Residenz Theater Geächtet von Ayad Akhtar


 

Lebenslügen

Wer wie Amir Kapoor in einem Appartement über der Upper East Side von Manhattan thront, hat es geschafft. Als pakistanischer Einwanderer studierte er Jura und arbeitet nun in einer angesehenen jüdischen Kanzlei. Sein Einkommen ist sechsstellig; er ist frei von finanziellen Zwängen. Sein Leben verläuft auf höchstem Niveau. Er kleidet sich exorbitant, zahlt 600 $ für ein Hemd, weiß in kulinarischen Dingen wahrhaft zu genießen und ist durchaus eloquent in kulturellen, politischen und philosophischen Fragen. Und doch ist er nur ein Chamäleon, stets angespannt die Umgebung beobachtend und hochsensibel in Bezug auf die Fallstricke des Lebens. Er ist angepasst und diese Anpassung ist seine Strategie im Kampf um Anerkennung in einer Gesellschaft, die sich weltoffen gibt, tatsächlich aber voller Vorurteile ist. Der Preis der Verstellung ist die Verleugnung aller ethnischen und religiösen Wurzeln, sogar des Namens, den ihm seine Eltern bei seiner Geburt gaben.

Seine Ehefrau Emily, eine echte WASP (White Anglo-Saxon Protestant), ist Malerin und hat die islamische Kunst für sich entdeckt. Dieser neue, in der Szene als schick empfundene und gefeierte künstlerische Ausdruck ist durchaus erfolgversprechend, denn vier oder fünf ihrer ornamentalen Bilder sollen in einer Ausstellung des jüdisch-amerikanischen Kurators Isaac der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Der Tag dieser Entscheidung wird gefeiert und so treffen sich Isaac und dessen Ehefrau, die afroamerikanische Jory, die zugleich Amirs Kanzleikollegin ist, zu einem gemeinsamen Abendessen. Alles scheint wohlgeordnet zu sein, doch die Welt ist längst nicht mehr im Lot. Amir hat die bittere Erkenntnis allerdings noch vor sich. Entgegen seiner Überzeugung hatte sich Amir Wochen zuvor auf Bitten seines Neffen Abe dazu durchgerungen, einem Prozess gegen einen Imam beizuwohnen, dem Beschaffung von Geld zu terroristischen Zwecken vorgeworfen wurde. Seine Anwesenheit wurde von der New York Times dahingehend kommentiert, dass Amin plötzlich als Unterstützer dastand. Die Mühlen der Gesellschaft hatten längst zu mahlen begonnen.

Der dramatische Erstling des amerikanischen Autors mit  pakistanischen Wurzeln erinnert sehr an die Stücke von Jasmin Reza, insbesondere an „Gott des Gemetzels“. Es beginnt wie eine Boulevardkomödie. Zwei liberal und vernünftig scheinende Paare treffen sich, geraten in einen Diskurs und am Ende hat sich das traute Wohnzimmer in ein Schlachtfeld verwandelt. In „Geächtet“ sitzen durchweg auf Karriere bedachte Menschen zusammen, die politisch korrekt über die brennenden Themen der USamerikanischen Gesellschaft reden: Migration, Religion, Terrorismus, den Patriot Act und den alltäglichen Rassismus schlechthin. Am Ende schlägt die Geschichte in ein Eifersuchtsdrama um und alle reagieren wie jene Menschen, die gerade noch als unaufgeklärt, fanatisch und verblendet an den Pranger gestellt worden waren. Amir verliert dabei nicht nur seine mühsam aufgebaute Identitätsfassade. Schnell wird deutlichen, dass diese Themen längst Bestandteil auch unserer europäischen Gesellschaft geworden sind, mit denen wir uns ziemlich orientierungs- und ratlos herumschlagen.

  Geaechtet  
 

Nora Buzalka, Bijan Zamani

© Matthias Horn

 

Momme Röhrbeins Bühne war puristisch-elegant in Weiß gehalten. Weiße Einbaumöbel in weißen Wänden, davor weiße ausladende Sitzmöbel und im Hintergrund ein halbrunder Balkon, der einen weiten Blick über die Upper East Side von Manhattan zuließ. Die Zeitraffervideos auf der Bühnenrückwand verdeutlichten die unterschiedlichen Tageszeiten und begleiteten die Szenenwechsel.

Antoine Uitdehaag, zuletzt inszenierte er 2009 „Ritter Dene Voss“ im Cuvilliéstheater, ließ den Niedergang des Lebens Amirs gradlinig und erbarmungslos im schlachthauskühlen, stylischen Ambiente ablaufen. Schauspiel war gefragt und, auch wenn Tempo und Rhythmus in der Premiere anfangs noch nicht perfekt waren, Schauspiel fand statt. Die überragende Leistung des Premierenabends erbrachte Götz Schulte als Kurator Isaac. Sein pointiertes Spiel setzte vielfach die hintergründige Komik frei, die der bitterbösen Geschichte durchaus innewohnt. Dass Woody Allen im Stück zitiert wurde, kam nicht von ungefähr, denn niemand hat die Menschen und das Leben Manhattans besser charakterisiert, als der begnadete Komiker. Wenn sich also Autor Ayad Akhtar von diesem Großstadtneurotiker inspirieren ließ, konnte er nur profitieren.

Bijan Zamanis Amir war weniger auf komische Züge angelegt, war er doch nicht wirklich, was er vorgab zu sein. Als am Ende die Hochglanzfassade fiel, blieb ein desillusionierter und zutiefst Verzweifelter zurück. Nichts war ihm mehr geblieben von der intellektuellen und psychischen Überlegenheit. Übrig vom wissenden Amir blieb ein mahnender Amir, der seinen Neffen Abe, am Ende mit Bart und bedecktem Haupt, linkisch und jungenhaft von Jeff Wilbusch gegeben, vom Weg in den religiösen Fundamentalismus abzubringen versuchte. Seine Argumente verfingen nicht, hatten sie ihn selbst doch nicht vor der gesellschaftlichen Ächtung schützen können.  

Nora Buzalkas Emily erwies sich letztlich als ebenso bigott und fadenscheinig wie die Jory von Lara-Sophie Milagro. Beide waren Paradebespiele für die Zwiespältigkeit heutiger Charaktere, die im Bemühen, politisch korrekt, weltanschaulich gereift und moralisch integer zu sein, voller Widersprüche stecken, die hervorbrechen, wenn es ans Eingemachte geht. Dann werden sie vulgär, brutal und hasserfüllt. Dann erfüllen sie selbst alle Eigenschaften, die sie als Vorbehalte anderen, fremden Menschen gegenüber artikulieren.

Das Stück und die Inszenierung haben keine Widersprüche lösen können, was auch nicht geht, denn es sind antagonistische Widersprüche. Aber das Stück legte gerade jenen Personen Argumente in den Mund, gegen den sie sich eigentlich richten. Es ist, wie es scheint, politisch nicht inkorrekt, wenn ein Pakistani, der muslimische Wurzeln hat, Korankritik übt. Es ist auch nicht politisch inkorrekt, wenn (auch nur scheinbar) ein jüdischer Kunstwissenschaftler Kritik am Staat Israel übt. Das ist wohl die wichtigste Qualität des Stückes, denn damit geht es weit über die domestizierte Diskurskultur hinaus. Vernunft beginnt mit der Wahrheit und sie ernährt sich von der Wahrheit. Unsere heutige Vernunft ist, eigentlich für jedermann ersichtlich, auf Diät.

Wolf Banitzki


Geächtet

von Ayad Akhtar

Nora Buzalka, Bijan Zamani, Jeff Wilbusch, Götz Schulte, Lara-Sophie Milagro

Regie: Antoine Uitdehaag