Peer Gynt
Residenz Theater Peer Gynt von Henrik Ibsen
Glaube, Liebe, Hoffnung für den Gestrauchelten
Nur zwei und eine halbe Stunde dauerte David Böschs Inszenierung von Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Dabei gab es sogar noch eine Pause. Das ist schon erstaunlich angesichts der 160 Seiten Umfang des Fünfakters. Es drängt sich also sofort die Frage auf, worauf das Publikum verzichten musste. Antwort: Auf nichts, worauf man nicht guten Gewissens verzichten könnte. Ibsens Personage ist schier massenhaft. Neben fast 40 näher bezeichneten Figuren tummeln sich Volk, Gäste, Reisende, Trolle, Erdgeister, Zwerge, Kobolde, Hexen, Araber, Sklavinnen und tanzenden Mädchen, nebenher auch Vogelschreie, eine Stimme im Dunkel, eine singende Memnonsäule und die stumme Sphinx von Gizeh.
Auf der Grundlage der Übersetzung von Angelika Gundlach schuf der Dramaturg Sebastian Huber vermutlich in Zusammenarbeit mit David Bösch eine gestraffte Spielfassung, die viel Witz beinhaltete und die auf Poesie und Fantastik nicht verzichtete. Die Geschichte vom charmanten und durchaus liebenswerten, aber notorischen Lügner Peer Gynt, der nichts anderes sein wollte als er selbst, bleibt, was es bei Ibsen ist, ein faustisches Werk. Ein Mann sucht sich und seinen Platz in der Welt. Dabei hat er höchste Ansprüche, will Kaiser der Welt werden, und scheut keine moralische Verfehlung.
Gynt geht den üblichen Weg, den der Ökonomie, wird mit Sklaven- und Waffenhandel reich. Dieser Ansatz impliziert nicht nur Kritik am „selbstzufriedenen Norwegertum“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern gleichsam am Neoliberalismus der heutigen Zeit, in der mittelmäßig begabte und gierige Menschen Besitz anhäufen (Vermutlich, weil ihnen nichts Besseres einfällt!) und dabei nichts anderes produzieren als Armut, Elend und eine zerstörte Welt in sozialer und auch ökologischer Hinsicht. Ein ebensolcher Versager ist auch Peer Gynt, der am Ende erkennen muss, dass er nichts Sinnvolles erreicht hat. Er selbst hat sich beim Durchlaufen der permanenten Spirale des Selbstbetruges, auf dem Weg des „großen Krummen“, weder entwickelt, noch eine bemerkenswerte Persönlichkeit entfaltet. Er ist nichts „Halbes und nichts Ganzes“, wie ihn der Knopfgießer, ein norwegischer Boandlkramer, wissen lässt. Sein Schicksal: Er soll eingeschmolzen und umgegossen werden. Dem kann er nur entrinnen, wenn sich ein Mensch findet, der für ihn zeugt. Es ist Solveig, die von Peer Gynt sitzen gelassene Liebe, die den Stab für ihn bricht und ihn entsühnt. Auf Gynts Frage: „So sag, wo Peer Gynt all die Zeit über war?“ antwortet Solveig: „In meinem Glauben, in meinem Hoffen und in meinem Lieben.“
Andrea Wenzl, Shenja Lacher, Friederike Ott © Thomas Dashuber |
Bühnenbildner Falko Herold schuf für die Inszenierung zwei große Bilder. Der Wald mit gewaltigen Bäumen und einem kleinen, heruntergekommenen Wohnwagen war die Heimstatt Peers und seiner Mutter Aase im norwegischen Gudbrandstal. Nachdem Peer die Braut Ingrid in die Berge entführt und das Mädchen verführt hatte, er wegen dieser Tat geächtet wurde, begab er sich auf die Flucht und gelangte in das Reich der Trolle, in eine Art Unterwelt. Die Bäume begannen zu schweben, wodurch Peer auf eine tiefere Ebene geriet und in die Welt des Dovre-Alten, des Trollen-Königs eintauchte. Doch auch hier ließ sich Peer bei aller Versuchung „den Ring nicht anstecken“. Der zweite Teil begann mit einer Videoinstallation (ebenfalls Falko Herold). Der unaufhaltsame Aufstieg Peers wurde anhand von schrillen und bekannten Medien beschrieben. Peer war in der Wüste gelandet. Bei Ibsen hatten ihm Mitreisende seine Jacht gestohlen. Er gelangte von Marokko bis nach Kairo, wo er in einem Irrenhaus landete, um dort zum Kaiser gekrönt zu werden. Bar jeglicher Mittel kehrte er wieder heim in seinen Wald. Der senkte sich aus dem Bühnenboden auf die Wüste.
David Bösch inszenierte mit Verve, transponierte das Stück unproblematisch ins heute und schuf so einen höchst unterhaltsamen Abend, der tiefgründig genug war, Ibsen die höchste Ehre zu erweisen. Dabei konnte der Regisseur auf einen überragenden Shenja Lacher als Peer zurückgreifen. Lacher spielte komödiantisch und ernsthaft, er präsentierte sich in zeitgenössischem Gestus, versenkte sich aber ebenso in die klassischen Tiefen des Ibsenschen Textes. Shenja Lacher war schlichtweg grandios. An seiner Seite lief auch Sibylle Canonica als seine Mutter Aase zu wahrhaft großer Form auf. Selten sah man sie so aus sich heraus- und über sich hinausgehen.
Michele Cuciuffo gab den aggressiven Schmied Aslak donnernd, den Direktor des Irrenhauses zu Kairo, Professor Begriffenfeldt skurril und die Magere Person wahrhaft diabolisch. Götz Schulte brillierte neben anderen Rollen in der des Trollkönigs, aber auch in der des Sprachverbesserer Huhu. Andrea Wenzls Solveig war anrührend simpel gestrickt und nicht unbedingt glaubhaft in ihrem Wartemarathon. Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass das Stück in der Endphase der Romantik entstanden ist. Immerhin überzeichnete Andrea Wenzl die Figur stark, persiflierte sie und vermied damit den unweigerlich aufkommenden Kitsch. Der weiblich-schrille Part kam indes Friederike Ott zu, die es als Tochter des Trollenkönigs gehörig krachen ließ, als verführte Ingrid gab sie den rachsüchtigen Bauerntrampel.
Bösch, der mit lockerer Hand inszeniert hatte, ohne dabei ungenau oder oberflächlich zu werden, setzte bei allen Darstellern ein Höchstmaß an Komödiantik und Spiellust frei. So gelang den Machern dieser Inszenierung ein wahrhaft unterhaltsamer, weil über weite Strecken amüsanter Abend, der den Spagat zwischen klassischem Inhalt und heutiger Form mühelos schaffte. Spätestens wenn sich Peer vor dem Knopfgießer verantworten musste und er anhand der Zwiebel auf die Suche nach seinen Kern ging, wurde Tragik im Drama sichtbar. Ein großes Stück fand in dieser Inszenierung eine kongeniale Ausformulierung. Respekt und Gratulation allen Beteiligten.
Wolf Banitzki
Peer Gynt
von Henrik Ibsen
Shenja Lacher, Sibylle Canonica, Michele Cuciuffo, Andrea Wenzl, Götz Schulte, Friederike Ott, Philip Dechamps, Arnulf Schumacher
Regie: David Bösch