Residenztheater Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg nach Jaroslav Hašek
Švejk trinkt Coca Cola
Es hatten sich einige Zuschauer in die Premiere von „Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg“ verirrt, die wohl noch Heinz Rühmann als Švejk und heimelige, von Pfeifenqualm geschwängerte Wirtshausromantik, in der der Prager Schelm sein Unwesen trieb, vor Augen hatten. Dabei dürfte nach drei Inszenierungen Frank Castorfs am Residenztheater geklärt sein, dass „lustig und heimelig“ nicht stattfindet. So war es auch nicht verwunderlich, dass der Exodus bereits nach dreißig Minuten begann, also recht früh, angesichts der fast fünfstündigen Spieldauer. Allein, nach der einzigen Pause, in den verbleibenden zwei Stunden, verließ niemand mehr den Zuschauerraum und der Schlussapplaus war geradezu frenetisch. Das nennt man Polarisation des Publikums, wobei es Castorf sicherlich nicht darauf anlegt. Es passiert halt immer wieder, insbesondere, wenn nicht unbedingt drin ist, was draufsteht. Hier sei angeraten, den Untertitel zu lesen: Szenen aus einem unvollendeten Roman nach Jaroslav Hašek. Die Betonung liegt auf „nach“ Hašek. Der radikale Bruch mit der verklärten Švejk-Figur hat einen guten Grund, denn die ursprüngliche Übersetzung aus dem Jahr 1926 war nicht die beste und verzerrte Hašeks Humor bisweilen. Castorf beruft sich auf die 2014 erschienene Neuübersetzung von Antonín Brousek, die einiges richtig stellt: „Man lacht nicht, um die Welt zu entlarven, man muss letztlich lachen, um in dieser Welt nicht vor die Hunde zu gehen. Lachen ist also zugleich Heilmittel und Gegengift.“ (Programmheft)
Švejk ist ein radikaler Verweigerer, der seinen vermeintlichen Opportunismus soweit treibt, dass der brave Mann immer wieder in der Katastrophe endet. Seine Freiwilligenmeldung in den Krieg, der nach dem Attentat in Sarajewo unweigerlich kommen muss, so Švejk, bringt ihn ins Irrenhaus. Er war im Rollstuhl angetreten und ihm wurde vollkommene Blödheit attestiert. Doch Švejk gibt nicht auf, wird Ordonanz von Oberleutnant Lukáš. Er bringt seinen Dienstherren in so arge Bedrängnis, dass dieser samt Ordonanz an die Front verschickt wird. Auf dem Weg nach Budweis geht Švejk verloren und muss sich zu Fuß durchschlagen. Er gerät in Kampfhandlungen und in eine russische Uniform, wird als Russe von den Österreichern festgenommen und wegen Verrats zum Tode verurteilt. Das Kriegsende kommt der Vollstreckung zuvor und Švejk überlebt.
Das Programmheft nennt diese Überlebensstrategie das Švejk-Prinzip. Nun sind aber selbst so ausufernde Geschichten wie die vom Švejk einfach eine Nummer zu klein für Regisseur Castorf und so nutzt er auch diese Geschichte nicht als theatralisch bebilderte, sich selbst erklärende Fabel, sondern als dramaturgisches Vehikel und erklärt auf seiner Schussfahrt durch die Historie die Welt, ihr Wesen und ihren Zustand. Auch die Zukunft deutet sich an, und die ist alles andere als rosig. Castorf ist Dialektiker. Und so holt er weit aus im Weltgeschehen. Seine konkreten Bilder sind mächtig und zwingend. Da die Geschichte eine Kriegsgeschichte ist, und zwar die des ersten Weltkrieges, der, sehr effizient im Töten, jedoch nur vier Jahre dauerte und von vielen Menschen als ein temporäres Ereignis begriffen wird, zitiert Castorf einen Vergleich, und zwar den permanenten Krieg zwischen Coca Cola und Pepsi Cola. Auch in diesem Krieg hat es Tote gegeben. Jedoch wird an diesem Krieg etwas deutlich, was beim 1. Weltkrieg in der bürgerlichen Geschichtsschreibung wegpalavert wurde. Es geht ursächlich und letztlich immer um materielle Interessen, um Profit. Das steht zwar nie auf den Bannern, unter denen die Kriege stattfinden, doch es ist so. Die eine terroristische Vereinigung, die Kriege anzettelt nennt sich Islamischer Staat und meint damit Eroberung und Unterwerfung ganzer Länder und Völker, eine andere, CIA genannt, nennt es Verteidigung der vitalen Interessen und zerstört selbstbewusste Staatsgebilde, um den Zugriff auf die Ressourcen nicht zu verlieren, oder manchmal nur, um die Preise günstiger zu gestalten.
Jeff Wilbusch, Valery Tscheplanowa © Matthias Horn |
Sichtbar wurde diese These im Bühnenbild von Aleksandar Denić, ein babylonisch anmutender, mehr oder weniger transparenter Turmbau über mindestens drei Etagen, mit einem Wachhäuschen als Spitze. Auf dem Dach waren in großen leuchtenden Lettern die Schriftzüge der beiden Getränkehersteller zu lesen. Die Basis des Gebäudes war die Fassade der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin mit der Vorkriegsaufschrift „Die Kunst dem Volke“. Das Haus wird von Frank Castorf seit 1992 geleitet. Auf der Rückseite war ein Bahnwagon eingewachsen. Das meinte, Švejk, der seine Kreise durch ganz Osteuropa zieht, ist in Mitteleuropa hängengeblieben und er trinkt Coca Cola. Wie schon in „Baal“ (2015) und in „Reise ans Ende der Nacht“ (2013) trieb der Regisseur die Darsteller in zum Teil atemloser Hatz durch die Bühnenbildlabyrinthe. Und so chaotisch und bisweilen auch unergründlich, wie viele Bewegungsabläufe waren, gestaltete sich auch der Inhalt.
Und so kommen wir zum Castorf-Prinzip. Grundsätzlich betrachtet Frank Castorf alle Kunst als ein Materiallager, aus dem er sich zusammenklaubt, was taugt, seine Ideen von und über die Welt zu realisieren. Die Gesetze des Raum-Zeit-Kontinuums habe auf der Bühne eine untergeordnete Bedeutung, wenn überhaupt. Kunst, und bei Castorf insbesondere, ist auch Willkür. Die Zitate reichen von Fassbinderfilmszenen über Pete Seeger, Georg Danzer und Bert Brecht Songs, Dokumentarfilmmaterial bis zu jedem erdenklichen geschriebenen Material, ob Literatur oder Sachbuch. Und so mäandert die Geschichte, die für den unkundigen Zuschauer kaum nachzuvollziehen ist, so vor sich hin. Fast möchte man meinen, Castorf lässt sich von jedem zweiten oder dritten Wort inspirieren und schweift hemmungslos ab und umher. Da unterlaufen auch schon mal Erläuterungen zum Geschlechtsverkehr mit Hunden, und das er sich häufiger ausüben lässt, wenn die Kinder erst aus dem Haus sind. Nun ja, immerhin hat Švejk mit Hunden gehandelt. Es wird auch das „Statut der tschechoslowakischen terroristischen Gruppen“ (1917) verhandelt, denn auf der Bühne des Residenztheaters ist aus Švejk längst der Wirtshausanarchist, Kommunist und Rotgardist Hašek geworden, der es in der Roten Armee immerhin bis zum Volkskommissar gebracht hat.
Große Visionen über die Reinigung des Universums von allem Kranken, Schlechten und Untauglichen wurden von Gott persönlich, hier einer engelsgleichen Valery Tscheplanowa, verkündet. Es wurde tschechisch, ungarisch, russisch und wer weiß was gesprochen. Es wurde auf Hebräisch gebetet. Und es wurde immer wieder auch eingestanden, dass man sich verirrt hatte. Dann kamen Sätze wie: „Das hat aber jetzt mit Švejk nichts zu tun!“ oder „…und die Schauspieler fragen sich, wie das Publikum auch, ob das irgendwo hinführt.“ Nach annähernd drei Stunden kommt die Erinnerung auf, dass 1915 auch das Geburtsjahr des Dadaismus in Zürich war und so wurde das Publikum mit „Da-da-da“ von Trio in die Pause entlassen.
Castorfs Theater ist kein bürgerliches Amüsiertheater, es ist aggressivste Aufklärung und Provokation und es ist für das Publikum harte Arbeit. Fünf Stunden vollste Konzentration, die trotzdem Irritationen nicht ausschließen kann, denn es werden intellektuell schwere Geschütze abgefeuert. (Hier wäre es vielleicht anbracht, auch mal über die Leistung des Publikums nachzudenken.) Und damit auch ja kein emotionaler Genuss aufkommt, wird Schauspiel weitestgehend verhindert. Frank Castorf will keine Rollengestalter auf der Bühne, sondern Menschen. Daher sprechen sich die Darsteller über weite Strecken mit ihren tatsächlichen Vornamen an und es geht privat zu wie in der Theaterkantine.
Um jeglichen artifiziellen Gestus zu verhindern, fordert er den Schauspielern physisch und stimmlich so viel ab, dass für bewusste und differenzierte Gestaltung kaum mehr Kraft bleibt. Nicholas Ofczarek, den Frank Castorf in seiner 2011 entstandenen „Kasimir und Karoline“ - Inszenierung eine zentnerschere Tür herum wuchten ließ, erklärte den Vorgang in einem Interview genau so. Übrigens wurde Ofczarek seither nicht mehr am Residenztheater gesehen. Castorf will das menschliche Antlitz sichtbar machen. Dieses Prinzip hat durchaus seinen Sinn und funktionierte auch gut, erspart aber dem Kritiker eine Reflexion der schauspielerischen Leistungen. Die physischen Leistungen sind unbestritten und fordern unbedingt Respekt ab, ebenso die gesanglichen. Singen ist, und das lässt sich nicht verhindern, unbedingt ein artifizieller Vorgang.
Frank Castorf genießt mit seinem Theater inzwischen seit Jahrzehnten große Anerkennung, aber ebenso harsche Ablehnung. Langsam, nach vier Inszenierungen, beginnt sich auch das Münchner Publikum an dieses Theater zu gewöhnen. Lieben muss man es nicht, aber aushalten können schon.
Wolf Banitzki
Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg
Szenen aus einem unvollendeten Roman nach Jaroslav Hašek
Aurel Manthei, Bibiana Beglau, Franz Pätzold, Katharina Pichler, Götz Argus, Nora Buzalka, Arthur Klemt, Jürgen Stössinger, Valery Tscheplanowa, Jeff Wilbusch, Marcel Heuperman, Paul Wolff-Plottegg Regie: Frank Castorf |