bezogenheit aufeinander. Kurz zuvor hatte Martha noch eingestanden, dass kein Mann sie jemals glücklicher gemacht hätte als ihr Ehemann.

So, wie die beiden Geschlagenen letztlich vom harten Scheinwerferlicht gebannt waren, wurde deutlich, dass sie nach diesem zerstörerischen Weg, der mit unerträglichen, fast tödlichen Wahrheiten gepflastert war, möglicherweise an einem Anfang standen. Es war wenig Hoffnung, aber gänzlich chancenlos waren sie nicht. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, am Beginn einer Albernheit Marthas entsprungen, um zu provozieren, war jetzt einer qualvollen Angst gewichen. Das letzte Bild war ein stilles, fast zartes.

Leider konnte es die kathartische Wirkung nicht in gewünschtem Umfang entfalten, denn die aufwendige, bisweilen mit einigem Getöse geführte Schlacht der Protagonisten hatte auch den Betrachter emotional ermüdet. Ungeachtet dessen war dieser von psychischen Gewalttätigkeiten dominierte Abend auch ein gewaltiger.

 

Wolf Banitzki

 


Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

von Edward Albee

Bibiana Beglau, Norman Hacker, Johannes Zirner, Nora Buzalka

Regie Martin Kušej

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