Das goldene Vlies
Residenz Theater Das goldene Vlies von Franz Grillparzer
Pragmatismus vs. Humanismus
Die Geschichte stammt aus der Zeit, in der sie auch hätte stattfinden können, in der Zeit der griechischen Kolonisation im 8. - 6. Jahrhundert v.Chr. Die griechischen Siedlungen platzten aus ihren Nähten und konnten die Bewohner nicht mehr hinreichend ernähren. Also zog man los, um neue Lebensräume zu erobern. Dabei war man nicht zimperlich und Griechen trieben auch schon mal Griechen ins Meer. Es verwundert, angesichts aktueller Vorgänge, längst nicht mehr, dass von Anbeginn der Geschichts- und Mythenschreibung ein Thema immer präsent war, das von Krieg, Flucht und Vertreibung. Bei Hesiod findet Medea erstmals schriftliche Erwähnung. Ohne Frage war der Mythos um Medea, die der Geschichte der unrechtmäßigen Aneignung des Goldenen Vlieses durch den Kolcherkönig Aietes, ihrem Vater, chronologisch folgte, einer der gewaltigsten literarischen Donnerschläge. Verankert in der Dramenliteratur wurde der Stoff um die Kindsmörderin schließlich mit Euripides` „Medeia“, 431 v. Chr. in Athen aufgeführt und, vom Publikum auf dritten und letzten Platz gesetzt, mehr oder weniger durchgefallen.
1821, am 26. und 27. März, kam Franz Grillparzers „dramatisches Gedicht in drei Abteilungen“ am Wiener Burgtheater zur Uraufführung. Seither können dieses und andere Stücke des österreichischen Dramatikers, der von sich glaubte, in einer Liga mit Goethe und Schiller zu spielen, immer wieder in den Spielplänen ausgemacht werden. Eine schlüssige, wenngleich sehr boshafte Erklärung dafür könnte Karl Kraus geliefert haben, indem er sinngemäß meinte: Grillparzer wird auf den deutschen Bühnen immer wieder „entdeckt“, weil Regisseure oder Dramaturgen beim Lesen feststellen, dass er doch gar nicht so langweilig ist, wie man befürchtete. Auf der Bühne jedoch stellt man schnell fest, dass er indes nicht so gewaltig daher komme, wie erhofft, und er fällt erneut dem Vergessen anheim. Dass „Das goldene Vlies“ jetzt wieder auf die Bühne kommen würde, darauf hätte man Wetten abschließen können, denn kein Thema treibt die Gesellschaft so sehr um, wie die Angst vor den fremden Flüchtlingen. Medea und ihre Geschichte ist exemplarisch für eben diese Ängste, die zweifellos Urängste sind.
Anne Lenk hatte sich des Textes, in dem übrigens die Barbaren in freien Rhythmen und die Griechen in Jamben sprechen, angenommen und ihn aufbereitet. Um auf die historische Tatsache zu verweisen, dass heutige, auch kriegerische Auseinandersetzungen, und damit verbundene Vertreibungen und Flüchtlingsströme der aggressiven europäischen Geschichte entspringen, ließ sie die Eroberer um Phryxus („Der Gastfreund“) in den Kostümen des Zeitalters der Entdecker und der Konquistadoren des 16. Jh. auftreten, die Argonauten um Jason („Die Argonauten“) jedoch in Kostümen des europäischen imperialistischen Kolonialismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts agieren. Die dritte Abteilung, „Medea“, spielte hier und heute. Mit „Medea“ begann die Inszenierung und mit dieser Abteilung endete sie auch. Die beiden historischen Abteilungen wurden als Traum und als Traumata-Sequenzen in die Asylantengeschichte eingewoben. In ihnen versuchte sich Medea ihrer Wurzeln bewusst zu werden. Es war ein schmerzvoller Prozess, den Meike Droste als Medea zu einem sehr menschlichen und facettenreichen Erkenntnisprozess machte. Immerhin war diese Medea zur Verleugnung ihrer Wurzeln und großer Teile ihrer Persönlichkeit bereit. Umso quälender war die rigorose Ablehnung und Ausweisung für sie. Nicht nur, dass man sie, die „Barbarin“, so nannten die Griechen alle Nichtgriechen, der Stadt Korinth verwies, man nahm ihr auch noch die Kinder.
Meike Droste, Nora Buzalka © Thomas Aurin |
Und obgleich Anne Lenk ein intellektuell geradezu überfrachtetes, mit weitreichender Metaphorik und konkreten Zeitbezügen aufgerüstetes Konzept umzusetzen trachtete, brachte sie doch immerhin Menschen aus Fleisch und Blut auf die Bühne. Johannes Zirners Jason war ein von den „Schicksalsschlägen“ ermüdeter, sich nach einer Heimat sehnender Mann, dem es nicht allzu schwer fiel, seine Ehefrau fallen zu lassen. Auch und vor allem ihretwegen wurde er schließlich angefeindet. Da kam das Angebot von König Kreon gerade recht, die Tochter Kreusa, die Liebe Jasons aus Jugendtagen, zu ehelichen. Dieser Schritt verhieß sogar einen Thron. Nora Buzalka gab Kreusa als eine von den politischen Verstrickungen kaum tangierte, oberflächliche, aber lebensfrohe und ein wenig verwöhnte Schönheit. Ihr Tod im Hochzeitskleid Medeas, in dem sie verbrannte, war ein psychedelischer Schwanengesang. Oliver Nägele, der neben König Kreon von Korinth auch König Aietes von Kolchis gab, war ganz Machtmensch, der das Goldene Vlies, für Anne Lenk Sinnbild des Kapitalismus, um jeden Preis besitzen musste.
Judith Oswalds Bühnenbild bestand aus einem großen schwebenden Rad, gewaltig wie ein Rad der Geschichte. Darin eingefasst waren zwölf Sterne, in der Antike zwölf Wächter am Nachthimmel, und gleichsam dem Symbol der europäischen Union ähnlich. Erst im Hintergrund, zuletzt im Vordergrund ein Transparent: „Welcome“. Mit einigen Pinselstrichen, ausgeführt von Katrin Rövers Gora, Medeas Gefährtin, wurde daraus: „We come“. Doch der Direktheiten nicht genug. Schließlich wurden Fragen aus einem Fragebogen für Asylanten zitiert. Z.B. „Was bedeutet Demokratie?“ Das war überflüssig, denn Szenen wie diese verhinderten eine ästhetische Geschlossenheit, zumal Anne Lenk konsequent darauf verzichtete, die Geschichte zu deutlich zu verorten oder den Barbaren/Asylanten eine konkrete Herkunft zu verleihen. Damit blieb die Geschichte auf der philosophischen und ethischen Ebene, genau auf der Ebene, auf der ergebnislos lamentiert wird, weil zu viel Angst vor den Konsequenzen herrscht. Das Ergebnis: Pragmatismus vs. Humanismus.
Das Fehlen einer ästhetischen Geschlossenheit ist umso bedauerlicher, da Anne Lenk mit „Du hast gewackelt. Requiem für ein liebes Kind“ und „Hoppla, wir leben!“ hinlänglich bewiesen hat, dass sie das Vermögen zu einer solchen künstlerischen Leistung besitzt. Vielleicht ist die Überhitzung, mit der das Thema in allen Gremien der Gesellschaft jongliert - nicht wirklich diskutiert - wird, verantwortlich dafür, dass die Arbeit an der Ästhetik nebensächlich wird. Das könnte ebenso ein Grund für die fortschreitende Erosion des Theaters sein. Hier sei Besinnung angemahnt. Theater sollte sich keinesfalls auf das Niveau von Politik hinab begeben. Dabei kann das Theater nur Schaden nehmen.
Wolf Banitzki
Das goldene Vlies
von Franz Grillparzer
Meike Droste, Johannes Zirner, Oliver Nägele, Lukas Turtur, Nora Buzalka, Katrin Röver, René Dumont, Simon Werdelis, Gerhard Peilstein, Bijan Zamani Regie: Anne Lenk |