Die Irrfahrten des Odysseus

Residenz Theater  Die Irrfahrten des Odysseus nach Homer


 

 

Ein Spektakel

Am Rand der Bühne des Residenztheaters in München lag ein alter Mann im Schlafsack. Gleich einem Obdachlosen trug er Mantel und Mütze, eine Plastiktüte. Telemach trat auf, er war auf der Suche nach seinem Vater Odysseus, dem großen starken Helden. Und sogleich äußerte er sich dozierend zur Vaterrolle und den aktuellen Familienverhältnissen. Er sah den alten Mann, sprach ihn an, fragte nach seinem Namen. Nach einer Weile des Überlegens antworte dieser: „Niemand. Niemand ist mein Name.“  Telemach ging weiter nachdem er „Tschüss“ gesagt hatte. Der alte Mann dachte nach, breitete seine Erinnerungen aus. Im Hintergrund tauchte ein Schiff auf, Männer standen an Deck, die Flagge trug die Aufschrift „Hart am Wind“. So begann die Aufführung „Die Irrfahrten des Odysseus“.

Es war ein sich selbst bestätigender Odysseus, den Simon Werdelis verkörperte, ganz im Habitus des modernen jungen Mannes. Sich als Held präsentierend, im gleichen Atemzug mit anderen Helden nennend, stand er am Bug des Schiffes. Während seinen Begleitern Thomas Gräßle, Arnulf Schumacher und Lukas Turtur die still duldenden Rollen, vom Riesen Polyphem fast verspeist und auf der Insel von Kirke in Schweine verwandelt, zukamen. Kirke, gespielt von Katrin Röver, wurde als aktives Model, wie sie aus der Medienszene bekannt ist, umgesetzt. Dabei kann der Bezug, auf reale Personen durchaus als kalkulierter Effekt eingesetzt, gesehen werden. Schönheit, Party und weibliche Macht fanden so ihre Darstellungsform. Und die Wichtigtuerei, bei der „Zicke Circe“ nicht nur um die Unsterblichkeit, ist eine durch und durch moderne. Von Insel zu Insel führte die Reise der Gefahren, wobei dem Spaß durchaus sein Platz zugestanden war und der Wind beispielsweise als Gabe der Götter aus Plastikbeuteln kam. Das Programmheft kündigt „einen seltsamen Halbgott, der Tipps gibt“ als Hilfestellung auf dem Weg an. Morpheus, dem Schlaf, kommt in realiltas eine wichtige Rolle zu. Die Art und die Gestaltung der Rolle war zu bekannt. Valery Tscheplanowa stellte feinfühlig den Schlaf dar, dem es jedoch oft an den rechten und verständlichen Worten fehlte. Die Aufführungsdauer forderte das Publikum unverhältnismäßig, wobei der Schwerpunkt auf den Inselabenteuern lag. Die Ankunft des bejahrten Odysseus am Strand von Ithaka bildete den verhältnismäßig knapp gehaltenen Rahmen. Am Ende erschoss Paul Wolff-Plottegg im Eiltempo die herumrüpelnden Freier in ihren weißen Jogginganzügen, die ihn zuvor als „alt und vertrottelt“ verspottet hatten.

Vom universell nutzbaren Holzschiff bis zu den verschiedenen aufwändig gestalteten Tiermasken der Widder und Schweine, von den Kostümen des silberfischigen Poseidon und der Hippie-Lotophagen bis zum riesigen Riesen Polyphem wurde alles aufgeboten, was von theatraler Wirksamkeit ist. Steffi Wurster (Bühne) und Sabine Blickenstorfer (Kostüme) brachten künstlerisches Geschick und handwerkliches Können in hohem Maße ein. Dadurch entstanden immer wieder wunderbare Bilder, welche die Aufführung weitgehend trugen und vom fantasynahen Gruseleffekt bis zu aus Fernsehshows bekanntem Lifestyle reichten.

 
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Simon Werdelis, Katrin Röver, Ensemble/Statisterie

© Thomas Dashuber

 

Die Odyssee verfasst von Homer ist eine der ältesten antiken Dichtungen. Und warum sollte diese nicht für eine Bühnenhandlung im modernen Stil als Vorlage dienlich sein? Liegt es doch im ureigenen Wesen des Mythos zeitlose Geschichten zu erzählen, die ähnlich den Märchen Lebensweisheit vermitteln und seit jeher adaptiert werden. Und warum sollte man nicht aus dem Erfahrungsbereich eines erwachsenen Mannes eine gewagte Sensation kreieren können? Ein bisschen Gruseln, ein bisschen Abenteuer und Bühnenzauber, ein bisschen Alltägliches zusammengebastelt und schon flopt der Plot ... ääh ... nein, es ist richtig – flopt der Plot. Vor allem dann, wenn es als Theater für Kinder ab 6 Jahren konzipiert wurde, und selbst die 10jährigen mit dem Umfang und dem Inhalt des Mythos deutlich überfordert waren.

Odysseus war etwa dreißig Jahre alt, als er sich nach dem Ende des Trojanischen Krieges mit den Männern auf den Heimweg nach Ithaka begab. Ein Held war er fraglos, gelang es doch den Griechen durch seine List die Stadt Troja nach zehn Jahren der Kämpfe und der Belagerung zu erobern. Seine Reise, welche ebenso als innere Lebensreise zu verstehen ist, gestaltete sich zu einer Irrfahrt. Die Stationen von der Insel der Drogen, dem Menschen fressenden Monster-Apparat in seiner Einäugigkeit (den es zu überlisten und blenden gilt), bis zur Gefangenschaft in einem Liebesverhältnis stellen die Gefahren auf dem Weg der Sehnsucht nach Erfahrung und Abwechslung vor. Ein Ausblick in die Zukunft für die Kinder?

Es gab Zeiten in denen Theater einen angemessenen Bildungsanspruch vertrat und es gibt Zeiten in denen Theater einer Unterhaltungsvorstellung genügt. Nicht allein die Geschichte oder der Mythos vermitteln Erfahrungen des Lebens, sondern vor allem die Art der Erzählung und die Darstellung der Protagonisten bleibt im Gedächtnis. Was wird im Gedächtnis der Zuschauer, der Kinder bleiben, die, um sich mit den Protagonisten Odysseus oder Penelope und Kirke identifizieren zu können viel zu jung sind? Von dieser Inszenierung wird mir die Feststellung von Kirke im Gedächtnis bleiben: „Ich heiße Kirke, ich habe Kierkegard gelesen ... (sie zögerte, zupfte an der blonden Mähne) ich muss meine Spitzen schneiden!“  Diese Trivialität, um eines Wortspiels willen, ein Vorgang wie er aus der Werbung bekannt ist, spricht für sich und entlarvt den Ansatz von Dramaturgie und Regie wie es wohl kaum eine andere Aussage vermag. Es ist Zeitgeist pur.

 

C.M.Meier




Die Irrfahrten des Odysseus

nach Homer

Götz Argus, Andreas Bittl, Leo Gmeich, Thomas Gräßle, Katrin Röver, Wolfram Rupperti, Arnulf Schumacher, Dim Sclichter, Valery Tscheplanowa, Lukas Turtur, Simon Werdelis, Manfred Zapatka

Regie: Corinna von Rad