Residenztheater Lehman Brothers. von Stefano Massini
Sehenswert
Lehman Brothers. Das Stück erzählt die Lebensgeschichte der drei, aus dem bayerischen Rimpach stammenden Brüder Henry, Emanuel und Mayer Lehmann. Ihre Erlebnisse und Entscheidungen bilden den roten Faden durch das Werk, das zwischen Film und Erzählung changierend, auch als geschichtlich informativer Rückblick auf die Entwicklung des Geldverkehrs verstanden werden kann. Vom mittellosen Einwanderer über den Tuchhändler in Montgomery/Alabama, bis zum Finanzier vom Hollywoodstreifen werden die Protagonisten und die Zeit und eines American Dream aufbereitet.
Stefano Massini, Jahrgang 1975, gilt als wichtigster Autor des italienischen Theaters. Sein Opus „Lehmann Brothers.“ wurde mittlerweile auf vielen deutschen Bühnen aufgeführt und mit großem Beifall gefeiert. Nach jahrelanger akribischer Recherche schuf er seine Vision von real überlieferten Ereignissen und durchtränkte die Situationen mit Vorstellungen und psychologischen Beschreibungen. Übergangslos springt der Text von Aussage zu Aussage, von Schauspieler zu Schauspieler, poetische Sprache im wirtschaftlichen Kontext und doch kein Satz, der in Erinnerung bleiben wird. Im Programmheft erklärte er u.a. sein Anliegen: „... Das Stück folgt dem Rhythmus des Theaters und bezieht das Publikum mit ein.“ Das ist zweifelsohne gelungen. Doch was löst Bewegung per se aus?
Regisseur Marius von Mayenburgs gestaltete die Inszenierung überaus opulent. Die große Bühne des Residenztheaters in München konnte dem Stück und dem Inhalt den entsprechenden Raum bieten. In der rechten vorderen Ecke stand eine Sitzgruppe in welcher sich die Schauspieler zum Einstieg trafen. „Business as usual“ vermittelte die Szene und startete mit: „Super.“ ... „Super.“ ... „Toll dass du da bist.“ ...
Die Phrase, mehr oder weniger gehaltvoll oder abgenutzt, beherrscht die Kommunikation. Die Luft in Besprechungsräumen ist ebenso voll mit ihnen, wie die sozialen Medien. Sie gleichen Billigprodukten, die Wortbilder in entwerteter Masse. Man verhält sich, als wäre kultivierte reichhaltige Sprache unerwünscht geworden, oder einfach der allgemeinen Eile wegen auf der Strecke geblieben. Auch die Theaterbühne eroberten die Worthülsen.
Vom Titel des Songs „I have a dream“ berauscht, erfolgte im 20. Jahrhundert zunehmend die Abkoppelung des Geldes von der Realwirtschaft, und verband sich mit der Idee der Konsumfinanzierung und der Tradingabteilung einer Bank. Hier kreierte man eine neue Dimension des Geldwesens. Wertschöpfung jenseits des bereits erfahrenen. Und das versprach, verspricht allemal Spannung. Das Fieber grassiert weiter uneingeschränkt im Digitalen. Und doch ist es nicht mehr und nicht weniger als Handel nach urgeschichtlichem Muster, inklusive Feilschen und Abkassieren. Lukas Turtur stand als Moderator neben dem roten Startknopf an der Rampe, allein im Scheinwerferlicht überzeugte er, fabelhaft.
Nicht minder fabelhaft waren die Leistungen der anderen Darsteller. Allein die Bewältigung und der Vortrag der enormen Menge von Text (250 Seiten Skript), der oft unzusammenhängend von Figur zu Figur sprunghaft wechselte, war außergewöhnlich. Schwarmerzählung – so könnte die dafür passende Bezeichnung lauten. Diese Herausforderung von ‚Theater anders‘ meisterten sie ebenso souverän, wie die Präsenz, die es brauchte, die Aufmerksamkeit immer wieder zu fokusieren und mit verspielten witzigen Einlagen den Zuschauern ein Lächeln zu entlocken.
Eine überdimensionale Leinwand nahm den Hintergrund der Bühne ein. Der Zeit und der Geschichte entsprechend gab sie die Bilder des Hafens von New York, der Baumwollfelder Alabamas und der im Börsencrash in sich zusammenstürzenden Skyline um die Wall Street wieder. Die Zusammenarbeit von Nina Wetzel (Bühne und Kostüme) und Sébastien Dupouey (Video) war uneingeschränkt sehenswert. Grandiose Bilder – ein künstlerisch ausgefeilter, vielfältig überzeugender Materialeinsatz – beherrschten die Spielfläche von der ersten bis zur letzten Minute.
|
Michele Cuciuffo, Lukas Turtur, Philip Dechamps, Katrin Röver, Thomas Gräßle © Andreas Pohlmann |
So wie der Glaube an einen Gott vollzogen wird, so wird der Glaube an die Macht des Geldes vollzogen. Absolutistisch. Das Gefühl von Macht und Ohnmacht beherrscht das Geschehen – das körperliche des Einzelnen, das Gemenge in der Gemeinschaft. Der Tanz um das Goldene Kalb (zeitgemäß auf der Leinwand die überdimensionale Goldene Puppe als Inbegriff von Luxus) wurde bereits vor über tausenden Jahren thematisch festgehalten, interpretiert und doch gerät die Geschichte immer wieder in Vergessenheit, ist Mensch unfähig sich davon zu befreien und bedient unterwürfig diverse Mechanismen.
Ein Werk, eine Geschichte und die Konsequenzen von Handlungen klingen wie ein spannendes Abenteuer. Wenn diese Szenenfolge jedoch keine dialektische Auseinandersetzung ist, so wird daraus zu leicht ein Selbstbestätigungsritual, das einer geistigen Einbahnstraße, einer Unterwerfung gleichkommt. Entwicklung findet kaum statt, meist erfolgt Rückfall in uralte Tradition bzw. Anschauung, wie es am Ende des Stücks über das jüdische Totenritual demonstriert wurde. Ob Rückschritt Fortschritt in anderer Weise zulässt, oder lediglich Obskurantismus befördert, bleibt als Frage im Raum. Schließlich spiegelte das Bühnengeschehen die aktuelle Gesellschaftssituation.
Die Inszenierung von Marius von Mayenburg war eine erschreckend schöne. Mit diesen Attributen zog sie die Zuschauer unmittelbar in Bann und vermittelte dem Zeitgeist entsprechendes Miterleben, wie es in den sozialen Netzwerken praktiziert wird. Die morphe Struktur des Werkes bot zahllose Anknüpfungspunkte für Sinne und Denkstrukturen, berauschte geradezu mit einem vorgeführten unübersichtlichen Reichtum. Davon zeugte der begeisterte Applaus des Premierenpublikums!
C.M.Meier
Lehman Brothers. Aufstieg und Fall einer Dynastie
von Stefano Massini
Katrin Röver, Michele Cuciuffo, Philip Dechamps, Gunther Eckes, Thomas Gräßle, Lukas Turtur Regie: Marius von Mayenburg |